Berlin. Etliche Kinder haben im Ukraine-Krieg alles verloren, sie sind traumatisiert. Eine mutige Frau rettet sie aus der Hölle der Bomben.
Die jüngste Tochter von Darya Kasyanova ist noch keine drei Jahre alt, als der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 beginnt. Zehn Tage lang halten sich Kasyanova und ihre beiden Töchter im Keller ihres Hauses in Irpin auf. Sie hören, wie Bomben auf Dörfer und Städte in der Umgebung fallen. Dann entscheiden sie sich, in einen sicheren Teil der Ukraine zu fliehen.
Kasyanova ist nicht nur für ihre eigenen Kinder verantwortlich. Sie arbeitet für die SOS-Kinderdörfer in der Ukraine. Bereits 2014 musste sie ihre Heimatregion Donezk verlassen. Sie evakuierte Kinder aus besonders gefährdeten Gegenden. 2022 hat sie vorgesorgt, zehn Tage vor dem Überfall verlassen die Pflegefamilien, die sie betreut, die Regionen Kyiv und Luhansk und gehen in den sicheren Westen. Zuerst sind die Pflegeeltern nicht begeistert, erzählt Kasyanova, doch am 24. Februar sind sie froh, dass ihre Kinder die Bombardierungen nicht mitansehen müssen.
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Ukraine-Krieg: Kinder harrten zwei Tage bei der Leiche ihres Vaters aus
Der Krieg trifft die ukrainischen Kinder hart. Nach Angaben der ukrainischen Regierung sind über 500 von ihnen getötet worden. Die, die überleben, verlieren häufig ihre Heimat, ihre Freunde oder sogar ihre Familie. Als Leiterin für Programmentwicklung bei den SOS-Kinderdörfern in der Ukraine kümmert sich Darya Kasyanova um diese Kinder. Ihr Job ist es, dafür zu sorgen, dass Kinder wieder zu ihren Familien finden. Und weil es oft keine Familien mehr gibt, bildet ihr Team auch Pflegeeltern aus, die Kinder aufnehmen, die vom Krieg traumatisiert sind. Aber mit der Unterbringung endet die Hilfe nicht, auch bei der Reintegration in die neuen Familien und in die neue Umgebung braucht es Unterstützung.
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Da sind zum Beispiel zwei Teenager, ein Junge und ein Mädchen. Gemeinsam mit ihrem Vater lebten sie in der Donezk-Region, in der Nähe von Bachmut, wo es immer wieder Gefechte gibt. Die Flucht erschien dem Vater zu gefährlich, erzählt Kasyanova, also blieb er. Dann wurde er getötet. Der örtliche Sozialdienst meldete sich bei Kasyanova und bat um Hilfe. Mit den White Angels, einer Evakuierungsgruppe, gelang es, die beiden Kinder aus der Gefahrenzone zu bringen. Sie hatten zwei Tage bei der Leiche ihres Vaters ausgeharrt.
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Untergebracht wurden sie im psychologischen Camp der SOS-Kinderdörfer in einem einigermaßen sicheren Teil der Ukraine. Dort wurden sie zwei Monate lang versorgt, seit der ersten Invasion 2014 kümmern sich die Mitarbeitenden dort um Kinder mit Kriegstrauma. In der Zeit organisierte Kasyanova eine mögliche Pflegefamilie, die aus der gleichen Gegend wie die Kinder stammt. Als es zum ersten Treffen kam, war das Mädchen sofort von den möglichen Pflegeeltern begeistert. Der Junge, den der Verlust des Vaters noch härter getroffen hatte, brauchte einige Tage, bis auch er bereit war, die neue Familie anzunehmen.
Russen versuchen, Kinder aus der Ukraine umzuerziehen
Inzwischen leben die beiden Kinder seit über einem Jahr mit den Pflegeeltern in Lwiw im Westen der Ukraine, berichtet Kasyanova. Sie stehe noch mit ihnen in Kontakt, den beiden gehe es gut, sie würden auch Kontakt zu ihrer älteren Schwester pflegen. Zu ihr könnten sie aber nicht, denn die Schwester lebe nach wie vor in der Region Donezk, wo es nicht sicher ist. Es ist eine kleine Erfolgsgeschichte, die typisch ist für Kasyanovas Arbeit. Mehr als 400.000 Menschen haben die SOS-Kinderdörfer in der Ukraine nach eigenen Angaben in den vergangenen zwei Jahren betreut.
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Aber nicht alle Kinder bleiben in der Ukraine. Manche werden von den russischen Angreifern auch in Camps nach Russland oder in den besetzten Donbass gebracht. Dort werden sie einer sogenannten Russifizierung unterzogen. Den Kindern wird dort beigebracht, die Ukraine sei eine erfundene Nation. Im Trailer zum Dokumentarfilm „The Blue Sweater with a Yellow Hole“ erzählt ein Mädchen davon, wie sie in einem Camp behandelt wurde. Sie sei beleidigt worden, immer wenn sie Ukrainisch statt Russisch gesprochen habe und auch wenn sie sich geweigert habe, die russische Nationalhymne zu singen.
Wladimir Klitschko spricht vom „Genozid einer Nation“
Die Russen würden versuchen, die Geschichte der Ukraine auszurotten, um so die Nation auszulöschen, erklärt Ex-Boxer Wladimir Klitschko, der sich mit seiner Klitschko Foundation für ukrainische Kinder einsetzt. Die Umerziehungsversuche zusammen mit der Vernichtung ukrainischer Archive bezeichnet er als „Genozid einer Nation“.
Wie Kinder in die Hände der Russen fallen, sei sehr individuell, erzählt Kasyanova. In einigen Fällen würden die Eltern gezwungen, ihre Kinder in sogenannte Sommercamps zu schicken. Andere Kinder würden verschleppt, wenn ihre Eltern bei der Flucht verletzt oder getötet werden. Wenn es überhaupt gelingt, die Kinder zurückzuholen, dann nur über Verwandte oder Vormünder, wie eine Großmutter, die ihren Enkel zurückwollte.
Ukrainische Familien kämpfen, um ihre Kinder zurückzuholen
Der 17-jährige Junge hat eine schwere geistige Behinderung und wurde zunächst nach Russland und dann in die besetzte ukrainische Stadt Skadowsk deportiert, erzählt Kasyanova. Dort war er zwar nur knappe 70 Kilometer von seiner Großmutter entfernt, doch die konnte durch den Krieg nicht den direkten Weg zu ihm nehmen. Stattdessen reiste sie über Polen, Belarus und Russland zu ihrem Enkel. Mehr als vier Tage dauerte der Trip. Doch sie konnte ihren Enkel zunächst nicht mitnehmen, denn sie hatte nur Kopien der notwendigen Dokumente dabei, aber nicht die Originale.
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Kasyanova und ihr Team organisierten den Transport der Dokumente und die Rückreise. Mit Taxi, Zug und Bus brachte die Großmutter ihren Enkel zurück in die Ukraine. Wenn Kinder zurückkehren, ist das oft ein emotionaler Moment. Kasyanova berichtet von Kindern, die den ukrainischen Boden küssten oder denen die Tränen kamen, als sie die Flagge der Ukraine sahen.
Ihre Geschichten hat Dunya Kasyanova Mitte Februar im Rahmen des Events „Café Kyiv“ erzählt, das von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin veranstaltet wird. Einige Tage später will sie zurück in der Ukraine sein. Ihr erstes Ziel ist ihre kleine Tochter, das sei wichtig für die Heilung. Ob für die eigene oder die ihrer Tochter, das lässt sie offen.