Süderelbe. Multi-Kulti-Gruppe aus Harburg und Wilhelmsburg gehört zur Weltspitze. Den sozialen Aspekt der Gründerjahre pflegt sie bis heute.

Sie bleiben hungrig. Das Ju-Jutsu-Showteam der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft (HNT) eilt weiter von Erfolg zu Erfolg. Jüngstes Kapitel: die Weltmeisterschaften 2024 der International Combat Organisation (ICO) in Frankfurt am Main. Unter der Leitung von Trainer Hans Kautz demonstrierten die Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen sieben und 16 Jahren ihre Klasse. Mit insgesamt 36 Medaillen (18 Gold, 13 Silber, 5 Bronze) kehrte das Showteam vom Main an die Elbe zurück.

Ju-Jutsu-Showteam der HNT: 32 Medaillen bei Weltmeisterschaften 2024

In diversen Disziplinen bewiesen die Athletinnen und Athleten der HNT unter anderem Kreativität, technisches und akrobatisches Können sowie Vielseitigkeit. In den Musikkategorien zeigte das Team aus Hamburg präzise Choreografien und spektakuläre Techniken, perfekt abgestimmt auf den Rhythmus. Teilweise traten die Nachwuchssportler aus der Region Süderelbe in Schwarzgurt- und Master-Kategorien an – und damit gegen deutlich ältere und erfahrenere Konkurrenz.

Einige Ju-Jutsu-Sportler posieren neben dem Kleinbus mit dem Branding als Showteam des Deutschen Ju-Jutsu-Verbandes (DJJV).
Einige Ju-Jutsu-Sportler posieren neben dem Kleinbus mit dem Branding als Showteam des Deutschen Ju-Jutsu-Verbandes (DJJV). © HA | Markus Steinbrück

Um einen Eindruck der Sportart zu gewinnen, besuchte das Hamburger Abendblatt das Ju-Jutsu-Showteam vor einigen Monaten beim Training in Wilhelmsburg. Unsere Eindrücke: Die Jungen und Mädchen springen auf einem Bein locker durch den Raum, kicken das andere Bein bei jedem Hüpfer in Kopfhöhe in die Luft. Die Weltmeister gehen in den Spagat, kämpfen gegen imaginäre Gegner und integrieren Langstäbe, kurze Sicheln und überdimensionale Gabeln in ihre Choreographie.

Trainer Hans Kautz achtet auf jedes Detail und fordert Ausstrahlung

Atemberaubend, was das Ju-Jutsu-Showteam der HNT da bei einer Trainingseinheit demonstriert. Plötzlich ist es vorbei mit der Herrlichkeit: „Stopp! Schluss!“, kommt die Ansage von Hans Kautz. „Ihr seid mir zu leise, nochmal alles von vorn“, fordert der langjährige Trainer von den 21 jungen Sportlerinnen und Sportlern, die jüngsten sind erst sieben Jahre alt.

Gelassen nehmen sie es hin, gehen wie beim Film zurück auf Anfang und hüpfen erneut auf einem Bein über die große, olivfarbene Fläche mit ausgelegten Kampfsport-Matten. Diesmal sind die Ausrufe merklich lauter. Der Coach scheint zufrieden, greift nicht nochmal ein.

26 Medaillen bei Weltmeisterschaften 2023 in England, darunter neun Titel

Das, was die Ju-Jutsu-Sportler aus der Region Süderelbe demonstrieren, macht ihnen nicht nur jede Menge Spaß, es ist auch außerordentlich erfolgreich. „Das war die erfolgreichste Weltmeisterschaft, an der wir in den vergangenen zwanzig Jahren teilgenommen haben“, berichtet der stellvertretende Abteilungsleiter.

Die erfolgreichsten WM-Teilnehmer 2023: der 13-jährige Maxim Gornostajew (links) gewann sechs Medaillen, die 16-jährige Arina Jekel (rechts) sogar sieben.
Die erfolgreichsten WM-Teilnehmer 2023: der 13-jährige Maxim Gornostajew (links) gewann sechs Medaillen, die 16-jährige Arina Jekel (rechts) sogar sieben. © HA | Markus Steinbrück

Im Oktober 2023 waren Kautz und seine Schützlinge für vier Tage in Hull in England bei der WM der International Combat Organisation (ICO). Elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer der HNT gewannen in den verschiedenen Kategorien und Altersklassen insgesamt 26 Medaillen, darunter allein neun Weltmeistertitel.

