Berlin/Moskau. Putin muss sich bei einer großen TV-Show zum Jahresende unangenehme Fragen gefallen lassen. Und er teilt gegen Deutschland aus.
Bei der Jahrespressekonferenz und Bürgersprechstunde „Direkter Draht“ äußert sich Wladimir Putin traditionell zu den drängendsten Problemen des Landes. Neben sozialen und wirtschaftlichen Themen beherrschen seit Beginn der von Putin befohlenen Invasion auch Fragen zu dem Angriffskrieg in der Ukraine die Fragestunde. Die mehrstündige Veranstaltung bietet dem Kremlchef die Chance, sich als Kümmerer zu präsentieren. In diesem Artikel fassen wir die die wichtigsten Aussagen zusammen.
Putin sieht Wirtschaftslage als stabil an
Ungeachtet beispielloser westlicher Sanktionen zieht Putin eine insgesamt zufriedenstellende Wirtschaftsbilanz des abgelaufenen Jahres – vor allem im Vergleich zu westlichen Industrienationen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2024 um 3,9 Prozent, „vielleicht sogar vier Prozent“ wachsen, prognostizierte der Kremlchef. In den vergangenen beiden Jahren habe das BIP sogar um acht Prozent zugelegt. Im gleichen Zeitraum habe Deutschland null Prozent Wachstum gezeigt, sagte er.
Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) weist im Gespräch mit dem „Spiegel“ in diesem Zusammenhang aber auf etwas Wichtiges hin: Der Großteil dieses Wachstums gehe auf den statistischen Basiseffekt zurück, zeige also eher die Dynamik des Vorjahres und nicht die aktuelle Situation. In Wahrheit sehe die Lage ihm zufolge nicht so rosig aus: Seit Anfang 2024 sei die russische Wirtschaft kaum noch gewachsen. Es gebe sogar Hinweise, die auf einen Rückgang der Produktion schließen lassen – erstmals seit 2022.
- Porträt: So tickt Russlands Präsident Wladimir Putin
- Geheime Milliarden: So groß ist das Vermögen von Wladimir Putin wirklich
- Liebesleben: Wladimir Putin versteckt mutmaßliche Geliebte – Wer ist diese Frau?
- Versteckte Familie: Das sind die Töchter von Wladimir Putin
- Russland: Putins Machtzirkel – Diese Oligarchen beraten den Präsidenten
Putin zum Krieg: Hätte früher anfangen sollen
Laut Putin hätte Russland den Krieg gegen die Ukraine früher als 2022 beginnen sollen. „Rückblickend auf die Situation 2022 denke ich, hätten wir die Entscheidung, die wir damals getroffen haben, eher treffen müssen“, sagte er bei einer viereinhalbstündigen Fragerunde im Fernsehen.
Der Entschluss zum Einmarsch in die Ukraine sei damals gefallen, weil klar geworden sei, dass Russland betrogen werde und die Ukraine sich nicht an die Vereinbarungen von Minsk für einen Frieden halten wolle.
In dem Zusammenhang räumte er indirekt ein, die Verteidigungskraft der Ukrainer unterschätzt zu haben. Russland hätte sich schon viel früher auf einen Krieg vorbereiten sollen, sagte der Kremlchef.
Putin äußerte sich auch zur Frage, ob ihn die vergangenen fast drei Jahre Krieg verändert hätten. Dazu sagte er: „Ich mache weniger Witze.“ Und selbst lache er auch weniger.
Auch interessant
Putin erklärt sich zu Kompromiss in der Ukraine bereit
Putin bekräftigte seine Bereitschaft zu Verhandlungen über ein Ende des Ukrainekriegs. Dabei sei er auch zu Eingeständnissen bereit, sagte er auf eine Frage des US-Senders NBC. „Politik ist die Kunst der Kompromisse.“ Details zu möglichen Kompromissen nannte er nicht. Zugleich warf der Kremlchef der Ukraine einmal mehr vor, Verhandlungen zu blockieren.
Er erinnerte dabei an das Scheitern eines Abkommens, das Moskau und Kiew kurz nach Beginn des von Putin befohlenen Angriffskriegs in Istanbul schließen wollten. Die Einigung sei am Ende von der Ukraine auf Druck des Westens abgelehnt worden, sagte er.
Auch ein Treffen mit dem designierten US-Präsidenten Donald Trump schloss Putin nicht aus. Wann ein solches Treffen stattfinden könne, wisse er aber nicht. „Ich habe seit vier Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen.“ Bisher habe es keine Vorschläge vom Team Trumps für ein Gespräch gegeben.
