Hamburg. Ungewöhnliches Experiment in extrem leistungsorientierten Branche zahlt sich aus. Aber ist das Arbeitszeitmodell auch übertragbar?

In einer Branche, die vom ständigen „Höher, Schneller, Weiter“ getrieben wird, hat der Hamburger Rechtsanwalt Bernfried Rose in seiner Kanzlei die Arbeitszeit reduziert und vor einigen Jahren die Vier-Tage-Woche eingeführt – und damit gute Erfahrungen gemacht. Jetzt zieht er Bilanz. „Wir können die bessere Qualität bieten“, sagt Rose und meint damit die höhere Leistungsfähigkeit, die entsteht, wenn Mitarbeiter ausgeschlafen, fit und zufrieden ins Büro kommen.

Die in Studien angepriesene Produktivitätssteigerung sei so leider aber nicht messbar, räumt Rose ein und verweist auf die zahlreichen Veränderungen während der Corona-Pandemie, die viel Zeit und Energie gekostet habe. Außerdem habe man viele neue Mitarbeiter eingestellt, um dieselbe Arbeit an weniger Tage bewältigen zu können, erklärt er und sagt: „Das kostet natürlich Geld.“

Arbeitsmarkt Hamburg: Gute Karten für Kanzlei dank Vier-Tage-Woche

Insgesamt profitiere man aber von einer hohen Mitarbeiterzufriedenheit und in der Folge wenig Fluktuation in der Belegschaft. Und auch auf dem stark umkämpften Arbeitsmarkt habe man durch das attraktive Arbeitszeitmodell vergleichsweise gute Karten. Die Nachfrage von Mandanten ist dabei nicht gesunken, man verzeichne etwa drei bis viermal so viele Anfragen, wie bearbeitet werden könnten.

Von Montag bis Donnerstag arbeitet Rose in der Kanzlei, die hauptsächlich mittelständische Unternehmen oder vermögende Privatpersonen betreut. An jeden Freitag in der Woche macht er frei, geht schwimmen oder trifft sich mit Freunden – manchmal arbeite er doch ein bisschen, gibt er zu. Mit der Reduzierung der Arbeitszeit hat er schon mit der Geburt seines ersten Kindes vor 13 Jahren angefangen.

36 Wochenstunden für Anwälte – ein Novum in der Branche

Das Modell fand schnell Nachahmer: Im Jahr 2019 entschieden sich die Kanzleipartner das Arbeitszeitmodell für die ganze Belegschaft einzuführen. 36 Stunden für Anwälte und 34 Stunden für die Fachangestellten, bei vollem Lohnausgleich. In einer Branche, in der junge Anwälte durchschnittlich 54 Stunden pro Woche arbeiten, scheint das fast revolutionär.

Ein wenig Rebellentum kann Bernfried Rose nicht abstreiten: „Es sei sicher auch eine Motivation gewesen zu zeigen, dass das möglich ist“, sagt er. Es herrschten so viele Mythen in der Branche, nach der Denkweise „uns hat das auch nicht geschadet, und ihr müsst jetzt auch mal ein bisschen buckeln“. Wer es bis nach oben geschafft hat, dem falle es schwer, ein paar Gänge zurückzuschalten.

Weniger arbeiten – mehr Lebensqualität

Für Rose und seine Kanzlei hat sich das Arbeitszeitmodell also ausgezahlt, das lässt sich aber nicht allgemein übertragen. Wer heute die vier-Tage-Woche einführt, muss vorerst auf die erhoffte Produktivitätssteigerung spekulieren, denn verlässliche Studienergebnisse und Modellprojekte gibt es nur vereinzelt. In einer Untersuchung aus Großbritannien wurde das Arbeitszeitmodell testweise in 61 Unternehmen eingeführt.

Die Mitarbeiter berichteten von einer höheren Lebensqualität und negative Auswirkungen auf die Produktivität wurden nicht festgestellt. Die Mehrzahl dieser Unternehmen entschied sich daher, das Modell vorerst beizubehalten. Gleichwohl gibt es immer wieder Zweifel an der Übertragbarkeit solcher Studien, da sich überwiegend Unternehmen zur Teilnahme bereiterklären, deren Betriebsstruktur sich ohnehin für eine Vier-Tage-Woche eignen.

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Für die Rechtsbranche sei diese Vier-Tage-Woche dennoch eine Gelegenheit, sich von alten Gedankenmustern zu verabschieden, wie etwa der Vorstellung, man könnte einen Mandanten mit einer E-Mail um 23 Uhr beeindrucken, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kanzleimanagement im Deutschen Anwaltsverein, Volker Himmen. Das Thema der Arbeitszeit gewinne in Kanzleien jeglicher Größe an Bedeutung, insbesondere vor dem Hintergrund der Erwartungen junger Kollegen, sagt er.

Vier-Tage-Woche auch branchenweit realistisch

Die Vier-Tage-Woche könne man schließlich auch als Beweis effizienter Arbeitsstrukturen sehen und allein, weil sie zur Aufrechterhaltung der kanzleieigenen Wettbewerbsfähigkeit beitragen könnte, hält er die Umsetzung der Vier-Tage-Woche auch branchenweit für realistisch.

Warum folgen andere größere Kanzleien diesem Weg nicht? Laut Peter Herkenhoff, Pressesprecher der Großkanzlei Noerr, spielt die Vier-Tage-Woche für viele Nachwuchsjuristen ganz einfach eine untergeordnete Rolle. Zwar gibt es einen hohen Engpass an hochqualifizierten Juristen mit überdurchschnittlichen Staatsexamina, aber die Praxis habe gezeigt, dass eine Verringerung der Arbeitszeit bei anderen Kanzleien nicht dazu geführt hat, beim Nachwuchs attraktiver zu sein.

Arbeitsmarkt Hamburg: Junge Rechtsanwälte ausgebremst

Auch Bernfried Rose räumt ein, dass die Verringerung der Arbeitszeit manche jüngeren Kollegen ausgebremst habe. Somit sei die „Vier-Tage-Woche“ auch nicht der Heilige Gral, sagt er. Um die Lebensqualität der Belegschaft zu fördern und damit letztlich mehr Produktivität zu erreichen, brauche es weitere aktive Bemühungen.

Derzeit versuche man die Ablenkung von der Arbeit durch E-Mails und Anrufe mithilfe sogenannter Fokuszeiten zu reduzieren, und durch eine selbstständige Partnerschaft mit Umsatzbeteiligung wolle man eine großmöglichste Individualisierung der Arbeitszeit für die Anwälte ermöglichen. Rose gibt auch zu bedenken, dass das Modell nicht ohne weiteres auf andere Branchen zu übertragen ist. „Viele Wirtschaftskanzleien sind Gelddruckmaschinen“, da habe man viel unternehmerische Gestaltungsfreiheit, in anderen Arbeitsbereichen wie der Industrie sehe das ganz anders aus. Für ihn und seine Kanzlei sei aber klar: „Unterm Strich haben wir damit alle etwas gewonnen“.