Arina Jekel: „Viel wichtiger als Erfolge ist mir der tolle Zusammenhalt“

„Viel wichtiger als die Erfolge ist mir der tolle Zusammenhalt“, sagt Arina Jekel. Die 16-Jährige war mit sieben WM-Medaillen die erfolgreichste HNT-Sportlerin. Nur eine dieser großen, eckigen Plaketten weniger – die so schön scheppern, wenn sie aneinanderstoßen – hatte Maxim Gornostajew (13 Jahre) bei der Rückreise im Gepäck.

„Die Älteren bringen den Jüngeren etwas bei, auch eigene Ideen können wir in die Choreographie einbringen. Außerhalb des Trainings treffen wir uns schonmal zu Uno-Abenden oder gehen zur Kirmes“, erzählt Arina Jekel weiter.

Auch Schwerter, lange Stöcke und große Gabeln werden in die Vorführungen integriert.
Auch Schwerter, lange Stöcke und große Gabeln werden in die Vorführungen integriert. © HA | Markus Steinbrück

Genau das ist ein wichtiges Ziel. „Unsere Showgruppe ist aktive Sozialarbeit. Von Anfang an ist das meine Motivation gewesen“, sagt Hans Kautz. Der heute 69-Jährige war bis zu seiner Pensionierung als Sozialpädagoge in Neugraben-Fischbek tätig. „Wir sind eine Multi-Kulti-Truppe und waren der erste Gewinner des Harburger Integrationspreises.“

Die Kinder und Jugendlichen hätten familiäre Wurzeln beispielsweise in Marokko, Syrien oder Ghana. „Auch viele Russland-Deutsche und Kinder von Aussiedlern sind bei uns Mitglied. Das liegt auch an der Struktur im Stadtteil.“

Aktive Sozialarbeit war von Anfang an eine große Motivation

Und es liegt am großen Engagement von Kautz. Im Rahmen der Kooperation von Schule und Verein betreut er drei Schulprojekte: an der Grundschule Am Johannisland, Stadtteilschule Süderelbe und am Gymnasium Süderelbe. Selbst die Hin- und Rückfahrt zum Training hat gruppendynamischen Charakter. Zweimal pro Woche sammeln die Trainer ihre Schützlinge in Hausbruch ein und fahren sie per Kleinbus zum Training nach Wilhelmsburg.

Diese Jungen hüpfen locker auf einem Bein diagonal über die Mattenfläche, während sie mit dem anderen Bein bei jedem Hüpfer Kicks ausführen.
Diese Jungen hüpfen locker auf einem Bein diagonal über die Mattenfläche, während sie mit dem anderen Bein bei jedem Hüpfer Kicks ausführen. © HA | Markus Steinbrück

Anekdote am Rande: weil Sponsoren für das im Schatten bekannterer Sportarten stehende Ju-Jutsu schwierig zu finden sind, finanzierte Kautz den schwarzen Bus mit dem Branding als Ju-Jutsu-Showteam aus Eigenmitteln. Einen Großteil des Gewinns von 64.000 Euro bei einer Danke-Ausgabe von „Wer wird Millionär?“ verwendete der Neugrabener für sein größtes Hobby.

Kautz investiert seinen Gewinn von „Wer wird Millionär?“ in einen Kleinbus

Seit 2011 ist das HNT-Showteam auch offizieller Botschafter „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Darauf sind Aktive und Organisatoren genauso stolz wie auf die Berufung zum offiziellen Showteam des Deutscher Ju-Jutsu-Verbandes (DJJV). Mit den Red Tigers aus Meiningen in Thüringen gibt es deutschlandweit nur ein weiteres Team, das diesen Status für sich in Anspruch nehmen darf.

Die Trainingsstätte werden viele Leserinnen und Leser schon gesehen haben – ob bewusst oder unbewusst. Fährt man mit Metronom oder S-Bahn über die Süderelbbrücken, passiert man die flachen weißen Gebäude des Landesleistungszentrums des Hamburger Ju-Jutsu-Verbandes (HJJV). Als Mieter sind auch das Kickboxcenter Hamburg und die Landespolizei Hamburg dort zu Hause. Zum Standort passt die offizielle Anschrift: Zwischen den Süderelbbrücken. Angesichts der geplanten Deicherhöhung sind die Tage allerdings gezählt.

