Christian Lindner will Atomenergie „so schnell wie möglich entbehrlich machen“. Atomkonzerne sollten erneuerbare Energien unterstützen.
Hamburg. FDP-Generalsekretär Christian Lindner hält den Bau neuer Atomkraftwerke in Deutschland nicht für möglich. „Neue Atomkraftwerke sind in Deutschland völlig ausgeschlossen“, sagte Lindner dem Hamburger Abendblatt (Sonnabend-Ausgabe). Ziel der schwarz-gelben Regierungskoalition sei, „die Kernenergie so schnell wie möglich entbehrlich zu machen“. Das werde allerdings „länger dauern als ein Jahrzehnt“. Der Zeitpunkt hänge von den technischen Fortschritten bei den erneuerbaren Energien ab.
"Gabriel vergiftet den politischen Diskurs" - Christian Lindner im Abendblatt-Interview.
Als Gegenleistung für die geplante Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken müssten die Energiekonzerne „einen signifikanten Anteil der zusätzlichen Gewinne in die Entwicklung erneuerbarer Energien investieren“, betonte Lindner. Dabei müsse es sich um einen „sehr erheblichen Beitrag“ handeln, der dazu beitrage, „erneuerbare Energien voranzubringen, ohne die Stromkunden zusätzlich zu belasten“. Lindner bekräftigte: „Reaktoren, die modernsten Sicherheitsanforderungen nicht genügen, müssen abgeschaltet werden.“
Lindner fordert zudem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auf, umgehend ein Konzept zu der im Koalitionsvertrag verankerten Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate vorzulegen. „Ich wünsche mir, dass der Verteidigungsminister uns in Kürze wissen lässt, wie er die sechsmonatige Wehrpflicht konkretisieren wird“, sagte der FDP-Politiker. „Ich verstehe, dass Herr zu Guttenberg gegenwärtig auch anderes zu tun hat. Aber die Vereinbarungen der Koalition dürfen darunter nicht leiden.“
Die Verkürzung der Wehrpflicht sei „ein wichtiger Reformschritt und zugleich eine Möglichkeit, mehr Wehrgerechtigkeit zu erreichen“, sagte Lindner. „Der Koalitionsvertrag sieht vor, dies zum 1. Januar 2011 umzusetzen.“ Der Generalsekretär bekräftige zudem die Forderung seiner Partei nach einer mittelfristig grundlegenden Neustrukturierung der Streitkräfte. „Eine Freiwilligenarmee könnte mit Blick auf Ausbildung und Ausrüstung den Herausforderungen einer Bundeswehr im Einsatz besser gerecht werden. Nach dem Kalten Krieg ist der Grundrechtseingriff der Wehrpflicht auch nur noch schwer zu rechtfertigen.“
Zugleich verteidigte Lindner die Bilanz der schwarz-gelben Bundesregierung nach den ersten 100 Tagen. „Es war ein ordentlicher Start mit Blick auf die Ergebnisse. Zugleich ermahnte der Politiker die Koalitionsparteien: „CDU/CSU und FDP dürfen sich nicht länger mit internen Reibereien aufhalten.“ Die CSU habe „scheinbar Machtfragen zwischen München und Berlin zu klären“, fügte er hinzu. Diese Klärungsprozesse sollten im Stillen ablaufen.
Die schwachen Umfragewerte insbesondere für die FDP bezeichnete Lindner als „Momentaufnahmen“. Seine Partei werde sich dagegen an langfristigen Zielen orientieren. „Wir halten Wort und setzen aus Überzeugung unser Wahlprogramm um“, sagte er.
Die im Koalitionsvertrag verankerten Steuersenkungen im Umfang von 24 Milliarden Euro müssten „spätestens 2012“ umgesetzt werden. Der Skepsis von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), ob es Spielraum für weitere massive Steuersenkungen gebe, setzte Lindner entgegen: „Ich orientiere mich eher an der Bundeskanzlerin, die über die Richtlinienkompetenz verfügt.“ Die Äußerungen von Angela Merkel seien „eindeutig“. Die versprochenen Entlastungen werde es „in dieser Wahlperiode geben“.
Einsparmöglichkeiten sieht der FDP-Generalsekretär bei der Bundesagentur für Arbeit. Dort gebe es „Programme, deren Wirksamkeit man hinterfragen kann“, sagte er. Weitere Anhaltspunkte, wo gespart werden könne, lieferten das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler und die Berichte des Bundesrechnungshofs.
Der Opposition warf Lindner vor, mit ihrer anhaltenden Kritik an der Millionenspende eines Hotelunternehmers dem Ansehen der Politik zu schaden. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sei dabei, den politischen Diskurs in Deutschland „zu vergiften“, sagte der FDP-Generalsekretär. Jeglicher Zusammenhang zwischen der Spende an die FDP und der Mehrwertsteuersenkung für Gastronomen werde „zu Diffamierungszwecken konstruiert“. Lindner rief die Opposition dazu auf, „mit dieser Kampagne aufzuhören“. Damit schade sie „den Parteien insgesamt“.
Forderungen nach schärferen Regelungen für Parteispenden wies Lindner zurück. „Neue Regeln für Parteispenden halte ich nicht für erforderlich“, sagte er. „Das Parteiengesetz verbietet jetzt schon Spenden, mit denen politische Gefälligkeiten erkauft werden sollen.“ Er betonte: „Wir können keine Parteien wollen, die ausschließlich staatlich finanziert sind.“