Berlin. Deutschland will seit dem Überfall auf die Ukraine kein Gas mehr aus Russland. Trotzdem kommt es auf verschlungenen Wegen hier an.

Als im September 2022 Explosionen drei von vier Strängen der Nord Stream-Pipelines beschädigten, war final klar, was sich seit Monaten abgezeichnet hatte: Die Zeiten, in denen durch deutsche Gasleitungen vor allem russisches Gas floss, sind vorbei.

Doch zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine steht hinter der vermeintlichen Endgültigkeit ein kleines Fragezeichen. Denn trotz des Stopps der Pipeline-Lieferungen und aller Bemühungen, sich unabhängig zu machen, nutzt Deutschland zum Teil noch immer Gas aus Russland. „Deutsche Gasimporte bleiben auch nach dem Ende der russischen Pipeline-Lieferungen hochproblematisch“ heißt es dazu in einer Auswertung der Umweltschutzorganisation Urgewald zu deutschen Gasimporten, die dieser Redaktion vorliegt.

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Das russische Gas kommt über Umwege: Die europäische Gasversorgung ist eng vernetzt, Transportpipelines ziehen sich kreuz und quer über den Kontinent. Was an den Flüssiggas-Terminals an der belgischen und niederländischen Nordseeküste ankommt, wird zu großen Teilen weitergeleitet – auch nach Deutschland. Per Pipeline aus dem Osten bekommt die Bundesrepublik deshalb zwar seit dem Spätsommer 2022 kein Gas aus Russland mehr. Über die Häfen im Westen allerdings schon.

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Nach dem russischen Überfall auf die hatte sich Europa beeilt, unabhängiger zu werden von Gaslieferungen aus Russland, die bis dahin mehr als 40 Prozent der EU-Gasimporte ausmachten. Doch anders als bei Öl wurde ein Embargo gegen Erdgas aus dem Land nie verhängt. Auch wenn Russland seinen Status als für die EU wichtigster Exporteur an Norwegen und die USA verloren hat, kommen deshalb noch immer große Mengen russisches Gas in der Union an. 2023 waren es nach EU-Angaben knapp 15 Prozent der gesamten Gas-Einfuhren.

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    Die Hälfte der Flüssiggas-Lieferungen in Zeebrügge stammen aus Russland

    Ein Teil davon landet auch in der Bundesrepublik. Offizielle Zahlen dazu, wie viel russisches Gas über Importe aus Belgien und den Niederlanden ins deutsche Netz fließt, gibt es nicht. Doch Umweltorganisationen gehen davon aus, dass 2022 sechs bis 11 Prozent der Lieferungen aus dem Nachbarland ihren Ursprung in Russland hatten. Damals machten Lieferungen aus Belgien etwa 18 Prozent der deutschen Gasversorgung aus, der russische Anteil hätte demnach bei ein bis zwei Prozent der gesamten Importe gelegen.

    2023, sagt Angelos Koutsis, Energie-Experte bei der belgischen Nichtregierungsorganisation Bond Beter Leefmilieu, dürfte dieser Anteil allerdings noch einmal höher gewesen sein. Denn am belgischen LNG-Terminal in Zeebrügge kam im vergangenen Jahr deutlich mehr russisches Flüssiggas ankam als im Vorjahr, die Weiterleitung nach Deutschland blieb weitgehend unverändert. Nach Angaben der belgischen Regierung machte russisches Gas in den ersten 11 Monaten von 2023 50 Prozent der angelandeten LNG-Lieferungen aus.

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    Gleichzeitig stieg der Anteil der deutschen Importe, der aus Belgien kam. Das Königreich gehört nach Norwegen und den Niederlanden inzwischen zu den wichtigsten Gas-Lieferanten Deutschlands, 22 Prozent der Gaslieferungen nach Deutschland kamen 2023 aus Belgien.

    Auch in den Niederlanden kommt nach wie vor Gas aus der russischen Arktis an, die niederländische Regierung bemüht sich allerdings, den Anteil zu senken. Wie viel russisches Gas über diesen Weg nach Deutschland gelangt, ist nicht bekannt.

    Das Bundeswirtschaftsministerium kennt keine Zahlen zu russischen Gaslieferungen über Nachbarländer

    Zum erklärten Ziel der Bundesregierung, sich unabhängig zu machen von fossiler Energien, die Wladimir Putins Kassen polstern, passt all das nicht, sagt Moritz Leiner, Energie-Campaigner von Urgewald. „Die Bundesregierung will keine direkten Importe von Gas aus Russland, aber indirekt kommt trotzdem russisches Gas“, sagt er. „Das ist politisch schwach.“ Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, dass die Einfuhr von russischem Gas in die EU und auch der Re-Export europäisch verboten werden. „Sonst kann nicht garantiert werden, dass kein russisches Gas in Deutschland landet. Die russische Kriegskasse darf nicht weiter über Gaseinfuhren gefüllt werden.“

    Das Bundeswirtschaftsministerium hat nach eigenen Angaben keine Zahlen dazu, wie viel russisches Gas noch immer nach Deutschland fließt. An den deutschen LNG-Terminals komme kein russisches Gas, heißt es aus dem Haus von Robert Habeck (Grüne) auf Anfrage, aber: „Solange weiterhin russisches LNG über andere Mitgliedstaaten in die EU importiert werden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass russisches Erdgas über den EU-Erdgasbinnenmarkt auch nach Deutschland gelangt.“ Schätzungen dazu gebe es keine, da sich das Gas über den Transport in die verschiedenen Pipelines der Länder vermischt, und es am Ende nur kleine Mengen seien.

    Die Unionsfraktion fordert mehr Transparenz

    Andreas Jung, energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, fordert Aufklärung. „Die Bundesregierung muss für umfassende Transparenz bei Versorgungssicherheit Gasbeschaffung sorgen“, sagte er dieser Redaktion. Schon vor zwei Jahren hätten CDU und CSU von der Bundesregierung regelmäßige Berichte zur sicheren Gasversorgung auch ohne russische Importe eingefordert. „Trotz unserer Nachfragen gibt es zwar allgemeine Zusicherungen von Olaf Scholz und Robert Habeck, aber keine belastbaren Zahlen“, sagt Jung. „Diese müssen jetzt vorgelegt werden.“

    Moritz Leiner von Urgewald weist darauf hin, dass auch Gas-Importe aus anderen Ländern Probleme mit sich bringen. In den USA etwa würden Projekte zur Förderung und zum Export von Flüssiggas vor allem dort geplant, wo schon jetzt benachteiligte Gruppen leben. „Das ist Umweltrassismus“, sagt er.

    Norwegen, wo per Pipeline der größten Anteil deutsche Gasimporte herkommt, vergebe im großen Stil Lizenzen für neue Öl- und Gasbohrungen, viele davon in der Arktis, wo Unfälle sehr schwer einzudämmen wären und verheerende Konsequenzen für die Natur hätten. „Es gibt kein Lieferland für Gas, das unproblematisch wäre“, sagt Leiner. Urgewald und andere Umweltorganisationen fordern deshalb einen Gas-Ausstieg bis 2035.