Berlin. Die Partei etabliert sich, weil die Chefin intern eine Art Casting-System betreibt. Gelingt ihr so, womit sie zuvor gescheitert ist?
Es wirkt, als wäre alles wie immer in der Welt von Sahra Wagenknecht. Im Fernsehen hat es ordentlich geknallt und sie war mittendrin. Im petrolfarbenen Kostüm saß Wagenknecht bei „Maybritt Illner“, stellte steile Thesen auf und wurde dafür angegangen. Der Grünen-Chef rief ihr zu, sie solle doch mal in die Ukraine fahren. Eine Militärexpertin warf ihr vor, übertriebene Zahlen zu deutschen Rüstungsausgaben zu verbreiten. Die Schlagzeilen ratterten durch die Nachrichtenportale. „Wagenknecht spielt mit unserer Angst“ heißt es da. Oder: „Alle gegen eine“.
Es ist neun Uhr am Freitagmorgen und Wagenknecht sitzt im Auto. Sie will raus aus Berlin, zurück ins Saarland. Dorthin, wo sie zuhause ist. Mit ruhiger Stimme sagt Wagenknecht am Telefon: „Ich tanke meine Akkus dort auf, komme etwas zur Ruhe.“ Aber sie nehme, schiebt sie schnell nach, trotzdem an vielen Videokonferenzen teil.
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Denn es ist nicht alles wie immer. Zwar geht Wagenknecht in Talkshows, wie seit Jahren. Doch aus dem, was Zeitungen gern das „Talkshow-Phänomen Wagenknecht“ nannten, ist eine politische Kraft geworden. Jetzt führt sie ihre eigene Partei, sie steckt in einem Kreislauf aus Telefonaten und Textnachrichten. Auch in ihrer Heimat. Wagenknecht sagt: „Es läuft gut und das freut mich sehr. Das hatte ich zwar gehofft – aber sicher war ich mir nicht.“
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Wagenknecht und das BSW: Prozente können schnell schmelzen
Es läuft gut, so kann man das sagen. Im Januar hat Wagenknecht ihre neue Partei vorgestellt. Mittlerweile liegt das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) bei acht Prozent im „Deutschlandtrend“. Bei der Europawahl erreichte sie sechs Prozent, in Thüringen ist die Partei auf Augenhöhe mit der CDU. Doch Erfolg ist flüchtig in der Politik. Wie schnell Prozente schmelzen können, zeigt sich bei den Grünen und sogar der Kanzlerpartei SPD.
Sahra Wagenknecht will das verhindern. Dazu arbeitet sie seit Wochen an einer besonderen Strategie. Im politischen Berlin heißt es, Wagenknecht würde an politischen Entscheidungsträgern feilen wie an Holzfiguren. Bis alles passt für ihr Gebäude der Macht. Sahra im Sägewerk, nennen das manche. Denn Wagenknecht ist zwar das Gesicht und das Gehirn der Partei. Doch sie weiß, dass sich eine deutschlandweite Kraft nicht als Ein-Frau-Betrieb führen lässt.
Bald kommen die Ost-Wahlen, im nächsten Jahr dann die Bundestagswahl. Wagenknechts Plan ist, schnell kluge Leute in Spitzenpositionen zu bringen – die ihren Willen umsetzen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Wagenknecht ist bereits einmal gescheitert. 2018 gründete sie die linke Bewegung „Aufstehen“, es gab kein Team – und Wagenknecht hatte einen Burnout.
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Wagenknecht: „Dachte, die Talente setzen sich durch – stimmt nicht“
Wagenknecht sagt: „Ich dachte damals bei Aufstehen, wenn man viele Menschen zusammenholt, setzen sich am Ende die Talente durch. Aber das stimmt nicht. Oft sind es die lautesten, schwierigsten und destruktivsten Charaktere, die am Ende die Vernünftigen vertreiben.“ Und fügt hinzu: „Das machen wir jetzt anders.“ Dafür hat sie im BSW ein zweistufiges System installiert: Wer mitmachen will, wird zunächst „Unterstützer“, davon gibt es deutschlandweit 25.000.
