Der FDP-Chef versucht es mit Fußball-Vergleichen nach der denkwürdigen Berlin-Klatsche und beschwört die zweite Regierungshalbzeit.
Berlin. Er wirkt ratlos im Abstiegskampf, der FDP-Chef Philipp Rösler. Langsam realisiert die FDP die vernichtende Berlin-Niederlage. Und wenn Männer nicht mehr weiter wissen, reden sie über Fußball. So auch das FDP-Spitzenpersonal. Hannover 96-Fan Philipp Rösler startete am Montag auf seiner Pressekonferenz den milde belächelten Versuch, aus dem Last-Minute-Sieg der 96er nach 0:1-Rückstand am Sonntag gegen Meister Dortmund eine Parallele zu den Liberalen zu ziehen. Die FDP liege auch 0:1 hinten – wolle aber in der zweiten Regierungshalbzeit bis 2013 das Match noch drehen. Es steht aber längst 0:3 – wenn man die Wahlpleiten in Bremen, Mecklenburg- Vorpommern und Berlin zusammenrechnet, die der im Mai aufgerückte Teamchef Rösler auf seine Kappe nehmen muss.
Im Wahljahr 2011 ist die Partei aus fünf Landtagen geflogen, nur in Hamburg und Baden-Württemberg reichte es. Nur 1,8 Prozent jetzt in der Hauptstadt, hinter der NPD, nur knapp vor der Tierschutzpartei und ein Abklatsch der erfolgreichen Piraten. Das tut den Liberalen besonders weh. „Wir sind doch bei Bürgerrechten und Internet das Original“, jammerte ein FDP-Mann.
Ist die FDP in der Parteienlandschaft überflüssig? Rösler wirkte bei seinem Auftritt im Thomas-Dehler-Haus ziemlich ratlos. Er sieht seine Partei in der schwersten Krise seit ihrem Bestehen. Wie vor zwei Wochen nach der „Meck-Pomm“-Pleite versuchte er einen Aufbruch zu skizzieren, mit dem die FDP „neue Bürgerliche“ wie junge Firmengründer, Familien oder Ingenieure wieder erreichen soll. Doch die wählen lieber SPD, Grüne oder eben Piraten.
+++ Piratenpartei: Jetzt machen wir ernst +++
Ein angekündigtes Strategiepapier legte Rösler nicht vor. Das Wort Steuersenkung nahm er angesichts der Euro-Krise gar nicht mehr in den Mund – nur sein Vize Holger Zastrow aus Sachsen zieht damit seit einiger Zeit einsam durch die Medienlandschaft.
Das wahrscheinlich einzige positive Signal an diesem Tag war die Geschlossenheit, mit der die FDP-Führungsleute auf die 1,8 Prozent reagierten. In früheren Jahren wurden bei vergleichbaren Niederlagen sofort alte Rechnungen beglichen oder Rücktritte gefordert. Auf ihren Plätzen fanden die Mitglieder von Präsidium und Bundesvorstand am Morgen Röslers Zeitungsbeitrag über die mögliche geordnete Insolvenz Griechenlands. Einstimmig wurde die Position des Chefs unterstützt, die an den Börsen und beim Koalitionspartner Union zu Schweißausbrüchen geführt hatte.
+++ SO HABEN DIE BERLINER IN IHREN WAHLLOKALEN GEWÄHLT +++
Anders als erhofft, kam der inszenierte Verstoß gegen vermeintliche Euro-„Denkverbote“ in der Regierung bei den Berliner Wählern nicht an. Rösler will und kann von diesem Kurs aber nicht abrücken. Das wäre ein schwerer Gesichtsverlust – auch gegenüber der Kanzlerin, deren Warnrufe er mehrfach missachtete.
Unfair ist hingegen der Vorwurf, die FDP drohe nach rechts abzurutschen. Mit ihm werde es keinen Populismus geben, sagte Rösler und ermahnte seine Parteifreunde, beim Euro nicht zu überdrehen. „Nach fest kommt ab!“, zitierte der Vizekanzler eine alte Handwerker-Weisheit.
