Taipeh. Bei den Wahlen in Taiwan hat der chinakritische William Lai gewonnen. Im Parlament hat der künftige Präsident jedoch keine Mehrheit.
Am Samstagabend (Ortszeit) zeigen die Fernsehsender und Websites in Taiwan immer wieder ein Bild: William Lai steht in grüner Jacke da, lächelt, streckt die Faust in die Luft. Auch wenn er am Samstag in Anzug und Krawatte auftrat: Der 64-jährige hat sich im Wahlkampf als Baseballfan stilisiert, und damit als Mann des Volkes.
Baseball ist der populärste Sport in Taiwan. Und am Wahltag ist seinem „Team Taiwan“, wie er sein Angebot an die Wählerinnen und Wähler genannt hat, quasi ein Homerun gelungen. Lai wird Taiwans neuer Präsident.
William Lai wird Abgrenzung Taiwans gegenüber China fortsetzen
Im Rennen, das sich zuletzt zwischen drei Kandidaten entschied, lag Lai von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) am Ende komfortabel vorne. Lai, bisheriger Vizepräsident hinter der nach acht Jahren scheidenden Präsidentin Tsai Ing-wen, wird die Außenpolitik seiner Vorgängerin fortsetzen. Das bedeutet: Eine klare Abgrenzung gegenüber Festlandchina, das Taiwan als Teil des eigenen Territoriums betrachtet und auch immer wieder angedroht hat, Taiwan notfalls mit Zwang unter seine Kontrolle zu bringen. Wie bisher Tsai wird Lai daher auch die Nähe zum Westen suchen.
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Der in Peking favorisierte Kandidat, Hou Yu-ih von der Nationalen Volkspartei (KMT), die bis Mitte der 1980er Jahre Taiwans Militärdiktatur stützte, erlitt damit eine schwere Niederlage. Hou hatte seinen Wahlkampf mit der These geführt, diese Wahl sei eine zwischen Krieg und Frieden: Wer die DPP wähle, würde sich für Krieg entscheiden, da deren Abgrenzungskurs gegenüber China eine Invasion Pekings riskieren würde. Die KMT hält seit Jahrzehnten einen besseren Draht nach Peking. Der Sieger Lai wiederum hatte von einer Wahl zwischen Demokratie und Autoritarismus gesprochen.
Lai fehlt die Mehrheit im Parlament
Der dritte Kandidat, Ko Wen-je, bis 2022 Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh, hatte versucht, die Aufmerksamkeit auf wirtschaftspolitische Themen zu lenken, womit er abgeschlagen Dritter wurde. Allerdings hat Kos Taiwanische Volkspartei (TPP) bei der Parlamentswahl, die ebenfalls am Samstag stattfand, einen Großteil der Stimmen gewonnen, ebenso wie die KMT. Der künftige Präsident Lai wird daher einem Parlament gegenüberstehen, in dem ihm die Mehrheit seiner eigenen Partei fehlt. Bei diversen Themen wird er daher mit der Koalition verhandeln müssen. Und davon gibt es einige.
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Denn wenngleich sich ein Großteil des Wahlkampfs um Außenpolitik gedreht hat: Die China-Frage ist längst nicht das einzige Thema, das die Menschen in Taiwan bewegt. Da ist etwa das eher niedrige Lohnniveau, das trotz soliden Wirtschaftswachstums über die vergangenen Jahre nur wenig gestiegen ist. In einer Umfrage Mitte 2023 gaben Dreiviertel der Personen an, dass ihr Lohn im vergangenen Jahr nicht gestiegen war. Der Arbeitsmarkt ist in weiten Teilen prekär, der Einfluss von Gewerkschaften gering. So verlassen viele derjenigen, die anderswo Jobs finden, seit Jahren das Land. Zumal in Taiwans Städten seit Jahren die Lebenshaltungskosten und Immobilienpreise steigen.
Taiwan: Ausbildung ist extrem teuer
In kaum einem Land ist auch die Ausbildung von Kindern so teuer wie in Taiwan. Offizielle Statistiken aus dem Jahr 2018 zeigen, dass Familien mit dem damaligen Durchschnittseinkommen von 50.000 Taiwan-Dollar monatlich (entspricht etwa 1.450 Euro) ein Viertel davon in die Bildung ihrer Kinder steckten. Ein Grund dafür, dass die privaten Ausgaben so hoch sind, ist der spärliche Sozialstaat. Hinzu kommt die traditionell große Bedeutung eines Einstiegstests für die besten Universitäten. So wird hierfür viel gelernt – in der Schule selbst, aber auch in der Nachhilfe, für die Eltern zusätzlich zahlen.
Die DPP, die nun zumindest die Präsidentschaft gewonnen hat, will dies ändern. „Wir wissen, dass die Kosten für Ausbildung eine große Herausforderung sind“, sagt Alysa Wen-li Chiu, die bei der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei in der politischen Wissenschaftsabteilung arbeitet. „Wir wollen mehr Wohlfahrtsstaat. Unser Ziel ist es vor allem, Schülerinnen und Studierende besser finanziell zu unterstützen, zum Beispiel durch mehr Stipendien.“ Denn was auch bekannt ist: Taiwans sehr niedrige Geburtenrate hängt auch mit den hohen Kosten des Kinderkriegens zusammen.
Taiwan: Gleichgeschlechtliche Ehen sind großer Streitpunkt
Länger schon wird in Taiwan zudem die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Ehen diskutiert. Nachdem im Jahr 2017 das Verfassungsgericht entschieden hatte, dass ein Verbot von Homo-Ehen eine Form der Diskriminierung darstellt, war das Parlament aufgefordert, das Problem zu lösen. Die von der DPP geführte Regierung legalisierte daraufhin gleichgeschlechtliche Eheschließungen – als erstes Land in Asien. Nur wurde dies insbesondere wegen konservativen Widerstands bloß in Form eines normalen Gesetzes geregelt, nicht durch eine Verfassungsänderung. So bleibt das Thema ein Streitpunkt.
Während konservative Kräfte das Gesetz wieder loswerden wollen, ist die Mehrheit der jungen Menschen in Taiwan dafür. Allerdings haben die vielmals ihr eigenes Problem: Nach gegenwärtiger Rechtslage dürfen sie erst nach Vollendung des 20. Lebensjahres wählen. „Das halten wir für Diskriminierung“, sagt Alvin Chang. Der 26-jährige ist Direktor der Taiwanischen Jugendvereinigung für Demokratie und fordert mit seiner Organisation eine Senkung des Wahlalters. „Für die jetzige Wahl haben wir das noch nicht geschafft. Aber immerhin wird jetzt mehr drüber gesprochen.“
Für die nächste Wahl, in vier Jahren, will Chang auch 18-jährigen eine Abstimmung ermöglichen.
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