Entweder diszipliniert die europäische Politik jetzt die Märkte - oder sie wird scheitern.
Es gibt Versprechen, die machen Angst. Gestern erklärte Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, das Geld der Sparer sei absolut sicher. Das erinnert an die denkwürdige Pressekonferenz vom 5. Oktober 2008. Damals hatten Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück überraschend erklärt, die Ersparnisse der Bürger seien sicher. Zwar behielten die Großkoalitionäre an diesem Oktobertag recht - zugleich aber machten sie auch noch dem letzten Bundesbürger klar, dass eine Kernschmelze des Finanzsystems drohe.
Drei Jahre später ist die Gefahr zurück. Mit einem dramatischen Appell hat der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet gestern Europa in der Schulden- und Bankenkrise zu raschem Handeln aufgefordert. Die Krise sei von "systemischer Dimension" und bereits von kleineren auf größere EU-Staaten übergesprungen. Das mag ein letzter Warnruf an die Slowaken gewesen sein, die am Abend trotzdem die Beteiligung ihres kleinen Landes am großen Rettungsschirm erst einmal ablehnten.
Zweifellos, die Situation ist dramatisch - möglicherweise noch dramatischer als bei der Finanzkrise infolge der Lehman-Pleite. Denn anders als vor drei Jahren sind die Staaten heute viel weniger in der Lage, die Feuerwehr zu spielen, Garantien für taumelnde Banken zu übernehmen oder milliardenschwere Konjunkturprogramme aufzulegen. Wieder lodert es, doch das Löschwasser geht zur Neige.
Zudem wächst die Wut in der westlichen Welt: Vor drei Jahren sahen die Menschen staunend, ja paralysiert zu, wie Zocker die Weltwirtschaft ins Wanken brachten. Nun demonstrieren in den Finanzmetropolen immer mehr Menschen - nach der Besetzung der Wall Street sind für das Wochenende Aktionen in Frankfurt am Main geplant. Auch wenn einige Parolen dieser Anti-Bankenbewegung arg verschwörungstheoretisch und sozialromantisch anmuten, im Kern bedienen sie ein weit verbreitetes Unbehagen: das Unbehagen, dass eine supranationale Finanzoligarchie mit den demokratisch gewählten Regierungen Schlitten fährt. Das Unbehagen, dass ein Grundprinzip der Marktwirtschaft, wonach Pleiten möglich sein müssen, bei den Banken außer Kraft gesetzt wurde. Das Unbehagen, dass für die Party einiger ein ganzer Kontinent bluten muss.
Wie schon 2008 dürfte in den kommenden Wochen eine Lösung beziehungsweise Linderung der Finanzkrise nur nach dem bekannten Muster laufen: Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste werden sozialisiert. Griechenland ist ohne einen Schuldenschnitt nicht zu retten, der Euro sehr wohl. Aber es wird ein teures Unterfangen. Wer heute mit Steuergeld etwa französische Banken rettet, die sich mit renditestarken Griechenland-Anleihen vollgepumpt haben, sollte die Frage stellen dürfen, wohin denn die Zinsen dieser Griechen-Anleihen einstmals geflossen sind - ein kleiner Teil sicher in Steuern, ein größerer Teil vermutlich in Boni und Dividenden. Bei allem Argwohn gegenüber den Besetzern der Finanzviertel und ihren populistischen Trittbrettfahrern der Linkspartei - es ist an der Zeit, dass diese Fragen von den Bürgern aufgeworfen werden und die Politik sie beantwortet. Man sollte Angela Merkel an ihre Worte vom 5. Oktober 2008 erinnern: Sie betonte damals, diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, würden zur Verantwortung gezogen werden. "Das sind wir auch den Steuerzahlern in Deutschland schuldig." Möglicherweise liegt in dieser Finanzkrise 2.0, die wir nun durchleiden, sogar eine Chance - endlich die Märkte und ihre Akteure zu disziplinieren und zu regulieren. Nach der Lehman-Pleite versäumten die G-20-Staaten den großen Wurf, weil die Gesundung schnell, zu schnell kam. Es wäre nicht nur fahrlässig, diese Chance nun auszulassen - es wäre lebensgefährlich.