Intern gilt Röslers Bewährungsfrist bis Mai 2012. Dann muss die FDP in Schleswig-Holstein ihre Regierungsbeteiligung verteidigen. Der Wiedereinzug ins Parlament würde den meisten schon reichen. Obwohl der Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki am Montag im Vorstand gewohnt große Töne spuckte. Er wolle die FDP im hohen Norden aus dem „Verschiss“ führen – am besten zweistellig.
In der Union wächst die Sorge, dass die untergehende FDP bald außer Kontrolle geraten könnte. Der Mitgliederentscheid der „Euro-Rebellen“ gegen den dauerhaften Rettungsschirm ESM könnte zur Zerreißprobe werden. Deren Wortführer Frank Schäffler warnte Rösler & Co. davor, beim Euro-Kurs wieder einzuknicken. Er führe eine „Graswurzelbewegung“ an, die nicht unterschätzt werden sollte. Die Euro-Strategie der Regierung dürfe Bürgern und FDP-Basis „nicht von oben aufoktroyiert werden“.
+++ Merkel: Schwarz-Gelb bleibt zusammen +++
Unterdessen hat CDU-Vorsitzende Angela Merkel ihre Anstrengungen zur Euro-Rettung gegen Kritik der Parteibasis verteidigt. „Der Euro ist mehr als eine Währung“, sagte die Bundeskanzlerin am Montagabend vor 1300 CDU-Mitgliedern in Alsfeld in Hessen. Das Treffen war die erste von sechs Regionalkonferenzen, mit denen die Christdemokraten ihren Bundesparteitag in Leipzig vorbereiten. Die Basis zollte Merkel Beifall für eine engagierte Rede, aber viele Redner stellten ihre Linie auch infrage.
Die Euro-Staaten müssten gemeinsam durch Sparen aus der Krise kommen, sagte Merkel. „Wir müssen streng sein und immer Hilfe und Gegenleistung zusammen sehen.“ Es wäre aus ihrer Sicht eine „verheerende Botschaft“, wenn Griechenland aus der Euro-Zone ausscheiden müsste. „Politisch wäre das eine Belastung für den Euro.“ Merkel versuchte, den generellen Kurswechsel bei mehreren Kernthemen in die jahrzehntelange Tradition der CDU-Politik zu stellen. Das Restrisiko der Kernenergie habe durch Fukushima „ein neues Gesicht“ bekommen, deshalb sei der Atomausstieg beschlossen worden. „Aber wir werden nicht abweichen von dem Grundsatz, dass bei der CDU Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik immer zusammengedacht werden.“ Die Aussetzung der Wehrpflicht sei richtig gewesen, trotzdem bleibe die CDU „die Partei der inneren und äußeren Sicherheit“.
Als Kritiker von Merkels Währungspolitik trat der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch auf, der im Parlament gegen die vorgesehene Erweiterung des Euro-Rettungsschirms stimmen will. Es gehe nicht an, dass Deutschland unbegrenzt für Schulden der Partnerländer hafte, sagte er. Andere Redner nannten den Rettungsschirm einen Verstoß gegen Europarecht. Der Fraktionschef im hessischen Landtag, Christean Wagner, listete die schwachen CDU-Wahlergebnisse der vergangenen Monate auf und führte dies auf die häufigen Kurswechsel der CDU zurück.
Mehrere Vertreter der CDU-Basis griffen die FDP an. Weder Wirtschaftsminister Philipp Rösler noch Außenminister Guido Westerwelle seien für ihre Posten geeignet. Merkel entgegnete, die Partei habe elf Jahre auf ein Bündnis mit der FDP hingearbeitet. Mit den Liberalen gebe es die größte Schnittmenge. Die Minister dienten nicht einer Partei, sondern der gesamten Koalition, die vernünftig arbeiten müsse. „Wir dürfen uns nicht mit unseren Umfragewerten zufriedengeben“, sagte sie zu Wagners Kritik.