Berlin. Von unserem Nachbarn könnten wir „einiges lernen“, sagt ein Experte. Nicht nur, was die Wirtschaft betrifft, hat Frankreich einen Lauf.

Große Geste, aber auch großes Selbstbewusstsein: Zum ersten Mal seit 24 Jahren absolviert ein französischer Präsident wieder einen offiziellen Staatsbesuch in Deutschland, die Reise von Emmanuel Macron soll der deutsch-französischen Freundschaft neuen Schub geben. Macron kommt mit viel Selbstvertrauen in die französischen Stärken, gute Wirtschaftsdaten geben ihm Rückenwind. Sechs Dinge, die Frankreich aktuell besser macht.

Erstens: Frankreichs Wirtschaft wächst stärker

Frankreichs Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren besser durch die Krisen gekommen als die Deutschlands, nachdem Macron wichtige Reformen bei Rente, Arbeitsmarkt und Unternehmenssteuern durchgesetzt hat. 2023 wuchs das französische Bruttosozialprodukt immerhin um 0,9 Prozent, während das deutsche um 0,3 Prozent schrumpfte. Bei ausländischen Investoren ist Frankreich heute die europäische Nummer eins.

Deshalb ist Macron jetzt besonders selbstbewusst – auch wenn Deutschland die größte Volkswirtschaft der EU bleibt mit einem relativ starken Industriesektor. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte unserer Redaktion: „Frankreich hat in den vergangenen Jahren sehr viel größere und wichtigere Reformen umgesetzt als Deutschland.“ Davon könne man hierzulande einiges lernen.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), nennt Frankreich als Vorbild.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), nennt Frankreich als Vorbild. © DPA Images | Bernd von Jutrczenka

Die hohe Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, die große Bedeutung der Industrie und die Offenheit der deutschen Volkswirtschaft nennt Fratzscher als Grund dafür, dass sich die Wirtschaft hierzulande zurzeit schwächer entwickelt als die französische. Aber: „Dies dürfte sich jedoch in den kommenden Jahren wieder ändern, wenn die Erholung der Weltwirtschaft vor allem den deutschen Exporteuren nutzen dürfte“, sagt der DIW-Chef.

Er verweist darauf, dass die deutsche Wirtschaft in den 2010er Jahren stärker gewachsen sei und sich im globalen Wettbewerb „hervorragend behauptet“ habe. Die gegenwärtige wirtschaftliche Schwäche sollte Deutschland als Warnung dienen, um von der eigenen Überheblichkeit abzukommen und Reformen anzustoßen, meint Fratzscher.

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Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit Europas würden entscheidend davon abhängen, ob die deutsch-französische Partnerschaft wieder gestärkt werde und sich beide auf gemeinsame Ziele einigen könnten. „Dafür muss Deutschland wieder mehr Verantwortung für Europa übernehmen und seine Blockadehaltung bei wichtigen europäischen Reformen aufgeben.“

Und: Deutschland und Frankreich seien nicht in erster Linie wirtschaftliche Wettbewerber, sondern Partner, ihre sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften ergänzten sich gut. Frankreichs großes Problem: Die Staatsverschuldung ist stark gestiegen, sie ist jetzt höher als die Italiens.

Zweitens: Der Strompreis ist in Frankreich viel niedriger

Der Strompreis für private Haushalte betrug in Deutschland 2023 rund 41 Cent pro Kilowattstunde, so hoch sonst nirgends im europäischen Ländervergleich. Frankreich lag mit 23,2 Cent deutlich darunter. Das Land profitiert von seinem relativ günstigen Atomstrom, der rund 70 Prozent der Elektrizitätsproduktion ausmacht.

Das Atomkraftwerk im französischen Saint-Vulbas. Weil Frankreich den Großteil seiner Elektrizität aus Atomkraftwerken bezieht, ist der Strompreis deutlich niedriger als in Deutschland.
Das Atomkraftwerk im französischen Saint-Vulbas. Weil Frankreich den Großteil seiner Elektrizität aus Atomkraftwerken bezieht, ist der Strompreis deutlich niedriger als in Deutschland. © AFP via Getty Images | Olivier Chassignole

Drittens: Rhetorisch unterstützt Macron die Ukraine stärker

In seinen öffentlichen Reden gibt Macron der Ukraine stärkeren Rückhalt als die Bundesregierung. Die westlichen Staaten seien zu zögerlich gewesen, sie dürften jetzt nicht schwach sein, sagt der Präsident und schließt ausdrücklich den Einsatz von Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht aus – ein Tabu für Kanzler Olaf Scholz (SPD). Allerdings entsprechen die tatsächlichen Militärhilfen aus Paris nicht ganz der Rhetorik.

