Berlin. Ex-Linke Sahra Wagenknecht spricht über das neue Bündnis, ihre Haltung zu Russland und zu Israel – und die Rolle von Oskar Lafontaine.
Sahra Wagenknecht schließt ihr Büro auf. Es liegt im verwaisten Trakt der Linken-Bundestagsfraktion, die ihre Auflösung beschlossen hat, weil Wagenknecht und ihre Mitstreiter neue Wege gehen. Die frühere Spitzenkandidatin der Linken nimmt sich eine Stunde Zeit, um zu erklären, was sie mit ihrem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ vorhat. Aufhorchen lassen nicht nur ihre Aussagen zur AfD.
Frau Wagenknecht, wie hoch fliegen Ihre Ambitionen? Wollen Sie Kanzlerin werden?
Sahra Wagenknecht: Man muss auf dem Teppich bleiben, auch wenn die guten Umfragen motivierend sind. Wir wollen bei der Bundestagswahl so stark werden, dass wir das Leben der Menschen in Deutschland verbessern können. Statt der ideologiegetriebenen und in Teilen schlicht inkompetenten Ampel braucht unser Land eine Regierung mit seriösen, durchdachten Konzepten. Wir brauchen eine Rückkehr der Vernunft in die Politik.
Finden Sie Koalitionspartner?
Wagenknecht: Man kann Politik auch als starke Opposition verändern. Ob wir in eine Regierung eintreten, hängt von den Inhalten ab. Es ist denkbar, dass sich die SPD irgendwann wieder daran erinnert, wofür sie früher einmal stand, dann gäbe es große Gemeinsamkeiten. Eine Koalition mit Frau Baerbock und Herrn Habeck von den Grünen schließe ich aus. Wegen ihres rechtsextremen Flügels gilt das Gleiche für die AfD. Und Herr Merz steht leider nicht für einen starken Mittelstand, sondern vertritt den heutigen Blackrock-Kapitalismus. Aber auch die Union hatte mal andere Zeiten. Mit Norbert Blüm hätten wir gut koalieren können.
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Und mit der Linkspartei?
Wagenknecht: Wir werden keine Asylpolitik mittragen, die die Zahlen noch weiter erhöht, und wir werden auch keinen radikalen Klima-Aktivismus unterstützen. Aber wenn es um Themen wie Mindestlohn oder Rente geht, gäbe es Übereinstimmungen.
Linken-Ikone Gregor Gysi nennt Ihr Vorgehen „feige“ und „unmoralisch“.
Wagenknecht: Diese Begriffe sind unangemessen. Auch Gregor Gysi weiß, dass nicht unser Ausstieg die Linke kaputtmacht, sondern die Politik der Parteiführung die Wähler vertrieben hat. Dadurch ist die Linke immer bedeutungsloser geworden. Schon bei der letzten Bundestagswahl, als noch keiner über eine neue Partei diskutierte, fiel die Linke unter fünf Prozent. Noch vier Jahre zuvor, als Dietmar Bartsch und ich Spitzenkandidaten waren, hatten wir 9,2 Prozent.
Welche Rolle spielt Oskar Lafontaine bei der Parteigründung?
Wagenknecht: Er möchte keine aktive Rolle mehr, das verstehe ich auch. Er hat sein Leben lang Politik gemacht mit all dem Druck und Stress, der damit verbunden ist. Jetzt genießt er es, dass er das nicht mehr muss. Natürlich beraten wir uns und er unterstützt mich mit seinen Erfahrungen.
Als Ehemann, sagt Lafontaine, sei er „nicht so begeistert“.
Wagenknecht: Oskar Lafontaine sieht die politische Notwendigkeit für die neue Partei, aber auch die negativen Folgen für unser Privatleben. Ich habe jetzt eine ziemlich anstrengende und stressige Zeit, muss wieder mehr in Berlin sein, durchs Land reisen. Ich hätte die Wahlperiode auch beenden und dann als Publizistin arbeiten können. Das hätte uns persönlich viele Freiräume eröffnet. Aber er versteht, warum ich mich am Ende anders entschieden habe.
Sie haben angedeutet, dass Sie Ihre Partei gar nicht selbst führen wollen. Warum?
