Schneverdingen. In der Heide baut ein mutiger Verein ein Haus. Und erfindet ein innovatives Konzept, von dem Ansässige und Ausflügler profitieren.

Ausgerechnet Schneverdingen: 19.300 Einwohner. Kleinstadtcharme. Heidetourismus. Schnucken. Und ziemlich weit weg von Metropolen. Aber mit ganz großem Selbstbewusstsein. Hier, in der „Kulturhauptstadt des Heidekreises“, so der Claim, tut sich was: Der hyperaktive Kulturverein baut in Eigenregie ein Kulturzentrum mit Saal und Gastronomie in bester Lage. Dort sollen künftig nicht nur Workshops und Treffen der diversen Vereinsgruppen stattfinden, sondern vor allem Events mit bekannten Künstlern. Ein Projekt, das einzigartig sein dürfte, fast schon eine Kulturrevolution. Während in anderen Kommunen angesichts knapper Kassen der Kulturetat zusammengestrichen wird, denken die Schneverdinger groß. Und vertrauen auf ihre eigene Kraft.

Im Herzen der Stadt, dort wo die Peter- und Paul-Kirche ihren Turm in den Himmel reckt, wo die Kreissparkasse ihren Sitz hat und die Schneverdinger am liebsten shoppen gehen, gammelte vor nicht allzu langer Zeit noch ein Schandfleck vor sich hin: die Alte Schlachterei, um 1913 erbaut, vorne mit Ladengeschäft und Büro. Hinten mit Schlachthaus. Und hoffnungslos heruntergekommen.

Der Anbau mit Theatersaal wird in rotem Backstein gestaltet.
Der Anbau mit Theatersaal wird in rotem Backstein gestaltet. © HA | nanette franke

Was sollte aus der Ruine auf dem Präsentierteller der City werden?

Die Schneverdinger Bürger sorgten sich. Was sollte aus der Ruine auf dem Präsentierteller der City werden - ein Fahrradhotel vielleicht? Eine breite Mehrheit der Ortsansässigen votierte bei einem Initiativtreffen für ein Kulturzentrum. Ein Haus, das unabhängig von der Vereinszugehörigkeit für alle Bürger zugänglich ist. Eine Visitenkarte für die Kommune, die mehr denn je Gäste aus den Nachbarkreisen und aus Hamburg anzieht.

Schnell stellte sich heraus: Das alte Gebäude war nicht mehr zu retten und musste abgerissen werden, erinnert sich Dorothee Schröder, Geschäftsführerin des Kulturvereins. Der Abriss im Jahr 2022 - eine Gemeinschaftsarbeit engagierter Schneverdinger Bürger. Glücklicherweise verfügt der Kulturverein in seinen Reihen über einen Architekten: Christian Wildtraut, stellvertretender Vereinsvorsitzender, konzipierte einen Neubau, der die historische Anmutung der früheren Schlachterei erhält. Vorne Putz und Stuck und schwarz gerahmte Sprossenfenster. Hinten statt Schlachthalle ein Konzertsaal in rotem Klinker. Die Kosten für das Projekt 2,8 Millionen Euro - mindestens.

Hier wird bald gefeiert: Dorothee Schröder und Christian Wildtraut im neuen Theatersaal.
Hier wird bald gefeiert: Dorothee Schröder und Christian Wildtraut im neuen Theatersaal. © HA | nanette franke

Ganz schön viel für einen Verein, selbst wenn der 1200 Mitglieder hat. Doch die Stadt Schneverdingen gibt einen Zuschuss von 1, 8 Millionen, weitere Gelder fließen vom Land, vom Lüneburgischen Landschaftsverband, von der EU: So weit, so üblich für viele Projekte auf dem Land. Das Besondere: Die Schneverdinger Bürgerinnen und Bürger haben bereits 150.000 Euro gespendet. Die Bauarbeiten werden von Schneverdinger Firmen durchgeführt, die einen Sonderrabatt einräumen. Und der Architekt Wildtraut berechnet kein Honorar für seine Planungsarbeit.

