Berlin. Es ist leicht, einen Krieg anzufangen – schwerer, ihn zu beenden. Hat Putin das Ende bedacht? Der Ukraine-Krieg: Ein Erklärungsversuch.
- Im Februar 2022 begann Russlands Angriff auf die Ukraine
- Millionen Menschen sind geflohen, Hunderttausende gestorben
- Warum hat Präsident Wladimir Putin die Ukraine angegriffen? Warum führt er Krieg?
Über 1000 Tage ist der Ukraine-Krieg alt. Am 24. Februar 2025 jährt er sich zum dritten Mal. Er ist nicht zuletzt die Chronik einer monströsen Fehleinschätzung von Kremlchef Wladimir Putin.
Viele Annahmen erwiesen sich als falsch. Jäh scheiterte 2022 der Versuch, die Ukraine blitzartig zu erobern. Ihre Widerstandskraft hat er ebenso unterschätzt wie die Entschlossenheit ihrer Verbündeten.
Drei Szenarien für die nähere Zukunft
Ende 2024 zeichnen sich drei Möglichkeiten ab. Erstens, eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld. Der ukrainische Präsident Wolodymy Selenskyj hält eine Niederlage für möglich, wenn die USA ihre Militärhilfe sein Land einstellen.
Zweitens eine Eskalation. Putin sieht „Elemente eines globalen Charakters“. Auf seiner Seite: Waffen aus dem Iran, darüber hinaus Munition und Soldaten aus Nordkorea.
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Auf der Gegenseite: Waffen aus den USA und Europa, Gedankenspiele über eine direkte Beteiligung. Den Anfang machte im Februar 2024 Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er sagte, nichts sei ausgeschlossen, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern. Diese Position gewinnt Anhänger, speziell im Osten und im Norden Europas.
Trump will den Krieg beenden
Drittens: Friedensverhandlungen. Stärkster Befürworter ist der designierte US-Präsident Donald Trump. Er bleibt sich selbst treu. In seiner ersten Amtszeit wollte Trump den Krieg in Afghanistan beenden und in der zweiten nun den Konflikt in der Ukraine.
Der Amerikaner will Abschied von der Nachkriegsordnung nehmen, vom System der kollektiven Sicherheit. Die USA sollen nicht länger in Europa als Ordnungsmacht auftreten. Für ihre Sicherheit sollen die Europäer selbst sorgen, ein wiederkehrendes Erklärungsmuster bei ihm. Schon 2017 hielt Trump die Nato für obsolet, für überholt.
Putins Kriegsziele
In Russland ist oft von einer „militärischen Spezialoperation“ die Rede. Indes dreht sich die Argumentation, spätestens nachdem ukrainische Truppen 2024 Teile der russischen Grenzregion Kursk eroberten. Die neue Erzählung lautet: Russland kämpft nicht gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen. Putin nimmt die Eskalation vorweg.
Unverändert ist sein Bestreben, Grenzen zu verschieben, seinen Einflussbereich zu vergrößern. Er will die Ukraine erobern, um
- eine Pufferzone zwischen Nato und Russland zu schaffen;
- eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato zu verhindern;
- das westliche Bündnis vom Asowschen Meer fernzuhalten;
- den Zugang zum Schwarzen Meer über die Krim abzusichern.
Was Putin antreibt?
Der Zerfall der Sowjetunion ist das Trauma in Putins Leben. Er will die Geschichte zurückdrehen. Ein erster Schritt dazu war der Tschetschenien-Krieg, also die Unterwerfung des Landes. In einer „Kriegsrede“ thematisierte Putin den Nato-Gipfel 2008. Damals hatte das Bündnis der Ukraine und Georgien einen Beitritt in Aussicht gestellt – wenn auch ohne konkretes Datum. Wenig später griff Putin militärisch in Georgien ein. Nach dem gleichen Muster verfuhr er später mit der Ukraine.
Der Ukraine sprach Putin in einem „Geschichtsaufsatz“ und in Reden das Recht auf Unabhängigkeit ab. Die Russen haben ein Sonderverhältnis zur Ukraine, historisch, kulturell, religiös. Die Sprachen sind verwandt. Für Putin gehört die Ukraine zu Russland.
2014 hat er erst die Krim annektiert und die Separatisten im Osten der Ukraine unterstützt. Das Kalkül war, den Staat zu destabilisieren. Nachdem der Nachbar nicht wunschgemäß mit Unterwerfung reagiert hatte, folgte der Einmarsch in die von den Separatisten besetzten Gebiete und 2022 dann der Angriff auf das ganze Land.
Von der Spezialoperation zum Abnutzungskrieg
Die meisten Experten gaben der Ukraine keine Chance. So sagte General Mark Milley, der damalige Stabschef der US-Streitkräfte, Anfang Februar 2022 im Kongress in Washington, dass das russische Militär Kiew in nur zweiundsiebzig Stunden einnehmen könnte. Es kam anders. Die Ukrainer haben Freund und Feind überrascht.
