Buchholz. Gegner bezichtigen sich gegenseitig der Lüge – einer davon ist der Bürgermeister. Über einen bizarren Zwist, der tief blicken lässt.
- Eine relativ neu angelegte Streuobstwiese als Zankapfel einer Nordheidestadt?
- In der Harburg-Redaktion beim Abendblatt haben wir uns direkt gefragt, was dahinter steckt
- Unser Reporter hat daraufhin in Buchholz recherchiert – und Erstaunliches herausgefunden
Es ging hoch her, bei der letzten Ratssitzung der Stadt Buchholz in der Nordheide. Zankapfel war der geplante Standort für das neue Feuerwehrgerätehaus im Ortsteil Holm-Seppensen. Bürgermeister Jan-Henrik Röhse und die Gegner des vom Rat favorisierten Standorts warfen sich gegenseitig vor, zu lügen.
Damit hat der seit zwei Jahren schwelende Streit um den Neubau einen neuen Höhepunkt erreicht. Oder Tiefpunkt, wie manche es sehen. Politisch ist die Sache längst mit großer Ratsmehrheit entschieden. Die Stadt möchte das neue Gerätehaus an auf der Eckfläche Tostedter Weg/Am Schoolsolt errichten. Die Feuerwehr auch.
Eine Streuobstwiese als Zankapfel: Warum ein Zwist in Buchholz tief blicken lässt
Die Gegner halten dieses Areal für ökologisch so wertvoll, dass sie eine Alternative vorschlagen: Die Pferdeweide schräg gegenüber an der Straße Up de Hoge Luft. Die müsste die Stadt allerdings kaufen. Auf ihrer Wunschfläche hingegen besteht bereits Baurecht.
Ortsbesichtigung: Auf der Buchholzer Landstraße flitzen die Autos vorbei. Auf dem Tostedter Weg sind Mütter mit Lastenrad oder Fahrradanhänger eilig in Richtung Kindergarten unterwegs, um die jüngste Jugend Holm-Seppensens rechtzeitig dort abzuholen.
Holm-Seppensen: Ein Schild mit der Aufschrift „Streuwi bleibt“ auf Privatgrund
Der Blick fällt auf die Eckfläche: Rechterhand gut 50, meist junge Bäume. Linkerhand hohes Gras, Wildblumen und einige gut gestützte kleine Obstbäume. Ein Schild mit der Aufschrift „Streuwi bleibt“ befindet sich auf Privatgrund neben der städtischen Fläche. „Streuwi“ steht für Streuobstwiese. Schräg gegenüber: die Pferdeweide. Trockenbiotop, das Gras durch die Tiere kurzgehalten. Auch hier viele Wildblumen zwischen den Grashalmen.
Warum braucht die Feuerwehr ein neues Gerätehaus? Abgesehen davon, dass das alte Feuerwehrhaus in Holm mittlerweile auch 30 Jahre alt sind und sich technische, hygienische und Arbeitsschutzanforderungen in dieser Zeit stark geändert haben und man zudem mittlerweile auch getrennte Sanitär- und Umkleidebereiche für zwei Geschlechter einplant, ist es der Standort.
Die Feuerwehr befindet sich in Holm, kilometerweit von Holm-Seppensen entfernt
Holm-Seppensen ist in den vergangenen 123 Jahren rund um den gemeinsamen Bahnhof der Heidedörfer Holm im Süden und Seppensen im Norden entstanden und gewachsen. In Holm-Seppensen leben mittlerweile rund 7000 Menschen, während Holm und Seppensen kleine Dörfer blieben. Die Feuerwehr befindet sich aber in Holm, kilometerweit von Holm-Seppensen entfernt.
Es ist nicht nur die Anfahrt der Wehr, die diesen Umstand problematisch macht. Auch die meisten Feuerwehrleute leben in Holm-Seppensen und müssen, wenn ihr Pieper brummt, erst einmal nach Holm, in die Stiefel, ins Löschfahrzeug und mit diesem meistens zurück nach Holm-Seppensen.