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Wer dann Parteimitglied werden möchte, wird von den 700 bestehenden Mitgliedern geprüft. Es werden Einladungen zu Einzelgesprächen verschickt und jeder Lebenslauf wird durchleuchtet. Eine vorherige AfD-Mitgliedschaft ist ein Ausschlusskriterium. „Es ist, wenn man so will, eine Art Castingsystem“, so die BSW-Chefin. „Aber wenn 700 Menschen 25.000 Unterstützer casten, wenn sie die Besten und Begabtesten finden wollen, ist das eine ziemliche Herausforderung.“
Wagenknecht sucht „Menschen mit Ausstrahlungskraft, mit gesellschaftlicher Verankerung und mit Organisationstalent“, sagt sie. Es ist eine Pyramide der Macht – und der Kontrolle. Bis Jahresende soll es in jedem Bundesland einen Landesverband geben. Wagenknecht glaubt: „Junge Parteien müssen aufpassen, dass sie nicht von den Falschen gekapert werden. Das haben wir ja bei der AfD gesehen.“
BSW-Generalsekretär Christian Leye spricht nur sehr zurückhaltend
Ein Anruf bei Christian Leye, dem Generalsekretär der Wagenknecht-Partei. Er ist ein vorsichtiger Mann. Manchmal reden Politiker offen am Telefon und wenn sie ihre Zitate danach autorisieren, wird vieles plötzlich zurückhaltend formuliert. Bei Christian Leye ist das anders. Er redet immer zurückhaltend. Auf die Frage, ob er täglich mit Wagenknecht telefoniere, sagt Leye am Telefon nur: „Wir tauschen uns aus, wann immer es politisch notwendig ist.“
In Wahrheit gibt es eine wöchentliche Konferenz des Präsidiums und eine Chatgruppe, in der mit Wagenknecht die wichtigen Themen besprochen werden. Es ist ein Club der stillen Machttaktiker, den Wagenknecht da um sich herum aufgebaut hat. Doch die Frage, wo Wagenknecht inhaltlich hin will, ist nicht einfach zu beantworten. Die Leitlinien der Partei sind ein Sammelsurium verschiedener Positionen. Für mehr Abschiebungen. Gegen das Gendern. Für höhere Renten. Gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Teilweise sehr links, teilweise sehr rechts.
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Wer erfahren will, wohin die Partei inhaltlich steuert, muss mit Zaklin Nastic reden. In einem Hamburger Edelhotel sitzt sie Ende vergangener Woche vor einem Cappuccino und trägt ein pinkes Kostüm. Sie gilt als eine der engsten Vertrauten der Chefin und sagt: „Wenn konservativ zu sein bedeutet, dass ich als Frau nicht mit Männern in der Sauna sitzen will und dass ich es schlecht finde, wenn man jedes Jahr sein Geschlecht ändern kann – ja, dann bin ich gern konservativ.“ Sie nimmt einen Schluck Cappuccino, aus den Lautsprechern über ihr rieselt Jazzmusik.
Manche halten BSW für alternativen Ansatz – andere für Populismus
Nastic malt das Bild einer Partei, die gegen viele politische Positionen der Mitte ist, aber dabei versucht, nicht ins Extreme zu kippen. Das ist der Grat, den sie beschreiten wollen. Die BSW-Forderungen klingen oft wuchtig – und nicht immer werden alle Fakten berücksichtigt. Wagenknecht war früher die Leiterin der Kommunistischen Plattform der Linken. Heute unterstützt sie unter dem Argument des Friedens manche Positionen Wladimir Putins, die den Westen spalten könnten. Manche halten das für einen alternativen Politikansatz. Andere für gefährlichen Populismus.
Der erste große Lackmustest der Partei wird die Frage sein, ob sie im Osten regieren wollen. Umfragen in Thüringen deuten darauf hin, dass die Partei von der CDU gebraucht werden könnte, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Doch Wagenknecht ist skeptisch: „Wenn wir in einem Bundesland mitregieren, gibt es eine gewisse Gefahr: Manche Menschen erhoffen sich beispielsweise bessere Renten – das ist auch dringend nötig, aber das werden wir in einer Landesregierung kaum erreichen können.“ Nur bei „substanziellen Verbesserungen“ wolle sie mitregieren.
Wagenknecht: Veränderungen sind eher auf Bundesebene möglich
Wagenknecht sagt außerdem: „Wir sind angetreten, um die Politik in Deutschland zu verändern. Das ist hauptsächlich auf Bundesebene möglich.“ In ihrem Lager glaubt man, ohne eine Regierungsbeteiligung habe man mehr Zeit. So könne man in Ruhe die richtigen Leute in wichtige Positionen bringen – und bei der nächsten Bundestagswahl dafür belohnt werden.
In Hamburg hat Zaklin Nastic ihren Cappuccino mittlerweile ausgetrunken. Sie macht sich auf den Weg zum Ausgang, ihre Schritte werden vom schweren Teppich geschluckt. Nastic sagt: „Wir haben nur diese eine Chance für die Partei. Eine zweite wird es nicht geben, es muss jetzt gelingen.“ Dann tritt sie mit ihrer Aktentasche hinaus in die Hamburger Sonne, sie ist mit Parteifreunden verabredet. Damit alle weiterhin den Kurs der Chefin halten.