Wagenknecht: Ich führe inhaltlich und programmatisch, aber ich will und kann in der Partei nicht alles machen. Ich habe sehr kluge und talentierte Mitstreiter, die sich um die anspruchsvollen Organisationsaufgaben kümmern. So kann ich mich auf das konzentrieren, was ich gut kann: öffentlich für unsere Inhalte werben, Wahlkämpfe führen.
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Als Parteichefin haben Sie Amira Mohamed Ali, die bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken, ins Gespräch gebracht. Ist das beschlossene Sache?
Wagenknecht: Ich gehe davon aus, dass wir eine Doppelspitze haben werden.
Mohamed Ali – und doch Sie selbst?
Wagenknecht: Nein. Wir werden den Vorschlag öffentlich machen, sobald es entschieden ist.
Vor vier Jahren haben Sie sich vom Fraktionsvorsitz der Linken zurückgezogen und eine Auszeit genommen – wegen Burn-out. Zögern Sie jetzt, weil Sie die Grenzen Ihrer Belastbarkeit erfahren haben?
Wagenknecht: Was mich damals hauptsächlich zermürbt hat, waren diese ewigen Reibereien und Intrigen in den eigenen Reihen. Dadurch konnte ich mich immer weniger auf die politisch wichtigen Aufgaben konzentrieren, irgendwann war ich einfach ausgelaugt und kaputt. Das heißt nicht, dass ich nicht belastbar bin. Ich habe den 2017er Wahlkampf mit viel Power geführt, das war stressig, aber es hat auch Freude gemacht.
Ist das eigentlich eine linke Partei, die Sie gründen?
Wagenknecht: Die meisten Menschen können mit diesem Begriff leider nicht mehr viel anfangen. In unserer Programmatik geht es um vier Kernpunkte. Erstens: eine vernünftige Wirtschaft- und Energiepolitik, die unsere Industrie im Land hält. Zweitens: Soziale Gerechtigkeit. Drittens: Eine Außenpolitik in der Tradition der Entspannungspolitik Willy Brandts. Und viertens: die Verteidigung der individuellen Freiheit und die Ablehnung dieses neuen linksgrünen Autoritarismus, der den Menschen vorschreiben will, wie sie zu denken, zu reden, zu heizen, welches Auto sie zu fahren oder was sie zu essen haben.
Wo sitzen Sie im Bundestag? Links oder rechts von der Linkspartei?
Wagenknecht: Das entscheiden wir nicht selbst. Pragmatisch wird es wohl darauf hinauslaufen, dass wir sitzen bleiben, wo die Fraktion der Linken saß – nur dass es dann zwei Gruppen gibt. Wahrscheinlich sitzt die Linke dann links neben uns.
Ihr Bündnis sei inhaltlich „fast eins zu eins AfD“, sagt AfD-Chef Tino Chrupalla. Völlig aus der Luft gegriffen?
Wagenknecht: Ja. In wirtschaftlichen und sozialen Fragen vertritt die AfD ziemlich marktradikale Positionen. Es stimmt, dass die AfD seit 2015 gefordert hat, die unkontrollierte Migration zu stoppen. Ich habe es schon damals für einen Fehler gehalten, dieses Thema der AfD zu überlassen. Sie wäre lange nicht so stark, wenn die Regierung und die aktuellen Oppositionsparteien nicht so schlecht wären.
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Laden Sie AfD-Mitglieder zum Übertritt ein?
Wagenknecht: Ich wünsche mir, dass wir viele Wähler, die aus Protest für die AfD gestimmt haben, davon überzeugen können, dass unsere Antworten und Konzepte seriöser sind. Mit Blick auf die Mitglieder werden wir sehr genau hinschauen, wer zu uns kommt. Rechtsextremisten werden definitiv keinen Zugang haben.
Eine Gemeinsamkeit mit der AfD lässt sich nicht bestreiten: Ihre Sympathie für Russland, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Trotz.