Die Hilfsfrist – also die Normzeit ab Notruf, in der die Feuerwehr bei einem „kritischen Brand“ die ersten Lösch- und Rettungsmaßnahmen ergreifen können soll – ist in Niedersachsen mit 15 Minuten ohnehin schon sportlich für ein Flächenland mit vielen Freiwilligen Wehren. Buchholz hat seiner auf fünf Ortswehren verteilten Feuerwehr eine Hilfsfrist von acht Minuten gesetzt, wie sonst Großstädte. Doch das Hin und Her nach Holm macht acht Minuten nahezu utopisch.
Ein Institut machte den Idealstandort aus: die zentrale Kreuzung im Ort
Seit einigen Jahren wird deshalb nach einem neuen Standort gesucht. Das Institut „Forplan“, das für die Stadt Buchholz seit 2016 die Feuerwehr- und Rettungsplanung erarbeitet, machte auch einen Idealstandort aus: die zentrale Kreuzung von Holm-Seppensen.
Nur ist die Holm-Seppenser „Downtown“ längst voll mit Supermärkten, Eiscafé, Imbissbude, Therapiepraxen, Frisör und was man sonst so in der Stadt braucht. Also erweiterte Forplan das Suchgebiet und wurde am Nordrand der Erweiterung auch fündig.
Der Bebauungsplan ist 24 Jahre alt und sieht hier Wohnhäuser vor
Für die Fläche am Tostedter Weg existiert bereits Baurecht. Der Bebauungsplan aus dem Jahr 2000 sieht hier Wohnhäuser vor. Verwirklicht wurde er bislang nicht. Im Gegenteil: Nur wenige Jahre, nachdem die Ausweisung als Wohngebiet beschlossen wurde, erklärte die Stadt Buchholz sie zur Ausgleichsfläche für ein anderes Baugebiet in Holm-Seppensen.
Dafür musste das Areal ökologisch aufgewertet werden. Eine Streuobstwiese wurde angelegt und der Rest der Fläche in Ruhe gelassen. Deshalb stehen dort die vielen jungen Bäume. Trotzdem existiert hier noch Baurecht. Um es zu verwirklichen, müsste nur anderswo Ausgleich geschaffen und, um die Feuerwehr unterzubringen, der Bebauungsplan abgeändert werden.
Wiesen wie diese sind in Großstädten bejubelte Naturoasen
Zwischenzeitlich hatte auch ein Verein von Kerbtierschützern das Gelände für sich entdeckt. Die „Bienenbotschafter“ helfen hier der Natur nach und pflanzen auf der Wiese Blumen, die woanders wild blühen, damit sich Falter, Käfer, Hummeln und wilde Bienen dort wohlfühlen und sattsaugen können.
Solche Streuobst- und Insektenwiesen sind in großen, dicht bebauten Städten bejubelte Naturoasen. In der Nordheide fallen sie wenig auf, zumal die meisten Holm-Seppenser genügend Garten am Haus haben, um selbst das Gras wild wachsen zu lassen und ein unbeerntetes Obstbäumchen aufzustellen.
Stimmensammlung weltweit: Mit einer Online-Petition
Dennoch gibt es Freunde der Fläche und deshalb Protest. Kommunalpolitisch manifestiert sich dieser an den Akteuren, die auch vehement gegen die Buchholzer Ostumfahrung kämpfen: die Buchholzer Liste, die Grünen, die fraktionslose Abgeordnete Gudrun Eschment-Reichert und vor allem Herbert Maliers, Greenpeace-Aktivist und zubenannter Bürger im Stadtentwicklungsausschuss. Sie haben die Fläche auf der Pferdeweide in die Diskussion gebracht.
In den Augen der Stadt hat die Weide Nachteile: Sie liegt knapp außerhalb des Suchgebiets, es gibt dort kein Baurecht, und die Fläche ist in Privatbesitz. Sie müsste aufgekauft werden. Dennoch, so heißt es aus der Buchholzer Verwaltung, wurde bei den Besitzern angefragt.
