Die Menschen am Horn von Afrika leiden unter einer epochalen Hungersnot. Ausländische Unternehmen nutzen das günstige Ackerland für Blumenzüchtung.
Rom. Mehr als fünf Millionen Menschen in Äthopien hungern. Grund ist die anhaltende Dürre. Aber auch ausländische Unternehmen, die wegen der hohen Bodenpreise im eigenen Land günstiges Ackerland in Ostafrika bewirtschaften, tragen eine Teilschuld. Hier werden auf riesigen Plantagen nicht etwa rettende Nahrungsmittel angebaut, sondern zum Beispiel Rosen für den europäischen Markt. So auch eine Blumenfirma aus Indien.
Die unter dem Schlagwort „Land Grabbing“ (Landnahme) bekannte Praxis von ausländische Unternehmen, sich große Ackerflächen zu sichern, ist durch die Hungerkrise weiter in die Kritik geraten. Die Landnahme verschlimmere den Hunger, sagen die einen. Die UN-Agrarorganisation FAO hält dagegen: Wenn der Landkauf unter Achtung der Rechte der jeweiligen Bevölkerung erfolge, könne diese Investition Arbeitsplätze schaffen und damit den Hunger bekämpfen helfen.
In der Praxis werden vielfach über die Köpfe der Kleinbauern hinweg lukrative Verkaufs- und Pachtverträge zwischen den Regierungen und den Investoren geschlossen. Die Bauern verlieren ihr Land, oft auch ihr Zuhause, Viehhirten ihre Weiden.
Der FAO-Experte Paul Munro-Faure fordert, die bisher nicht schriftlich dokumentierten Rechte von Kleinbauern auf ihr angestammtes Land in die Gesetzgebung der jeweiligen Länder in Afrika aufzunehmen. „Gewohnheitsrecht muss schriftlich festgelegten Ansprüchen gleichgesetzt werden“, mahnt er.
Die FAO will zu diesem Zweck bis zum kommenden Jahr freiwillige Richtlinien für Land Grabbing ausarbeiten, die Kleinbauern in Entwicklungsländern weltweit vor negativen Auswirkungen der neuen Landnahme schützen sollen.
Die Eigentumsverhältnisse in Entwicklungsländern sind oft nicht ausreichend geregelt. Selbst wenn Familien seit Generationen ein Grundstück bewohnen und bewirtschaften, können sie es selten nachweisen. Und viele Regierungspolitiker wollen von den Geschäften mit Großinvestoren profitieren. So bedrohen ausländische Investitionen vielfach die Existenz der Einwohner statt wie erhofft zu Aufschwung und Entwicklung zu führen.
Daher müssten neue Gesetze zugleich Kontrollmechanismen beinhalten, die die Umsetzung der Regeln garantieren, mahnt Munro-Faure. „Auch das beste Gesetz kann Opfer politischer Manipulation werden“, warnt der FAO-Experte
Knapp die Hälfte der Fläche, die ausländische Großinvestoren in Beschlag nahmen, diene dem Anbau von Pflanzen für Agrartreibstoffe, erklärt der südafrikanische Wissenschaftler Ward Anseeuw. Die Philippinen sind nach seiner Statistik der Staat mit dem meisten Land Grabbing: 4,7 Millionen Hektar, eine Fläche von der Größe Niedersachsens, die etwas weniger als ein Drittel der gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Philippinen ausmacht.
In Madagaskar werden 2,6 Millionen Hektar, in Äthiopien 2,3 Millionen Hektar durch ausländische Investoren bewirtschaftet. Anseeuw erstellt zusammen mit Michael Taylor von der „International Land Coalition“, die sich für die Landrechte der Armen einsetzt, eine Datenbank zu Land Grabbing.
„Das Menschenrecht auf Nahrung steht seit Jahrzehnten auf dem Papier, wurde aber nie richtig umgesetzt“, beklagt der stellvertretende FAO-Generaldirektor Alexander Müller. Länder, in denen die Bevölkerung hungere, exportierten dennoch Agrarprodukte. Dass es weltweit noch viel ungenutzten Boden gebe, weist Müller als Fehleinschätzung zurück. Alle nutzbaren Flächen würden bewirtschaftet, besonders in Entwicklungsländern herrsche deshalb ein reger Verdrängungswettbewerb.
Die FAO wendet sich nicht generell gegen Landkauf durch Großinvestoren. Unter den Vertretern der 191 Mitgliedsstaaten der UN-Organisation mit Sitz in Rom gibt es darüber kontroverse Debatten.
Die Investoren selbst werben unterdessen damit, dass sie Arbeitsplätze schaffen und nach bestimmten ökologischen Standards anbauen. Denn in der westlichen Welt gehört nachhaltiges Wirtschaften und die Achtung der Menschenrechte zum guten Ton. Doch der ehemalige Grünen-Politiker Müller warnt: „In vielen Bereichen sind hehre Absichtserklärungen und tägliches Handeln nicht immer in Einklang zu bringen.“