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    Frankreich gibt seine Militärhilfen bis Ende 2023 mit 3,8 Milliarden Euro an, das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) spricht sogar von nur 662 Millionen Euro – auf jeden Fall weit weniger als die 17,1 Milliarden Euro aus Deutschland. Frankreich schickte unter anderem „Caesar“-Haubitzen, Flugabwehr-Systeme des Typs „Crotale“ und AMX-Spähpanzer. Besonders verweist Macron auf die Lieferung von Scalp-Marschflugkörpern – die fliegen 250 Kilometer weit, die deutschen Taurus-Marschflugkörper kommen mit 500 Kilometern auf die doppelte Reichweite. Ein Grund, warum Scholz keine Taurus liefern will.

    Viertens: Frankreich ist die führende Militärmacht der EU

    Frankreich sieht sich als die führende Militärmacht der EU. Diese Einschätzung speist sich aus seinem Status als Atommacht mit rund 300 Atombomben im Depot, einer Armee mit viel Erfahrung in – oft offensiven – Auslandseinsätzen und einer starken Rüstungsindustrie. Allerdings haben die Streitkräfte nach heftigen Sparrunden mit knappen Reserven zu kämpfen, was ein Grund ist, warum Frankreich zum Beispiel keine Leclerc-Kampfpanzern an die Ukraine abgibt.

    Franzöische Soldaten bei einer Militärübung in Dakar, der Hauptstadt von Senegal. Frankreich hatte in den vergangenen Jahren im Durchschnitt deutlich mehr Soldaten in Auslandseinsätzen als Deutschland.
    Franzöische Soldaten bei einer Militärübung in Dakar, der Hauptstadt von Senegal. Frankreich hatte in den vergangenen Jahren im Durchschnitt deutlich mehr Soldaten in Auslandseinsätzen als Deutschland. © Anadolu/Getty Images | Getty Images

    Bei der Personalstärke der Armee liegt Frankreich mit 203.000 aktiven Soldaten vor Deutschland mit 183.000 Soldaten, auch die Gesamtinvestitionen über die vergangenen 20 Jahre sind mit 340 Milliarden Euro höher als in Deutschland mit 184 Milliarden Euro. Frankreich hat zudem in den vergangenen Jahren 10.000 Soldaten mehr pro Jahr auf internationale Einsätze geschickt als Deutschland. Eine Studie des Bonn International Centre for Conflict Studies kommt aber zum Ergebnis, dass die Bundeswehr mit den Streitkräften Frankreichs (und Großbritanniens) durchaus mithalten kann.

    Fünftens: Im Fußball gewinnen „Les Bleus“ mehr Duelle

    Auch wenn die deutsche Elf beim jüngsten Match im März die Franzosen mit 2:0 besiegte – in der historischen Bilanz der direkten Duelle der Nationalmannschaften steht Vize-Weltmeister Frankreich besser da: Von den 35 Begegnungen gewann Frankreich 16 Spiele, Deutschland zwölf, sieben Spiele endeten unentschieden. Andererseits: Deutschland war viermal Fußball-Weltmeister, Frankreich erst zweimal. Auch bei den Europameisterschaften liegt Deutschland mit drei Titelgewinnen vor Frankreich mit zwei Titeln.

    Im März verlor Frankreich in Lyon das Länderspiel gegen Deutschland, doch seine Duell-Bilanz ist positiv. Die Aufnahme zeigt Frankreichs Kylian Mbappé während des Länderspiels in Aktion.
    Im März verlor Frankreich in Lyon das Länderspiel gegen Deutschland, doch seine Duell-Bilanz ist positiv. Die Aufnahme zeigt Frankreichs Kylian Mbappé während des Länderspiels in Aktion. © DPA Images | Christian Charisius

    Sechtens: Frankreich hat dreimal mehr 3-Sterne-Restaurants

    Bouillabaisse, Boeuf bourguignon oder Crème brûlée: Gutes französisches Essen gehört zur Nationalkultur der Nachbarn. Der Ruf als Feinschmecker-Nation wird gepflegt: Frankreich hat die meisten 3-Sterne-Restaurants weltweit, 29 sind es aktuell. Deutschland hat nur neun. Frankreich ist der weltweit größte Weinproduzent, Deutschland kommt erst auf Platz zehn.

    Pro Kopf tranken die Franzosen zuletzt 45,8 Liter Wein im Jahr, die Deutschen beließen es bei 26,6 Litern. Dafür liegen wir beim Bierkonsum vorn mit 90 Liter pro Kopf jährlich, in Frankreich sind es nur 33 Liter. Aber: Der Weinkonsum sinkt in Frankreich rapide, das obligatorische Gläschen zum Mittag ist für viele Franzosen längst passé – und Bier wird bei den Nachbarn immer beliebter.