Forschungsministerin Annette Schavan spricht über die Großstadtkompetenz ihrer Partei und das Hamburger Sparen an der Universität.
Berlin. Das enttäuschende Abschneiden bei den Wahlen in Hamburg (21,9 Prozent) und Bremen (20,0 Prozent) hat die CDU erschüttert. Bundesforschungsministerin Annette Schavan warnt ihre Partei im Abendblatt-Interview davor, grüner zu werden. Eine Koalition mit den Grünen nach der nächsten Bundestagswahl will die stellvertretende Parteivorsitzende allerdings nicht ausschließen.
Hamburger Abendblatt: Frau Ministerin, was verstehen Sie unter Großstadtkompetenz?
Annette Schavan: Der Begriff meint, präsent zu sein in einer Großstadt. Eine Volkspartei muss das Lebensgefühl der unterschiedlichen Gruppen in einer Stadt erfassen.
Verfügt die CDU über Großstadtkompetenz?
Schavan: Petra Roth in Frankfurt ist ein herausragendes Beispiel dafür. Ole von Beust in Hamburg war es auch. Die CDU regiert in mehr Städten als die SPD. Ganz zu schweigen von den anderen Parteien.
In den Stadtstaaten kann die CDU nur noch jeden fünften Wähler für sich gewinnen.
Schavan: Das ist im Moment so. Über viele Jahre waren wir sehr zufrieden mit unserer Präsenz. Die Großstadtkompetenz der CDU lässt sich nicht an zwei Stadtstaaten festmachen. Ich plädiere dafür, dass wir uns an den erfolgreichen Beispielen orientieren und Themen besetzen.
Die CDU ist erstmals bei einer Landtagswahl von den Grünen überholt worden. Wollen Sie nach Bremen einfach zur Tagesordnung übergehen?
Schavan: Die Diskussion in unserer Partei zeigt, dass wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Bremen und Baden-Württemberg waren schmerzhafte Erfahrungen für die CDU.
Angela Merkel hat sich zum Ziel gesetzt, die CDU zu modernisieren. Wie würden Sie den Erfolg dieser Strategie bewerten - auf einer Skala von null bis zehn?
Schavan: Ich bewerte den Modernisierungsprozess, der seit zehn Jahren läuft, sehr positiv ...
... also mit zehn von zehn Punkten.
Schavan: (lacht) Sagen wir mit acht von zehn. Jeder Modernisierungsprozess ist verbunden mit Fragen. Aber ohne diese Veränderungen würden wir uns den Ruf einhandeln, die Zeichen der Zeit nicht zu verstehen.
Die CDU verliert Stammwähler auf dem Land - und fasst in den Städten nicht richtig Fuß. Eine Erfolgsbilanz sieht anders aus ...
Schavan: Die einen sagen: Konzentriert euch auf die Stammwähler. Die anderen: Werdet moderner. Meine Antwort ist: Wir müssen uns selber treu bleiben. Wir dürfen nicht ständig fragen, wie wir ausschauen wollen. Es kommt darauf an, die richtigen Antworten zu geben. Die CDU muss Lösungen bieten für die Probleme in Stadt und Land.
Die Grünen, das räumen auch Vertreter Ihrer Partei ein, treffen das großstädtische Lebensgefühl am besten. Muss die CDU grüner werden?
Schavan: Nein, die CDU muss nicht grüner werden. Sie muss auch nicht gelber werden. Die CDU muss die sein, die sie ist.
In der Energiepolitik ist die Union schon grüner geworden ...
Schavan: Die CDU erklärt seit den Achtzigerjahren, dass wir keine neuen Kernkraftwerke wollen. Kernkraft ist Brückentechnologie. Das ist kein neuer Begriff, das ist keine Wendung hin zu Grün.
Noch im Herbst haben Sie die Brücke erheblich verlängert ...
Schavan: Wir haben das erste langfristige Konzept für den Umbau der Energieversorgung vorgelegt. Von den Grünen hat es so etwas nicht gegeben. Sie haben einen Ausstiegsbeschluss gefasst - mehr nicht. Die Grünen haben sogar auf Sicherheitsauflagen für die Betreiber von Kernkraftwerken verzichtet. Selbstkritisch sage ich: Es ist uns nicht gelungen, die Innovation deutlich zu machen, die in unserem Energiekonzept steckt. Wir haben uns zu sehr konzentriert auf die Laufzeitverlängerung. Jetzt konzentrieren wir uns wieder auf die wichtigsten Schritte zum Umbau der Energieversorgung.
Wann soll das letzte Kernkraftwerk vom Netz genommen werden?
Schavan: Das werden wir entscheiden, wenn die Ethikkommission ihren Bericht vorgelegt hat. In dieser Kommission wird mit hoher Kompetenz und Gewissenhaftigkeit alles abgewogen, was zu bedenken ist: Versorgungssicherheit, Sozialverträglichkeit, Eigenständigkeit in der Energieversorgung.
Die Grünen wollen den letzten Meiler 2017 abschalten. Was würde das für den Industrie- und Forschungsstandort bedeuten?