Ein Aktivist wirft dem Bürgermeister Intransparenz und Verschleierung vor
Dass man zunächst keine Antwort erhielt, interpretierte man als Ablehnung und kommunizierte, die Fläche stünde nicht zur Verfügung. Anscheinend sind die Besitzer aber einem Verkauf für einen mittleren sechstelligen Betrag doch nicht abgeneigt. Herbert Maliers wirft dem Bürgermeister Intransparenz und Verschleierung von Tatsachen vor.
Es wurden Unterschriften gesammelt: 16 in Buchholz unter einem Einwohnerantrag, die Planung zu stoppen, und 1600 weltweit in einer Online-Petition. Auch hier wurde mehrfach der Vorwurf der Mauschelei und der Intransparenz erhoben. Der Rat beschließt mit großer Mehrheit, die Planungen am Schoolsolt bevorzugt weiterzuverfolgen. Die unterlegenen Gegner reagieren mit Kommunal- und Dienstaufsichtsbeschwerden und rufen das Verwaltungsgericht an – erfolglos.
Gegner finanzieren eigenes Gegengutachten
Inzwischen hat sich auch das Forplan-Institut mit der Pferdeweide befasst. Ergebnis: Die Hilfsfrist ist von der städtischen Fläche aus etwas einfacher einzuhalten, als von der Weide aus. Das liegt vor allem an der einfacheren Anfahrt für die meisten Feuerwehraktiven. Außerdem möchte die Stadt hier neben der Feuerwehr weiterhin Wohnungsbau verwirklichen, vorzugsweise für Feuerwehrleute, um deren Weg zur Wache zu verkürzen.
Dass Forplan schon lange mit der Stadt zusammenarbeitet, macht das Institut für Maliers verdächtig, auftraggeberhörig zu sein. Er sammelte Geld und gab ein eigenes Gutachten in Auftrag. Mitarbeiter des Instituts für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der Technischen Hochschule Köln reisten nach Buchholz und nahmen die Flächen in Augenschein.
Das Ergebnis liegt noch nicht vor. Dennoch gab Herbert Maliers im Beisein der Gutachter bekannt, dass durch ihre Untersuchung, alle Argumente der Stadt widerlegt würden. Damit begründet er auch einen Antrag, im Rat, die Planung sofort zu stoppen.
Der Vorwurf: Keiner der Gutachter ist Experte im Thema Einsatzplanung
Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse verliert darauf zweimal kurz seine sonst wohlgehütete Contenance: In einer Maliers‘ Antrag betreffenden Mail an die Fraktionen verwendet er Emojis, und in der Sitzung bezeichnet er die Aussagen der Standortgegner, vor allem, was die Transparenz seiner Arbeit angeht, als „Lügen“. Die Buchholzer-Listen-Abgeordnete Grit Weiland gibt ihre Empörung zu Protokoll.
- Landkreis Harburg: Brand in Einfamilienhaus – Mann stirbt in den Flammen
- Buchholz will sein Feuerwehr-Problem mit Satelliten lösen
- Buchholz muss Feuerwachen umsiedeln
Röhse empfiehlt die Ablehnung von Maliers‘ Antrag. Maliers habe das Ergebnis des Gutachtens öffentlich vorweggenommen und damit als Auftraggeber ein Erkenntnisinteresse formuliert. Damit könne das Gutachten nicht mehr unabhängig sein. Schützenhilfe erhält er von der FDP: Ratsherr Martin Pries referiert, dass nach seiner Recherche die beiden Gutachter an ihrem Institut keine Experten für Einsatzplanung seien, sondern der eine für Organtransporte und der andere für künstliche Beatmung. Der Rat lehnt Maliers‘ Antrag ab.
Ist damit ein Ende der Debatte erreicht? Noch nicht. Bevor endgültig gebaut werden kann, muss der Rat noch den geänderten Bebauungsplan beschließen. Bis dahin wird den Gegnern noch etwas einfallen. Und das Gutachten kommt ja auch noch.