Wagenknecht: Was heißt Sympathie? Ich verehre Tolstoi oder Dostojevski, für den russischen Oligarchenkapitalismus habe ich keine Sympathie. Trotzdem plädiere ich aus unserem eigenen Interesse heraus für wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kooperation mit Russland. Als rohstoffarmes Land profitieren wir davon. Und Russland ist eine Atommacht, Sicherheit in Europa gibt es nur, wenn Konflikte mit Russland diplomatisch gelöst werden.
Sie wollen die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen, die Sanktionen gegen den Kreml beenden und wieder Gas aus Russland importieren. Damit betreiben Sie Putins Geschäft.
Wagenknecht: Billiges russisches Gas ist angeblich des Teufels, aber um teures Gas aus Katar, dem wichtigsten Finanzier der islamistischen Hamas, bettelt unser Wirtschaftsminister mit einem tiefen Bückling. Was für eine Doppelmoral! Selbstverständlich verurteile ich den Ukraine-Krieg. Ich glaube allerdings nicht, dass wir ihn beenden, wenn wir kein Gas mehr kaufen und immer mehr Waffen liefern..
Putin will sich die Ukraine einverleiben. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, hört sie auf zu existieren.
Wagenknecht: Warum bieten wir nicht an, dass die Waffenlieferungen sofort enden, wenn Putin einem Waffenstillstand und Verhandlungen zustimmt?
Sie würden Putin trauen, wenn er einen Waffenstillstand unterschreibt?
Wagenknecht: Es wird sich doch zeigen, ob beide Seiten ihn einhalten.
Sehen Sie nicht, dass Putins Eroberungsgelüste über die Ukraine hinausgehen?
Wagenknecht: Russland hatte vor dem Krieg ein Militärbudget, das kleiner war als das deutsche heute. Glauben Sie, dass man sich so auf einen großen Krieg gegen die Nato vorbereitet? Die russische Armee war nicht in der Lage, bis nach Kiew zu kommen. Und da soll sie fähig sein, demnächst Berlin zu erobern? Das ist doch Unsinn! Russland hat die Ukraine überfallen, um zu verhindern, dass das Land ein militärischer Vorposten der Vereinigten Staaten wird: mit Militärbasen und Raketenstützpunkten wie in Polen und Rumänien. Das rechtfertigt den Krieg nicht, aber es zeigt, wie man ihn beenden könnte.
Halten Sie Russland für friedliebender als die USA?
Wagenknecht: Wer einen Krieg beginnt, ist nicht friedliebend. Das gilt aber selbstverständlich auch für die USA. Die Nato-Führungsmacht hat in den letzten 25 Jahren fünf Länder überfallen und viele weitere mit Drohnen attackiert. Die Zahl der Opfer dieser Kriege übersteigt eine Million. Ich setze mich dafür ein, dass die Welt friedlicher wird.
In Russland kommt Ihr Projekt gut an. Das populäre Online-Portal „Lenta“ jubelt über die Gründung einer „neuen Pro-Putin-Partei“.
Wagenknecht: Ich kenne das Portal nicht und lese keine russischen Medien. Selbstverständlich gründe ich keine Pro-Putin-Partei.
Wie steht Ihr Bündnis zu Israel? Unterschreiben Sie das Bekenntnis von Angela Merkel und Olaf Scholz, die Israels Sicherheit zur deutschen Staatsraison erklärt haben?
Wagenknecht: Es ist unsere Verpflichtung, das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber zu verteidigen. Wir sollten der israelischen Regierung aber keinen Blankoscheck ausstellen. Ich war entsetzt über die barbarischen Angriffe der Hamas. Aber ich bin genauso entsetzt, was sich jetzt im Gazastreifen abspielt. Eine längere Feuerpause wäre dringend notwendig.
Die Verantwortung für diesen Krieg trägt die Hamas.
Wagenknecht: Die Verantwortung tragen beide. Auch die Angriffe der Hamas rechtfertigen es nicht, den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen und tausende Frauen und Kinder zu töten. Und wir müssen auch darüber reden, warum eine islamistische Terrorbande wie die Hamas so stark werden konnte. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Rechte der Palästinenser mit Füßen getreten werden und die Situation in Gaza seit langem unerträglich ist.
Sie vermeiden es, die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson zu bezeichnen.
