Meseberg. Zusammen packen wir es an. Diese Botschaft wollten Scholz und Macron ausstrahlen. Schließlich prescht aber doch einer von ihnen vor.
Nach der Party kommt der Alltag. Da geht es einem Staatschef nicht besser als einem normalen Arbeitnehmer. Am Dienstag konnte man das beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron beobachten: Drei Tage war er in Deutschland auf Staatbesuch, feierte in Berlin, Dresden und Münster die deutsch-französische Beziehungen.
Doch der Dienstagnachmittag stand schon wieder im Zeichen der Arbeit. In Meseberg nördlich von Berlin gab es Gespräche auf Regierungsebene. Macron, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und ihre wichtigsten Minister sprachen über Europas Sicherheit und seine Wettbewerbsfähigkeit. Waffensysteme statt Bürgerfest, Entbürokratisierung statt feierlicher Grundsatzrede und Westfälischem Friedenspreis: Zwischen dem pompösen Auftritt und den Mühen der Ebene liegen mitunter nur ein paar Stunden.
Ukraine-Krieg: Scholz und Macron nicht immer einig
Im Verhältnis zwischen Präsident und Kanzler hatte es in den vergangenen zwei Jahren häufig geknirscht. Wenn es etwa um die Unterstützung der Ukraine geht oder um den Kurs gegenüber Russland und China, dann marschieren Macron und Scholz nicht immer im Gleichschritt.
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Dennoch scheinen sie jetzt entschlossen zu sein, durch die Arbeit an konkreten Themen den deutsch-französischen Motor wieder ans Laufen zu bringen. In weniger als zwei Wochen finden die Europawahlen statt, beide Staatslenker dürften dabei den Zorn der Wähler zu spüren bekommen. Sie können es sich jetzt nicht leisten, ihre persönlichen Befindlichkeiten und Animositäten zu pflegen. Zusammen packen wir es an: Das sollte die Botschaft von Meseberg sein.
Scholz und Macron demonstrieren Geschlossenheit
Am frühen Abend traten Scholz und Macron vor die Kameras und Mikrofone und waren sichtlich um Harmonie bemüht. Im Hof des Barockschlosses überschütteten sie sich förmlich gegenseitig mit Lob und Komplimenten. Eine Krise in den deutsch-französischen Beziehungen? Das Gerede darüber sei so alt wie die Beziehungen selbst, sagte Macron. Und der Kanzler sekundierte: „Wir einigen uns immer.“
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Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, das ist einer der großen neuen Arbeitsschwerpunkte. „Wir brauchen einen Investitions-Schock in Europa“, sagte der französische Präsident. Es geht um klimafreundliche Technologien und Energieerzeugung, Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Dafür soll neben staatlichem Geld im großen Stil privates Kapital mobilisiert werden. Es gehe darum, die eigenen Fähigkeiten zu stärken und strategische Abhängigkeiten zu vermindern, sagte Scholz.
Nach den Vorstellungen des Kanzlers und des Präsidenten sollen diese Themen im Zentrum der Arbeit der nächsten EU-Kommission stehen. Die Führung der Brüsseler Exekutive wird in den kommenden Monaten im Lichte der Europawahl-Ergebnisse neu gebildet. Ob die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen an ihrer Spitze bleibt, lässt sich jetzt noch nicht mit Gewissheit sagen.
Neue Hilfen für die Ukraine
Scholz und Macron wollen, dass Europa eine weltweit führende Industrie- und Technologiemacht bleibt und zugleich der erste klimaneutrale Kontinent wird. Dafür brauche es mehr Innovation, mehr Gemeinsamen Markt, mehr Investitionen, mehr gleiche Wettbewerbsbedingungen und weniger Bürokratie. „Genauso wichtig ist, dass wir das Dickicht an Bürokratie lichten“, sagte Scholz. Auch an einem gesamteuropäischen Kapitalmarkt soll verstärkt gearbeitet werden: „Zu viele Unternehmen wenden sich zur Wachstumsfinanzierung auf die andere Seite des Atlantiks“, sagte der Kanzler. Zudem flössen zu viele private Ersparnisse ab.
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Die Wirtschaft ist das eine große Thema auf der deutsch-französischen Agenda. Das andere ist die Sicherheit. Beide Staatslenker wollen die Verteidigungsfähigkeit Europas stärken, das schließt auch gemeinsame Rüstungsprojekte ein. Die Ukraine soll in ihrem Kampf gegen Russland so lange unterstützt werden, wie das notwendig ist.
Scholz und Macron stellten am Dienstag auch neue Finanzhilfen für Kiew in Aussicht – und zwar „in Milliarden-Dimensionen“, wie der Kanzler sagte. Bis zum G7-Gipfel in Italien im Juni wollen beide Regierungen ein Konzept erarbeiten, wie Zinseinnahmen aus eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank zugunsten der Ukraine eingesetzt werden können. In der Gruppe der sieben größten westlichen Industriemächte (G7) wird schon seit geraumer Zeit über dieses Thema diskutiert, es ist aber rechtlich heikel. Die USA hatten zuletzt vorgeschlagen, der Ukraine einen umfangreichen Kredit zu geben, der durch Zinserträge aus russischem Geld abgesichert werden könnte.
Angriffe auf russischem Territorium? Macron prescht vor – Scholz zögert
Macron überraschte in Meseberg noch mit einer besonderen Ankündigung in Sachen Ukraine: Er will den ukrainischen Streitkräften gestatten, mit westlichen Waffen Militärbasen auf russischem Territorium anzugreifen. Das soll es den Russen erschweren, Raketen über die Staatsgrenze hinweg auf Ziele in der Ukraine abzuschießen – so wie das etwa im Großraum Charkiw geschieht.
„Wir sollten nicht erlauben, andere Ziele in Russland zu treffen, zivile Kapazitäten natürlich oder andere militärische Ziele“, sagte Macron. Bisher hatte er sich – so wie andere westliche Staatslenker auch – dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verweigert, den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland zu gestatten. Kanzler Scholz ließ am Dienstag in Meseberg offen, ob auch er seine Position in dieser Frage ändert. Er sagte, die Ukraine habe völkerrechtlich alle Möglichkeiten für das, was sie tue. „Das muss man ausdrücklich sagen: Sie ist angegriffen und darf sich verteidigen.“
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