Berlin. Der Militärexperte hält die russische Offensive bei Charkiw für gebrochen – aber nicht vorbei. Die Ukraine sieht er in der Initiative.
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Carlo Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
Die Waffen aus dem 60-Milliarden-Dollar-Paket der USA sind an der Front im Einsatz. Zeigen sie die erhoffte Wirkung?
Carlo Masala: Die Waffen sind schon länger dort. Was wirklich Wirkung zeigt, ist die Erlaubnis der Verbündeten für die Ukraine, mit westlichen Waffen Ziele auf russischem Territorium angreifen zu dürfen. Wir sehen, dass die russischen Angriffe auf Charkiw deshalb ins Stocken geraten sind. Wir sehen auch, dass von Belgorod aus nicht mehr mit der Intensität nach Charkiw rein geschossen wird.
Der Kampf um Charkiw war für Russland also bislang nicht sehr erfolgreich und extrem verlustreich.
Das ist bisher jeder Kampf gewesen. Die Russen verlieren bei all ihren Aktionen überproportional viele Soldaten. Sie schicken schlecht ausgebildete, schlecht bewaffnete Leute in Massen in die Kämpfe, das ist Teil der russischen Strategie. In Charkiw hat die Ukraine den Druck dieser russischen Offensive gebrochen. Das heißt nicht, dass sie vorbei ist, macht aber deutlich, wie wichtig die Erlaubnis war, westliche Waffen auf russischem Gebiet einsetzen zu können. Es war eine politische Entscheidung, und sie ist leider sehr spät gekommen.
Kann die Ukraine mit den westlichen Waffen die Initiative zurückgewinnen?
Nein. 2024 wird dadurch gekennzeichnet sein, dass die Verteidigungslinien im Osten und im Südosten gehalten werden. Die Initiative hat die Ukraine mit Blick auf die Krim. Die ukrainische Armee ist in der Lage, verschiedenste Ziele auf der Krim anzugreifen. Die Russen sind gezwungen, ihre Luftabwehr zu verstärken.
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Womit rechnen Sie in Bezug auf die Krim? Kann die wichtige Brücke doch zerstört werden?
Die Brücke wird nicht fallen, die Ukrainer haben nicht die militärische Fähigkeit, sie zu zerstören. Aber wir sehen ja, wie die Ukraine systematisch Flugabwehrstellungen und Depots auf der Krim angreift und zerstört.
Werden die F-16 Kampfflugzeuge, die offenbar jetzt im Sommer kommen sollen, einen Unterschied machen?
Das ist kompliziert und schwer zu beantworten. Erstens: Wir wissen nicht, mit welcher Bewaffnung die F-16 kommen. Werden die F-16 in der Lage sein, von ukrainischem Territorium aus russische Bomber auf russischem Gebiet abzuschießen? Das ist offen. Zweitens: Noch ist unklar, wo sie eingesetzt werden. Man muss wissen: Die russische Luftwaffe ist letzten Endes dafür trainiert, Luft-Luft-Kämpfe gegen die Luftwaffe der Nato durchzuführen.
Wenn die Ukrainer ihre F-16 im Osten einsetzen wollen, könnte die russische Luftwaffe stärker in diesen Konflikt eingreifen und dann könnte es für die Ukrainer mit Blick auf die F-16 durchaus kritisch werden. Es kann aber auch sein, dass die Ukrainer die F-16 ganz woanders einsetzen – zum Beispiel auf der Krim. Dort könnten sie noch mehr Zerstörung als bisher durchführen.
Der russische Präsident Wladimir Putin war gerade bei Kim Jong Un in Nordkorea. Es wurde ein Beistandsabkommen abgeschlossen. Wer profitiert mehr von dieser Allianz?
Es ist eher ein halber Beistandspakt – ohne das Versprechen, im Konfliktfall militärisch einzugreifen, sondern nur das Versprechen, sich gegenseitig zu unterstützen. Profiteur der Allianz ist Nordkorea, weil Putin das Land und Kim aufwertet.
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Wie brutal wird der kommende Winter in der Ukraine?
Wir müssen davon ausgehen, dass Russland mit der Zerstörung der kritischen Infrastruktur weitermacht. Bislang konnte vieles repariert oder ersetzt werden. Aber vor dem Winter ist zu erwarten, dass die Angriffe noch intensiver werden. Der Winter wird mindestens so hart wie der im Jahr zuvor.
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