Wagenknecht: Wir haben als Deutsche gegenüber den Juden unendliche Schuld auf uns geladen. Daraus erwächst eine Verantwortung. Kritik am Handeln der israelischen Regierung muss trotzdem erlaubt sein.
Sie demonstrieren gerne. Warum sind Sie nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober nicht für Israel auf die Straße gegangen?
Wagenknecht: Ich werde am 25. November auf einer Friedenskundgebung in Berlin sprechen, da geht es um die Ukraine und den Nahen Osten. Die Menschen in Israel müssen in Frieden leben, aber auch die Palästinenser ihre Rechte bekommen. Der einzige Weg zum Frieden wäre eine Zwei-Staaten-Lösung.
Das ist keine Kundgebung für Israel.
Wagenknecht: Eine Demonstration, die sich vorbehaltlos hinter den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen Vorgehen in Gaza stellt, würde ich nicht unterstützen. Erst recht natürlich keine Demonstration, bei der die Kritik am israelischen Vorgehen in antisemitische Sprüche und Hamas-Begeisterung umkippt.
Es bleibt nicht bei Sprüchen. In Deutschland kommt es wieder zu Ausschreitungen gegen Juden. Wie soll der Staat reagieren?
Wagenknecht: Wir dürfen nicht länger wegschauen, wenn sich im Umfeld bestimmter Moscheen ein radikaler Islamismus etabliert, wenn Imame den Hass gegen unsere Kultur schüren. Das hat nichts mit buntem Multikulti zu tun, sondern ist eine gefährliche Entwicklung. Dagegen muss man etwas tun.
Was?
Wagenknecht: Es muss unterbunden werden, dass Imame von der türkischen Regierung bezahlt werden. Wir haben Religionsfreiheit und es gibt viele gut integrierte Moslems. Aber radikaler Islamismus gehört nicht in unser Land. Imame sollten in Deutschland ausgebildet und durch eine Abgabe der hier lebenden Moslems bezahlt werden. Wir müssen verhindern, dass es bei uns so weit kommt wie in Frankreich, wo ganze Stadtviertel fest in den Händen radikaler Islamisten sind. Eine unverschleierte Frau kann dort nicht mehr unbehelligt auf die Straße gehen. Wir müssen alles tun, damit sich keine Parallelgesellschaften entwickeln.
Worauf wollen Sie hinaus?
Wagenknecht: Dänemark etwa geht sehr restriktiv vor. Werden in einem Viertel bestimmte Quoten überschritten, bietet man Zuwanderern Wohnungen in anderen Vierteln an, aber der Umzug ist letztlich nicht freiwillig. Man kann über Methoden streiten, aber das Ziel finde ich richtig. Es darf keine Stadtviertel geben, in denen sich die Einheimischen nicht mehr zuhause fühlen. So ist ja auch Integration gar nicht mehr möglich. Und es darf auch keine Schulen geben, in denen die Mehrheit der Kinder bei der Einschulung kein Deutsch spricht.
Sind Sie sicher, dass es die Wagenknecht-Partei in fünf Jahren noch gibt?
Wagenknecht: Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass unser Land eine neue politische Kraft braucht, hätte ich mich nicht für diesen Weg entschieden. Wir bringen eine Partei auf den Weg, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unser Land zum Guten verändern soll. Irgendwann wird sie dann auch nicht mehr meinen Namen tragen.
Sondern?
Wagenknecht: Darüber beraten wir.
Woher kommt das Geld?
Wagenknecht: Von ganz vielen normalen Bürgern. Wir bekommen keine großen Schecks von Konzernen und Banken. Es gibt Selbständige und Unternehmer, die durchaus auch mal über zehntausend Euro spenden, aber die große Mehrzahl der Spenden bewegt sich zwischen fünf und 500 Euro.
Schließen Sie aus, dass russisches Geld in Ihre Kassen fließt?
Wagenknecht: Wir sind nicht käuflich, von niemandem. Der Verein und die Partei nehmen keine Spenden aus dem Nicht-EU-Ausland an, das ist uns nach dem Parteiengesetz auch nicht erlaubt. Wenn solche Spenden kämen, würden wir sie zurücküberweisen. Auch bei den größeren Spendern schaut unser Schatzmeister genau hin.