Schavan: Eine so große Entscheidung lässt sich nicht einfach an einer Jahreszahl festmachen. Der Umbau muss am Ende klappen. Wir wollen keinen Überbietungswettbewerb ...
... in den auch die CSU eingetreten ist.
Schavan: Die Bundesregierung wird ein Konzept vorlegen, das deutlich macht, wie der Umbau der Energieversorgung verantwortungsbewusst gestaltet werden kann. Dazu gehört, die Forschung zu stärken. Wir brauchen vor allem neue Speichertechnologien und mehr Energieeffizienz. Und wegen der Reaktorsicherheit und des notwendigen Rückbaus von Reaktoren müssen wir auch darauf achten, Kompetenz in der Nuklearforschung zu erhalten.
Parteifreunde von Ihnen fordern eine schärfere Auseinandersetzung mit den Grünen. Wachsen die Wahlchancen der CDU mit der Härte der Attacken auf die Ökopartei?
Schavan: Wir waren in den letzten Monaten ja nicht schlecht im Angreifen der Grünen. Wie die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, kann es das nicht gewesen sein. Wer in einer Koalition steht, sollte sich auf die Stärken dieser Koalition konzentrieren - jetzt also mit der FDP. Es wirkt komisch, wenn man den Eindruck erweckt, andere Bündnisse wären schöner.
Die dahinsiechende FDP wird nicht die einzige Koalitionsoption für 2013 bleiben können ...
Schavan: Die FDP legt doch gerade wieder zu. Zu einer guten Koalition gehört auch, schwierige Zeiten miteinander zu bestehen. Da darf man sich nicht andere Koalitionen schönreden.
Was bedeutet das für Schwarz-Grün im Bund?
Schavan: Ich habe vor einigen Monaten in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt gesagt: Schwarz-Grün ist nicht tot. Dabei bleibe ich. Ich sage aber auch: Wer glaubt, in Schwarz-Grün läge die Zukunftsmusik schlechthin, ist auch naiv. Warten wir es ab.
Frau Schavan, in Hamburg schafft der SPD-Senat die Studiengebühren ab. Ist das ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit?
Schavan: Nein, die Abschaffung von Studiengebühren trägt nicht zur Gerechtigkeit bei. Der Geselle, der die Meisterprüfung machen will, zahlt dafür viel Geld. Es ist ungerecht, nur akademische Bildung von Gebühren freizustellen.
Gleichzeitig soll an der Universität massiv gespart werden. Universitätspräsident Lenzen sieht 400 Stellen und 3000 Studienplätze bedroht.
Schavan: An der Universität zu sparen ist ein schlechtes Signal. Es zeigt auch, wie unüberlegt es ist, die Studiengebühren abzuschaffen. Man will sich beliebt machen - und verweigert der Hochschule eine verlässliche Perspektive. Es kann nicht sein, dass Finanzzusagen plötzlich über Bord geworfen werden.
Liegt Hamburg da im Trend?
Schavan: Andere Länder erkennen, dass Bildungspolitik das Herzstück der Landespolitik ist - und investieren immer mehr in ihre Bildungseinrichtungen. Wenn Hamburg einen anderen Weg geht, wird die Bundesregierung an bestehende Vereinbarungen erinnern.
Soll heißen?
Schavan: Seit 2005 steigert der Bund seine Zuwendungen an die Universitäten. Im Hochschulpakt wird jeder neue Studienplatz zur Hälfte vom Bund finanziert, wir investieren in die Exzellenzinitiative und den Qualitätspakt Lehre. Da ist es schon verwunderlich, dass der Hamburger Senat gleich zu Beginn der Wahlperiode bei der Wissenschaft kürzt. Das spricht nicht für die Großstadtkompetenz der SPD. Wenn sie den Wissenschaftsstandort beschneidet, macht sie Hamburg unattraktiver.
Kann der Bund eine größere Rolle bei der Finanzierung der Universitäten spielen?
Schavan: Der Bund spielt bereits eine herausragende Rolle. Den Hochschulen ist nicht geholfen, wenn der Bund die Löcher stopft, die eine Stadt wie Hamburg aufreißt. Wissenschaft ist die Quelle künftigen Wohlstands. Wer seine Hochschulen zwingt, wichtige Bereiche aufzugeben, wird es über kurz oder lang an der Wertschöpfung merken.
Universitätspräsident Lenzen wehrt sich mit einer Unterschriftenaktion und anderen ungewöhnlichen Mitteln gegen den Sparkurs. Hat er dabei Ihre Unterstützung?
Schavan: Wer immer sich einsetzt für gute Entwicklung von Wissenschaft und Forschung in diesem Land, hat meine Unterstützung. Ein Universitätspräsident ist seiner Universität verpflichtet. Er hat die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie nicht ausgetrocknet wird.
Wie es scheint, spielt Lenzen mit dem Gedanken, die Universität zu verlassen. Wie groß wäre der Verlust?
Schavan: Ich kenne Lenzen gut. Er ist ein Kämpfertyp. Er wird seine Universität verteidigen. Der Senat sollte erkennen: Wissenschaftspolitik geht nur mit Präsidenten - und nicht gegen sie.