Zwangsläufig entwickelte sich die Auseinandersetzung zum Abnutzungskrieg. Der entscheidet sich über die Kampfmoral und über die Ressourcen. Die Ukraine hat hohe Verluste, die Russen ungleich höhere.
Nach westlichen Schätzungen hat Russland über 600.000 Soldaten verloren. Über den Blutzoll lässt sich streiten, über die materiellen Verluste nicht. Dafür gibt es objektive Hinweise: Zum einen Satellitenbilder von Waffenlagern im Ural, die sich leeren, zum anderen die Zählungen des Portals „Oryx“, das jeden Verlust mit einem Bild belegt.
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Putins Strategie, Putins Vorteil
Putins Planungshorizont reicht nach Einschätzung des britischen ThinkTanks „Rusi“ bis 2026. Spätestens bis dahin soll die Ukraine besiegt werden. Mit steten Geländegewinnen soll sie zur Kapitulation gezwungen werden. Indes bezweifeln Militärökonomen, dass Russland das Angriffstempo von 2024 durchhalten kann. Offen ist, welche Konsequenzen Putin ziehen wird, wenn er seine Kriegsziele verfehlt: Verhandeln oder eskalieren? Ihm bleibt der Einsatz von Atomwaffen. Wenn Russland untergeht, dann nicht allein.
Ein Standardwerk in der Fachliteratur heißt „Demokratien im Krieg“. Die Amerikaner Dan Reiter und Allan C. Stam vertreten die Theorie, dass die Siegesaussichten von Autokraten tendenziell steigen, je länger ein Krieg andauert. Einfach deswegen, weil Demokraten stets die Stimmung berücksichtigen und ihre Wähler mitnehmen müssen.
Das Versagen der Diplomatie
Der Diktator wird seinem Volk jedes Opfer abverlangen. „Das war mein Fehler“, erkannte der früher ukrainische Armeechef Walerij Saluschnyj. „Russland hat mindestens 150.000 Tote verloren. In jedem anderen Land hätten solche Verluste den Krieg beendet.“
Während der Westen über Putin empört ist, verhält sich der größte Teil der Welt neutral. Für viele Staaten in Afrika, Asien oder Lateinamerika ist der Ukraine-Krieg ein Regionalkonflikt. Die Diplomatie kommt zu kurz. Auch die UNO bietet keine Lösung an.
Die Minimalpositionen der Kriegsparteien
Generell enden Kriege auf zwei Arten: Wenn die eine Seite die andere besiegt und ihr einen Frieden diktieren kann. Oder? Wenn die Kriegsparteien lieber einen Kompromiss schließen, als eine Auseinandersetzung fortzuführen, die keiner gewinnen kann.
Putins Minimalposition ist, dass die Ukraine die unter russischer Kontrolle stehenden Territorien abtritt. Vor allem soll sie sich verpflichten, nicht der Nato beizutreten. Bei Geheimverhandlungen im Frühjahr 2022 soll ein EU-Beitritt der Ukraine im Bereich des Möglichen gewesen sein. Dass Putin sich mit Selenskyj an einen Tisch setzt, kann man sich kaum vorstellen; schon eher, dass er mit Trump ÜBER die Ukraine verhandelt.
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Wann macht Putin Halt?
Gebietsabtretungen sind für Selenskyj schwer akzeptabel. Der wichtigste Punkt von allen sind Sicherheitsgarantien. Wenn sie nicht der Nato beitritt, braucht die Ukraine eine Friedenstruppe und eine Demarkationslinie. Allein, wann, wann nur, macht Putin Halt?
- Szenario Nummer eins: Die Teilung der Ukraine. Fast schon: ein Minimalziel.
- Szenario Nummer zwei: Die russischen Truppen nehmen Kiew ein und rücken bis zur Nahtstelle zur EU vor. Der Traum russischer Nationalisten. Weitere Teile der früheren Sowjetunion wären bedroht, etwa Moldawien und die baltischen Staaten.
- Szenario Nummer drei: Ein langer Stellungskrieg, bis der Konflikt eingefroren wird.
- Szenario Nummer vier: Russland verkalkuliert sich. Am Ende: Rückzug.
Deutschland „kriegstüchtig“, die Nato größer
Eine Kompromisslinie wäre nach dem Beispiel Österreichs eine Neutralität der Ukraine. Eine weitere Möglichkeit wäre ein internationaler Vertrag, der den Sicherheitsbedenken Russlands Rechnung trägt. Eine aus westlicher Sicht falsche Lösung wäre die Installation eines Vasallenstaates mit einer Russland-hörigen Regierung wie in Weißrussland.
Der Ukraine-Krieg markiert eine „Zeitenwende“ (Olaf Scholz). Er hat Deutschland verändert. Die Bundeswehr wird aufgerüstet. Die Truppe soll „kriegstüchtig“ werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius trat eine Debatte über die Wehrpflicht los. Die Nato stärkte ihre Ostflanke. Finnland und Schweden traten dem Bündnis bei. Auch diese Reaktion hatte Putin wohl kaum bedacht. Er hat seinem Volk viel abverlangt und wenig erreicht.
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