Putin sprach aber seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj ab, ein legitimer Partner für den Abschluss von Friedensverhandlungen zu sein. Dessen Amtszeit sei abgelaufen, und die ukrainische Verfassung erlaube auch im Kriegsrecht keine Verlängerung seiner Vollmachten, behauptete der Kremlchef bei seiner von allen russischen Sendern übertragenen Fragerunde.
Einzig das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, und deren Vorsitzender seien jetzt noch berechtigt, einen Friedensschluss zu unterzeichnen, so Putin. Die ukrainische Führung betont hingegen, dass Selenskyjs Vollmachten weiter gültig seien.
Putin sagte, dass er prinzipiell auch bereit sei, mit Selenskyj Frieden zu schließen - allerdings nur, wenn er vorab in Neuwahlen bestätigt werde.
Die Amtszeit Selenskyjs ist 2024 abgelaufen. Wegen der laufenden Invasion und der Besetzung eines beträchtlichen Teils des ukrainischen Territoriums hat Selenskyj die Präsidentenwahl unter Berufung auf das Kriegsrecht abgesagt.
Putin verspricht Befreiung von Region Kursk und Wiederaufbau
Mehr als vier Monate nach Beginn der ukrainischen Offensive im russischen Gebiet Kursk sieht sich Kremlchef Wladimir Putin unter massivem Handlungsdruck. Eine Bewohnerin fragte den Präsidenten bei seiner jährlichen im Staatsfernsehen übertragenen großen Fragerunde, wann die Bewohner endlich nach Hause zurückkehren könnten und alles wieder aufgebaut werde. „Alles wird erledigt“, sagte Putin verlegen um eine konkrete Antwort. Er könne kein Datum nennen, meinte er. „Aber ganz sicher werden sie vertrieben.“
In der Region Kursk halten Tausende ukrainische Soldaten seit Anfang August Dutzende Ortschaften besetzt. Die Führung in Kiew will so nach eigenen Angaben ihre Position stärken für mögliche Verhandlungen zur Lösung des Konflikts.
Nach der Befreiung der Region werde der komplette Schaden erfasst, sagte Putin. „Alles wird wieder aufgebaut.“ Straßen und die Infrastruktur würden instand gesetzt. Er bat die Menschen in der Region, die ihre Wohnungen verloren haben und in Notunterkünften untergebracht sind, um Geduld.
- Schaurige Zahlen: Für jeden Quadratkilometer fallen 53 Russen
- Gefallene: Hat sich Putins Vize-Verteidigungsministerin verplappert?
- Kinder verschleppt: Spur führt zu Putin – Bericht schockiert
- Friedensmission: Bundeswehr-Einsatz in der Ukraine? Baerbock befeuert Debatte
Sturz Assads keine „Niederlage“ für Russland
Putin sieht im Sturz des langjährigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad keine „Niederlage“ für Russland. „Ich versichere Ihnen, das ist es nicht“, sagte Putin. Er warb zudem für den Verbleib russischer Militärstützpunkte in dem Land.
Russland sei „vor zehn Jahren nach Syrien gegangen, um die Entstehung einer terroristischen Enklave wie in Afghanistan zu verhindern“, sagte Putin. „Im Großen und Ganzen“ sei dieses Ziel erreicht worden, auch wenn es nach wie vor eine „schwierige“ Situation sei.
Es war das erste Mal, dass der russische Präsident sich öffentlich zum Sturz Assads äußerte. Assad war mit seiner Familie aus Damaskus nach Moskau geflohen, als die Rebellen auf die syrische Hauptstadt vorrückten. Er habe Assad noch nicht getroffen, sagte Putin, wolle dies aber bald tun. „Ich werde definitiv mit ihm sprechen“, kündigte er an.
Der Einsatz russischer Truppen in Syrien ab 2015 zur Unterstützung Assads markierte Russlands große Rückkehr auf die internationale Bühne, indem es die Abwesenheit westlicher Mächte ausnutzte.
Putin räumt nach Anschlag auf General „grobe Fehler“ der Geheimdienste ein
In einem seltenen Eingeständnis räumte Putin mit Blick auf das Attentat auf den ranghohen Armeevertreter Igor Kirillow Versäumnisse seiner Geheimdienste ein. „Unsere Geheimdienste übersehen diese Anschläge. Sie haben diese Anschläge nicht kommen sehen“, sagte Putin. „Das bedeutet, dass wir diese Arbeit besser machen müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass solche groben Fehler geschehen.“
Putin äußerte sich erstmals persönlich zu dem Attentat vom Dienstag, das er als „Terrorismus“ bezeichnete.
Kirillow, Kommandeur der russischen Truppen zur Abwehr von Angriffen mit radioaktiven, biologischen und chemischen Kampfstoffen, war am Dienstag in Moskau getötet worden, als ein an einem Elektroroller befestigter Sprengsatz explodierte. Auch sein Adjutant starb.