Hamburg. Der Springer-Vorstand hat unsäglich dumme Nachrichten geschrieben – aber die Reaktionen darauf verstören. Ein Kommentar.
Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht. Seitdem in der vergangenen Woche „Die Zeit“ auf einer Doppelseite tief in die private Kommunikation des Springer-Chefs Mathias Döpfner eingetaucht ist, steht Deutschlands großer Medienkonzern von allen Seiten unter Beschuss. Pünktlich zum Erscheinen des neuen Buchs „Noch wach?“ von Benjamin Stuckrad-Barre, das sich ganz zufällig auch der Männerwirtschaft im Berliner Medienunternehmen widmet, will jeder noch einmal mit einer tollen, kühnen oder auch tollkühnen Story um die Ecke biegen.
Natürlich ist der unvermeidliche Jan Böhmermann dabei, die „Tagesthemen“ kommentieren den Vorgang, der „Stern“ hebt ihn sogar aufs Cover. Beim Verlag Kiepenheuer und Witsch, in dem das Buch von Stuckrad-Barre erscheint und der wie „Die Zeit“ zum Holtzbrinck-Verlag gehört, findet man vor Lachen wahrscheinlich gar nicht mehr in den Schlaf.
Döpfner: Erinnerung an die Wulff-Affäre
Zugleich fühlt man sich an die Affäre Wulff erinnert. Auch dieser vermeintliche Riesenskandal, der von einer halben Staatskrise zur Mediengroteske schrumpfte, bestand darin, aus Verdachtsmomenten immer neue Vorwürfe und Skandale zu konstruieren.
Der Höhepunkt – oder Tiefpunkt – war dann die Bobbycar-Enthüllung. Ein Autohaus hatte dem Bundespräsidenten ein Spielfahrzeug für den Junior mitgegeben, später ermittelte deshalb sogar die Staatsanwaltschaft. Journalisten empörten sich darüber, dass sich der CDU-Politiker von Freunden hatte einladen lassen, ohne dafür zu bezahlen. Der gesunde Menschenverstand nahm sich eine kollektive Auszeit.
Was hat Cum-ex mit Döpfner zu tun? Nichts
Nun hat der „Stern“ – oder heißt der schon RTL? – im aktuellen Titel eine dünne Buchstabensuppe aufgetischt – getreu dem Motto „Zwei Bösewichte lesen sich doppelt gut“. Da werden die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Springer-Vorstand Döpfner und der Warburg-Bank, der nach den Cum-ex-Geschäften manche Kollegen alles zutrauen, zu einer wilden Spekulation genutzt: Der „Stern“ bastelt ein Szenario, wonach Döpfner als Kreditnehmer der Bank dem Warburg-Gesellschafter Olearius 2018 zu einen großen Interviewauftritt in der „Welt am Sonntag“ verholfen hat. Seltsamerweise erschien der nur im Lokalteil.
Der Vorwurf ist hanebüchen – auch das Abendblatt hätte ein Interview mit dem viel kritisierten Banker geführt, der „Stern“ vermutlich auch. Wo also liegt der Skandal?
Man hätte den „WamS“-Autor kontaktieren können, er hätte die Dinge schnell aufklären können. Er wurde nur nicht gefragt. Recherche hemmt den Erzählfluss. Wäre das Abendblatt nicht 2014 von Springer verkauft worden, auch hier hätten sich sicher Indizien für die Story finden können.
Das Zerrbild des Vorstands
Wenn eine These stärker ist als die Recherche, finden sich überall vermeintliche Belege. Das Ärgerliche an solchen Texten ist nicht die Recherchetiefe eines flachen Tellers, sondern das Narrativ, das dahintersteckt: Es entsteht der fatale Eindruck, in Redaktionen würde ständig von oben nach unten durchregiert, die Manager würden Aufträge erteilen, Marschrichtungen vorgeben, Wünsche formulieren, Themen setzen. Was hätte der Vorstand zu tun!
Damit bedienen all diese Geschichten über Döpfner das Denken, das man von den „Lügenpresse“-Krakeelern kennt. Um den politisch verhassten Springer-Chef abzuschießen, nimmt man den Kollateralschaden der schwindenden Glaubwürdigkeit der Medien gern in Kauf.
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Womit wir wieder bei der „Zeit“ wären. Natürlich machen die durchgestochenen Zitate in Inhalt, Ausdruck und Rechtschreibung fassungslos. Was schreibt der kluge und sprachgewaltige Vorstandschef da für einen irren Blödsinn? Aber in welchem Zusammenhang schreibt er? Warum liest man nur die eine Seite des Dialogs? Wollen wir einen Journalismus, der private Dialoge aus dem Zusammenhang reißt und skandalisiert? Ist das Private wirklich immer öffentlich?
Wer hat denn diesen SMS-Verkehr durchgestochen? Es drängt sich der Verdacht auf, es dürfte der in Ungnade gefallene Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt gewesen sein. Cui bono? Oder geht es um die Abrechnung mit der „Bild“ im Besonderen und Springer und Döpfner im Allgemeinen? Manches liest sich wie das, was Hans-Ulrich Jörges einst als „Rudeljournalismus“ bezeichnet hat.
Ein Fall von Rudeljournalismus
Ein Begriff, über den die Branche nachdenken sollte. Jörges prägte ihn übrigens im „Stern“ zur Wulff-Affäre. Und die wiederum setzte allen voran die „Bild“-Zeitung in die Welt. Wie bewertet die Otto-Brenner-Stiftung die „aufgelöste Geschäftsbeziehung“ zwischen Bild und Wulff? „Wer „Bild“ im Fall Wulff für guten Journalismus lobt, muss Stalker für ihre Treue, Schwarzfahrer für umweltfreundliches Verkehrsverhalten und Schmuggler für das Überwinden von Grenzen auszeichnen.“
Da schließt sich der Kreis. Aber rund wird die Sache nicht.