Eine Radtour durch Hamburger Stadtteile, entlang an Elbe und Alster, öffnet die Augen für Dinge, die besser werden.

Seien wir ehrlich: Das Land war schon einmal besser gelaunt. Die weltbekannte German Angst ist zurück. Wir haben Angst vor der Deindustrialisierung, Angst vor Zuwanderung, Angst vor dem Atomkrieg, Angst vor dem Untergang. Ausgerechnet in den gemäßigten Breiten der Bundesrepublik diskutieren wir den Klimawandel hysterischer als andernorts. Aktivisten, die sich wie eine Weltuntergangssekte „Letzte Generation“ nennen, heizen nicht unbedingt das Treibhaus Erde, aber zweifellos den Streit an.

Natürlich sind alle Sorgen und Ängste berechtigt – sie beginnen aber fatal zu werden, wenn wir alle Hoffnung fahren lassen und die Apokalypse erwarten, egal ob morgen, nächste Woche oder erst im nächsten Jahr. Wer ständig den Untergang herbeiredet, herbeisendet oder herbeidemonstriert, wird keinen Aufbruch erreichen. Zukunft, das war mal ein weites offenes Land, in dem alles besser werden sollte, das war der Ansporn für Engagement. Zukunft, das war Verheißung.

Verkehrswende: Warum Angst vor der Zukunft nicht weiterbringt

Heute hat die Dystopie die Utopie ersetzt, der Albtraum die Träume, Weltuntergangsprediger haben die Weltverbesserer in Rente geschickt. Für viele ist alles schrecklich – die Geschichte deuten sie als Aneinanderreihung von Untaten, die Gegenwart verstehen sie als eine Ära des Versagens, und die Zukunft empfinden sie als Geisterbahn ins Verderben. Wer so auf die Zeit blickt, wird blind für das Positive.

Manchmal reicht eine Radtour, um den Kompass neu zu justieren und die Dinge einfach mal positiv zu sehen. Endlich ist Frühling in der Stadt. Man fühlt sich an den Dichter Hein Köllisch erinnert, der vor weit über 100 Jahren so wunderbar dichtete: „To Pingsten, ach wie scheun, wenn de Natur so greun, un all’ns na buten geiht, dat is een wohre Freid!“

Hamburg hat einen Hauch von Holland

Wer heute – vielleicht erstmals seit längerer Zeit – mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt, entlang der Alster, die Elbe hoch, durch die Stadtteile, wird seinen Augen nicht trauen: Die Stadt hat sich verändert – und zwar zum Positiven. 22 Prozent der Wege werden heute mit dem Rad zurückgelegt, die Straßen sind ruhiger, die Luft ist besser, das Lebensgefühl entspannter.

Hamburg wirkt wie eine holländische Metropole. Der oft umstrittene und heiß diskutierte Umbau zur Fahrradstadt wirkt. Und auch wenn die City immer Wirtschaftsraum und nicht nur Ausflugsziel sein muss, eine Stadt steht und fällt mit ihrem Charisma. Eine coole Metropole ist ein Standortfaktor. Junge, kreative Leistungsträger werden sich in Hamburg eher heimisch fühlen als in autogerechten Städten.

Coole Städte sich langfristig auch erfolgreicher

Vor mehr als zwei Jahrzehnten hat der US-amerikanische Professor Richard Florida die These formuliert, dass coole urbane Zentren eine kreative Klasse anziehen und damit Innovation stimulieren. Das mag sehr optimistisch klingen – aber Fakt ist, dass Radfahrstädte inzwischen die Regel, nicht die Ausnahme sind. Kopenhagen und Amsterdam waren nur Vorreiter.

Barcelona etwa hat schon vor Jahren sogenannte „Superblocks“ oder „Superinseln“ eingeführt. Mehrere Häuserblöcke werden dabei zu einem weitgehend autofreien Quartier, in dem sich die Straßen in „grüne Achsen“ verwandeln. Paris reduziert die Zahl seiner Parkplätze drastisch und hat die in der Pandemie temporär eingerichteten Radwege in dauerhafte Velo-streifen umgewandelt.

Verkehrswende: Selbst London setzt aufs Fahrrad

Londons Stadtregierung will bis 2030 den Autoverkehr in der Hauptstadt um mehr als 25 Prozent reduzieren. Die Me­tropole soll „eine Stadt werden, in der Gehen, Radfahren und öffentliche Verkehrsmittel die attraktivste und praktischste Wahl sind“, so Bürgermeister Sadiq Khan.

Jüngsten Zahlen zufolge haben Radfahrer inzwischen einen Anteil von 27 Prozent am Verkehrsaufkommen in der City of London und liegen damit vor dem Auto. Die Verkehrswende ist keine spinnerte Hamburger Idee, sondern Mainstream.

Besagte Fahrradtour habe ich übrigens mit Berliner Freunden unternommen, die aus dem Staunen über Hamburgs grüne Seiten gar nicht mehr herauskamen. Manchmal muss man mit anderen Augen sehen, damit sich der Blick weitet.

Früher hieß es: „Aus grauer Städte Mauern zieh’n wir durch Wald und Feld, wer bleibt, der mag versauern, wir fahren in die Welt“. Heute reicht eine Tour durch Hamburg. Und beim Radeln bleibt sogar Zeit, darüber nachzudenken, ob die Welt wirklich untergeht. Oder einfach Tag für Tag auch ein Stück besser wird.