Berlin. Ein russisches Militärmanöver in der Karibik weckt im Westen alte Ängste. Der Kremlchef spielt mit der Furcht vor einer Eskalation.
Die Nachricht aus Havanna sorgte in westlichen Hauptstädten für erhöhten Puls. Das Atom-U-Boot „Kasan“ sowie drei weitere russische Marineschiffe würden vom 12. bis zum 17. Juni in der kubanischen Hauptstadt Station machen, kündigte das dortige Verteidigungsministerium am Donnerstag an.
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Die US-Zeitung „Miami Herald“ hatte zuvor berichtet, Russland plane in den kommenden Wochen in der Karibik Militärübungen mit Flugzeugen und Kriegsschiffen. Es wären die ersten russischen Manöver in der westlichen Halbkugel mit Luft- und Seekomponenten seit fünf Jahren – und damit auch seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.
Die Kombination von Nuklearkomponente, Waffen und Kuba sorgte bei den Militärs zwischen Washington und Warschau zumindest gedanklich für ein Déjà-vu: Im Oktober 1962 hielt die Kubakrise die Welt in Atem. Die Spannungen zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion schaukelten sich derart hoch, dass für viele ein Dritter Weltkrieg in der Luft lag.
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Amerikanische Aufklärungsflugzeuge hatten entdeckt, dass die UdSSR nukleare Mittelstreckenraketen und mehr als 40.000 Soldaten auf dem sozialistisch regierten Kuba stationiert hatte. Von Havanna in die amerikanische Inselstadt Key West sind es gerade mal 145 Kilometer. Im Pentagon befürchtete man die Aufstellung von Raketenabschussrampen und einen Angriff auf amerikanisches Territorium. US-Präsident John F. Kennedy verhängte zunächst eine Seeblockade gegen Kuba. In letzter Minute gelang eine Einigung mit dem sowjetischen Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow: Die Amerikaner verzichteten auf eine Invasion in ihrem Hinterhof und zogen ihre bereits 1959 in der Türkei installierten Raketen ab. Die Sowjets entfernten im Gegenzug ihre Flugkörper auf Kuba.
Westliche Waffen für Ukraine: Putin drohte mit „asymmetrischer Antwort“
Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der mit den Angstreflexen der westlichen Öffentlichkeit bestens vertraut ist, ist der historische Vergleich mit der Kubakrise durchaus beabsichtigt. Bei einer Pressekonferenz mit Vertretern großer internationaler Nachrichtenagenturen am Mittwoch drohte er mit einer „asymmetrischen Antwort“.
Wenige Tage zuvor hatten wichtige Nato-Partner wie die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland der Ukraine erlaubt, westliche Waffen auch für Ziele unmittelbar hinter der Grenze zu Russland einzusetzen. Dies sollte dazu dienen, dass die Kiewer Truppen die unter russischem Dauer-Bombardement stehende Stadt Charkiw im Nordosten des Landes verteidigen können.
Wladimir Putin brachte sofort Gegenmaßnahmen ins Spiel. „Wir denken darüber nach, dass falls jemand es für möglich hält, Waffen in die Kampfzone zu liefern, um Angriffe auf unser Gebiet durchzuführen (...), warum wir dann nicht das Recht haben sollten, solche Waffen in Weltregionen aufzustellen, wo Angriffe auf sensible Objekte derjenigen Länder ausgeführt werden, die das in Bezug auf Russland tun?“, stichelte er.
Putins Botschaft ist klar
„Angriffe auf sensible Objekte“: Es könnte sich um Cyberattacken auf westliche Regierungen, Stromversorger oder Krankenhäuser handeln, aber auch um die Zerstörung von Munitionsdepots oder Militärbasen. Putin lässt seine Antwort bewusst im Nebulösen, um die Fantasie der anderen Seite anzuregen und Ängste zu befeuern. Doch die Botschaft ist klar: Der Einsatz von westlichen Waffen gegen Ziele in Russland hat Folgen. Es ist eine Kulisse der Verunsicherung und Einschüchterung, die den innenpolitischen Druck auf die westlichen Regierungen erhöhen und die Gegner der Waffenlieferungen an der Ukraine stärken soll.
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Dass Putin ausdrücklich bei der möglichen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern der Bundeswehr mit einer „endgültigen Zerstörung der deutsch-russischen Beziehungen“ droht, ist Teil des Muskelspiels. Er operiert wie so oft mit einer Täter-Opfer-Umkehr. In seiner Propaganda-Wolke greift der Westen Russland an, die russische Aggression gegen die Ukraine spielt keine Rolle.
Der Kremlchef fühlt sich nicht zuletzt durch die „felsenfeste Beziehung“ zu China stark. Die Verschickung des Atom-U-Boots nach Kuba soll Richtung Washington das Signal aussenden: „Russland sieht sich auf Augenhöhe mit der Supermacht Amerika.“ Im Zweifel gilt der Grundsatz „Tit for tat – wie du mir, so ich dir“.
Der Wink mit der atomaren Keule
Putin spielt seit Beginn des Ukraine-Kriegs auf der Klaviatur der Angst. Wenige Tage nach dem Start der Invasion teilte er demonstrativ mit, dass die atomaren Streitkräfte Russlands in Alarmbereitschaft stünden. Auch die kürzliche Ankündigung von taktischen Nuklearübungen nahe der Grenze zur Ukraine gehört zu dem Manöver.
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Der Wink mit der atomaren Keule ist ein Teil von Putins Herrschaftsautomatik. Tatsache ist: Der Westen stattete die Ukraine sukzessive mit modernen Waffen aus – von Kampfpanzern wie Leopard bis hin zu britisch-französische Raketen vom Typ Storm Shadow/Scalp. Doch eine Eskalation blieb aus.
Der amerikanische Präsident Joe Biden signalisiert dennoch, dass auch für die Ukraine rote Linien gelten. Die von seinem Land an die Ukraine gelieferten Waffen dürften nicht für Angriffe auf Moskau oder andere Ziele im Inneren Russlands verwendet werden, sagte Biden dem US-Sender ABC News. Erlaubt seien nur Attacken in Russland, „gerade jenseits der Grenze“. Für Biden gilt im US-Wahljahr die Devise: Zwischen der militärischen Ausrüstung der Ukraine, der Abschreckung Russlands und der Vermeidung einer Eskalation ist nur ein schmaler Grat.
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