Trainiert wird im Landesleistungszentrum zwischen den Süderelbbrücken

„Die Gebäude liegen im Deichvorland und werden irgendwann abgerissen werden“, sagt Hans Kautz. „Wir haben einen langfristigen Pachtvertrag mit dem Eigentümer und warten die Entwicklung geduldig ab.“ Die Absicht ist, das alte Domizil erst dann zu verlassen, wenn der Landesverband ein neues gefunden hat.

Der stellvertretende Abteilungsleiter und Trainer Hans Kautz (rechts) neben Extremcoach Joe Alexander, der kurz vor Weltrekordversuchen beim Training vorbeiguckte.
Der stellvertretende Abteilungsleiter und Trainer Hans Kautz (rechts) neben Extremcoach Joe Alexander, der kurz vor Weltrekordversuchen beim Training vorbeiguckte. © HA | Markus Steinbrück

„Gern wieder im Süderelbe-Bereich“, sagt Kautz, um längere Trainingsfahrten Richtung Norden zu vermeiden. Neben vielen HNT-Mitgliedern gehören zwei Sportler vom TuS Finkenwerder und einer vom „Zanshin Dojo“ aus Bahrenfeld zum Showteam.

Ju-Jutsu-Abteilung bei der HNT wurde 1984 von Michael Richter gegründet

Dessen Wurzeln gehen auf das Jahr 1999 zurück, die Ju-Jutsu-Abteilung der HNT ist noch älter. Sie wurde 1984 von Michael Richter (heute Träger des achten Dan und Abteilungsleiter) gegründet, wird im kommenden Jahr also 40 Jahre alt. Hans Kautz war in den 1980er-Jahren Kampfsportler und nebenberuflich Landestrainer für Sportakrobatik in Hamburg.

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„Mit meinen eigenen Söhnen wollte ich das nicht mitmachen“, sagt er, als nach der Wiedervereinigung die DDR-Trainingsprogramme übernommen wurden. Er rief eine Ju-Jutsu-Nachwuchsgruppe für Kinder und Jugendliche ins Leben.

1999 war eine Vorführung zum Jubiläum der Startschuss für das Showteam

Das zehnjährige Bestehen sollte 1999 um eine Vorführung ergänzt werden. „Die Kids haben heimlich geübt. Ihre Show kam so gut an, dass wir gefragt wurden, ob wir das nicht öfter machen wollen.“ Sie wollten, bekamen eigene Trainingszeiten und feierten erste Erfolge bei Wettkämpfen. „Bei der EM-Premiere in Lauenburg haben unsere vier Jungs völlig überraschend den Titel gewonnen“, so Trainer Kautz.

Ungewöhnliche Elemente während der Show begeistern Publikum und Wertungsrichter gleichermaßen.
Ungewöhnliche Elemente während der Show begeistern Publikum und Wertungsrichter gleichermaßen. © HA | Markus Steinbrück

Den Weg bis zu den großen WM-Erfolgen jüngst in England pflastern unzählige Medaillen bei internationalen Meisterschaften. Das Ju-Jutsu-Showteam engagiert sich auch sozial. Regelmäßig tritt es bei einer Benefiz-Sportgala in Bad Segeberg auf, deren Einnahmen an das Kinderhospiz Sternenbrücke gehen. Kleine und größere Auftritte gab es unter anderem im Bundeskanzleramt, bei der Einbürgerungsfeier des Hamburger Senats und bei Stadtteilfesten in Neugraben und Neuwiedenthal.

„Motorische Intelligenz wirkt sich positiv auf Leistungen in der Schule aus“

Die Ju-Jutsu-Abteilung der HNT hat 110 Mitglieder, davon 80 im Nachwuchsbereich. Längst nicht jeder Interessent schafft den Sprung in das Showteam. „Man muss eine überdurchschnittliche motorische Begabung haben, athletische Fähigkeiten und eine schnelle Auffassungsgabe“, beschreibt Hans Kautz die Voraussetzungen.

Mit und ohne Schrei: Das Ju-Jutsu-Showteam der HNT posiert bei einer Trainingseinheit zwischen den Süderelbbrücken. 
Mit und ohne Schrei: Das Ju-Jutsu-Showteam der HNT posiert bei einer Trainingseinheit zwischen den Süderelbbrücken.  © HA | Markus Steinbrück

„Die motorische Intelligenz wirkt sich auch positiv auf Leistungen in der Schule aus.“ Genug geschnackt: jetzt ist es wieder an der Zeit, locker auf einem Bein durch den ganzen Raum zu hüpfen.