Ministerpräsidentin findet keine Mehrheit im slowakischen Parlament für den Rettungsschirm EFSF. Europa verliert wertvolle Zeit.

Bratislava. Es war gestern gegen Mittag, als slowakische Medien die "sehr große Hoffnung" des Chefs der EU-Kommission, José Manuel Barroso, zitierten, dass die Abstimmung im slowakischen Parlament über den erweiterten Euro-Rettungsschirm positiv ausfallen möge. Zur gleichen Zeit strömten die Abgeordneten des Nationalrates hoch über der Donau ins Parlamentsgebäude und hörten aus einem Radio in der Wache den Schlager "Time To Say Goodbye". Letzteres klang symbolisch wie ein Schwanengesang auf das erweiterte Euro-Rettungspaket und die slowakische Regierung. Zu dieser Stunde nämlich war schon klar, dass die Euro-Rettung, die zuvor von allen anderen 16 Staaten der Euro-Zone abgesegnet worden war, im slowakischen Parlament keine Mehrheit bekommen und damit quasi auf der Zielgeraden ebenso scheitern würde wie die Regierung. Um kurz nach 22 Uhr war es dann Gewissheit, dass die Erweiterung keine Mehrheit im Parlament hat.

Die christliberale Regierungschefin Iveta Radicova hatte zuvor noch einmal versucht, ihre widerspenstigen Koalitionspartner von der neoliberalen Partei Freiheit und Solidarität (SaS) unter Parlamentspräsident Richard Sulik zur Zustimmung zum größeren Rettungspaket zu bewegen. Vergeblich. Daraufhin erklärte sie, die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verknüpfen zu wollen. Die SaS lehnte dieses Vorgehen ab und kündigte an, der Abstimmung demonstrativ fernbleiben zu wollen. Damit, das war schon rein rechnerisch klar, bekäme Radicova in keinem Fall eine Mehrheit für den Rettungsschirm.

Die Ankündigung der SaS, an der Abstimmung nicht teilnehmen zu wollen, bedeutete auch, dass die bürgerliche Regierung über der Euro-Rettung zerbrechen würde. Radicova hatte noch einmal flehentlich die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit des Landes gegenüber den Partnern beschworen. "Die Slowakei ist keine Insel, und wir sind nicht Robinson." Schon gar nicht in Zeiten, da Europa und die Welt die schwierigste Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges durchleiden. Hier könne man nur verantwortlich und gemeinsam handeln. Für sie als Premierministerin sei es unannehmbar, dass die Slowakei mit einem Nein zur erweiterten Euro-Rettung in die Isolation gerate.

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Bei Sulik verfing das nicht. Er wiederholte in der Debatte vor der Abstimmung noch einmal seine grundlegenden Argumente gegen den erweiterten Euro-Rettungsschirm, was in dem Satz gipfelte: "Dieses Projekt widerspricht dem gesunden Menschenverstand." Die Slowakei sei das ärmste Euro-Mitgliedsland, müsse aber proportional den größten Anteil an Hilfsgeldern zahlen, wenn die denn fällig würden. "Ein Slowake müsste dafür durchschnittlich 300 Arbeitsstunden aufbringen, ein Deutscher lediglich 120." Das Durchschnittseinkommen in der Slowakei liege bei 800 Euro, die Durchschnittsrente bei nicht einmal 400 Euro. Die Slowaken hätten hart gespart - im Gegensatz zu den Griechen. Niemand könne deshalb den Slowaken erklären, dass sie vielfach höhere Einkommen und Renten in Griechenland oder woanders in der Euro-Zone stützen sollten. Das sei eine "perverse Solidarität", die dem Steuerzahler da abverlangt werde. Jedes Land sei für sich selbst verantwortlich, müsse verantwortungsbewusst wirtschaften. Wer zu viele Schulden angehäuft habe und diese nicht mehr begleichen könne, müsse pleitegehen.

Argumente, die im Wahlkampf vor einem Jahr auch noch die anderen Parteien der Regierungskoalition geteilt hatten. Beim ersten Rettungspaket für Griechenland war die Slowakei auch schon ausgeschert. Seinerzeit störte das nicht weiter, weil die Euro-Länder nicht einstimmig darüber befinden mussten. Das war jetzt anders. Unter dem Druck der Einstimmigkeit schwenkte fast die komplette Regierung um auf den Kurs aus Brüssel, Berlin oder Paris. Nur eben Sulik nicht.

Einen Hoffnungsschimmer für die Befürworter des Euro-Rettungspakets gibt es jedoch: Das Scheitern des Euro-Rettungsschirms gestern muss nicht dessen Aus bedeuten. Radicova hat sich persönlich gegenüber Angela Merkel und den anderen Chefs der Euro-Partnerländer verpflichtet, die Sache zu einem guten Ende zu bringen. Notfalls müsste sie dazu als womöglich geschäftsführende Premierministerin die Opposition ins Boot holen. Der frühere sozialdemokratische Premier und jetzige Oppositionsführer Robert Fico ist prinzipiell für den Euro-Rettungsschirm, wollte gestern nur aus innenpolitischem Kalkül nicht dafür stimmen, um die Regierung zu Fall zu bringen. Fico ist bereit, in einer zweiten Abstimmung in den nächsten Tagen Ja zu sagen, wenn er dafür Neuwahlen bekommt. Eine zweite Abstimmung wäre laut Verfassung möglich, weil es sich beim Euro-Rettungsschirm um ein "internationales Gesetz" handelt.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, erhöhte unterdessen indirekt den Druck auf die Slowakei. Der Notenbankchef sagte in Brüssel vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments, die Krise habe mittlerweile eine "systemische Dimension" erreicht, gefährde also das gesamte Finanzsystem und die Euro-Zone als solche. Trichet sprach sich erneut dafür aus, den EFSF so flexibel wie möglich einzusetzen.

Die aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EZB zusammengesetzte sogenannte Troika gab gestern grünes Licht für weitere Hilfen für das überschuldete Griechenland, hat aber auch noch etlichen Reformbedarf aufgelistet. Für das Bundesfinanzministerium ist damit aber noch kein Beschluss über die sechste Hilfstranche für die Griechen getroffen. Vor einer Entscheidung müsse der Bericht der Experten erst ausgewertet werden, sagte ein Sprecher. "Das Statement (der Troika) weist in allgemeiner Weise Licht und Schatten auf", ergänzte er. "Wir warten jetzt den Bericht ab, werden diesen dann analysieren und bewerten und dann entscheiden, was mit der sechsten Tranche passiert." Die Euro-Finanzminister sollen das nächste Mal vor dem Europäischen Rat am23. Oktober zusammenkommen.