Kultur-Schlachterei Schneverdingen: Im Spätsommer soll Eröffnung sein

Gegenwärtig steht der Rohbau. Im Spätsommer dieses Jahres soll Eröffnung sein. Der Kulturverein, der gegenwärtig in einer ehemaligen Stellmacherei sein Domizil hat, steht unter Zeitdruck. Denn der Mietvertrag für die Stellmacherei ist gekündigt. Die Räume in den ehemaligen Handwerksbetrieb sollen zu Wohnungen werden. Außerdem war es dort schon seit langem zu eng: 168 Termine für „soziokulturelle Treffen“ wie Chorproben, Konversation in Französisch, Englisch, Hebräisch, rund 50 Besprechungstermine für die vielfältigen Gruppen innerhalb des Vereins, dazu wechselnde Kunstausstellungen und 85 Veranstaltungen - diesen außerordentlichen Raumbedarf konnte die Stellmacherei schon lange nicht mehr erfüllen.

Jetzt soll alles anders werden: besser, großzügiger, repräsentativer. Im Vorderhaus des Neubaus ein großzügiges Foyer, dazu eine Gastronomie, die von einem erfolgreichen Walsroder Caterer übernommen wird. Im Obergeschoss des hellen Hauses ein großzügiger Ausstellungsraum, zwei Mehrzweckräume Gruppenräume und ein Büro. Die Räume können von Vereinen, Gruppen, Firmen für Meetings und als Coworkingspace gemietet werden, schon jetzt gibt es Buchungsanfragen.

Vorgang auf für Poetry Slam, LiteratenTreff, Improtheater und KultLegenden

Wie schön der 130 Quadratmeter große Saal mit 120 Sitzplätzen bzw. 199 Stehplätzen, Bühne und Künstlergarderobe wird, ist bereits gut zu erkennen. Bald wird es heißen: Vorgang auf für den Poetry Slam, den LiteratenTreff, das Improtheater, die KultLegendenAbende, die TheaterSchmiede für Kinder, die Jugendband New Culture, das Amateurtheater des Kulturvereins, für den gemischten Chor Die Hemmungslosen. Und für die Big Names wie Werner Momsen, die Feisten oder Yared Dibaba, die sich auf der professionell gestalteten Website des Vereins als Fürsprecher und Fans des Projekts outen.

Die Rollstuhlhunde auf dem Hun’nenhoff bei Schneverdingen

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  • Das Geheimnis dieser breiten Akzeptanz: die Offenheit des Kulturvereins für neue Ideen und Projekte. Der Vereinsbeirat, dem 33 Mitglieder unterschiedlichster Berufe angehören, achtet darauf, dass hier ein Programm gemacht wird, das sich mit aktuellen Themen auseinandersetzt und Möglichkeiten bietet, etwas Neues kennenzulernen und sich auszuprobieren. Ganz ohne Vereinsmeierei. Ein Glücksfall für die Stadt. Und ein echter Standortfaktor: „Viele junge Familien ziehen aus den Großstädten zu uns“ weiß Dorothee Schröder, „die achten bei der Wohnungssuche sehr darauf, wie gut das kulturelle Angebot ist.“

    Schneverdingen als Kulturhauptstadt: das Programm von Juni bis September

    Die Schneverdinger jedenfalls haben da so einiges zu bieten: am Sonnabend, 29. Juni, lockt die Kulturnacht mit Bands auf 15 Bühnen, mit Kunst und Comedy, Walking Acts und mehr. Am Sonnabend, 13. Juli, das Blues&Roots and Song Festival mit Bluesharp-Legende Steve Baker und internationaler Besetzung, vom 27. bis 29. September der Lautenherbst. Und ein Kino hat Schneverdingen natürlich auch: das LichtSpiel, wo auch schon mal Opernaufführungen und Ballett übertragen werden, direkt aus dem Royal Opera House London. Natürlich wird das Kino ebenfalls von einem Verein gemanagt.

    Schneverdingen als Kulturhauptstadt? Ein Titel, den sich die Südheideschöne offenbar wirklich verdient hat. Mehr auf www. kulturverein-schneverdingen.de, https://kulturhaus-alte-schlachterei.