Hamburg. SPD stellt die Regierungsmannschaft auf zentralen Positionen um – und geht damit ins Risiko. Der aktuelle Leitartikel.
Es läuft die 50. Minute, die lange Zeit favorisierten Sozialdemokraten tun sich weiterhin schwer, sie überlassen dem Gegner das Feld und laufen einem Rückstand aus der ersten Halbzeit hinterher: Die Grünen machen das Spiel und führen mit 3:1. Doch nun wird die Mannschaft SPD auf gleich drei Positionen umgebaut. Und damit ändert sich auch die Taktik.
In Zeiten der Weltmeisterschaft liegt es nahe, diesen Fußball-Vergleich zu ziehen. Auch wenn ein Senat normalerweise nicht gegeneinander, sondern miteinander spielt, passt das Bild: Denn anders als in früheren Zeiten, als die stolze Hamburger Sozialdemokratie sich ihren Partner selbst aussuchte und ihn auf Distanz hielt, haben sich die Grünen inzwischen auf Augenhöhe emporgekämpft: In der aktuellen Umfrage des Civey-Instituts im Auftrag der „Zeit“ kamen die Grünen auf 30 Prozent der Stimmen und lagen damit vor der SPD um Bürgermeister Peter Tschentscher, die demnach nur 29 Prozent erreicht. Sogar die CDU mit 20 Prozent ist wieder im Spiel.
Senat Hamburg: Abgänge von Stapelfeldt und Westhagemann sind folgerichtig
Führenden Hamburger Sozialdemokraten war also klar, dass sich etwas ändern muss – mit neuen Leuten und neuer Taktik. Die Abgänge waren da fast folgerichtig: Sowohl Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt als auch Wirtschaftssenator Michael Westhagemann galten seit Längerem als amtsmüde. Beide hatten zuletzt mit diversen Problemen zu kämpfen.
Der frühere Siemens-Manager Westhagemann war ein König ohne Land – als parteiloser Senator fehlten ihm die Mittel, sich im Dauerstreit mit den Grünen am Ende durchzusetzen. Zuletzt hatte der Senat im Hafen an Zustimmung eingebüßt; immer lauter wurde die Kritik am Schlickdesaster, den Scharmützeln mit den Nachbarländern und am neuen Hafenentwicklungsplan. Um die Grünen auszubremsen, mussten die Sozialdemokraten handeln. Erst vor wenigen Tagen hatte der Koalitionspartner die Elbvertiefung öffentlich für „eindeutig und endgültig gescheitert“ erklärt. Eine Provokation.
Leonhard wertet Wirtschaftsressort doppelt auf
Westhagemann hatte Tschentscher einst geholfen, bürgerlichen Wählern zu zeigen, dass bei der SPD die Wirtschaft in guten Händen liegt. Es war ein Fehler, die Wirtschaftsbehörde nach 2020 zu amputieren und den Verkehr herauszulösen – damit wurde dieses Ressort nachhaltig geschwächt.
Mit der neuen Senatorin Melanie Leonhard erfährt das Ressort nun eine Aufwertung: In die Behörde an der Wexstraße zieht kein parteiloser Manager ein, sondern die Vorsitzende der senatsführenden Partei. Durch ihre Promotion über die Entwicklung des Familienunternehmens Rickmers im deutschen Schiffbau bringt Leonhard eine Nähe zum Hafen und seinen Protagonisten mit.
Die 45-Jährige wird froh sein, dass sie die unzumutbare Doppelbelastung aus Sozialem und Gesundheit los wird – sie bekommt damit auch mehr Möglichkeiten, sich der Parteiarbeit zu widmen. Ihr dürfte daran gelegen sein, das sozialdemokratische Profil im Senat zu schärfen: Die Grünen haben es in den vergangenen Monaten brillant verstanden, ihre Wunschthemen in den Mittelpunkt der Senatsarbeit und der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken. Die Verkehrswende, die Wärmewende und der Aufbruch des Wissenschaftsstandortes Hamburg reklamieren die Grünen für sich; bei der SPD blieb zuletzt vor allem das leidige Thema der Pandemiebekämpfung.
Stapelfeldts drohte Stadtentwicklungsziel zu verpassen
Auch der Wechsel von Dorothee Stapelfeldt nach siebeneinhalb Jahren in der Stadtentwicklungsbehörde ist konsequent und richtig. Ihre beachtlichen Erfolge im Wohnungsbau bleiben, zuletzt aber wurde der Gegenwind stärker.
Aufgrund steigender Zinsen und schrumpfender Investitionen rückt das Ziel von 10.000 Wohnungen in weite Ferne. Nach der fatalen Einigung mit den Volksinitiativen, die den Neubau massiv erschweren werden, wird dieses Ziel fast unerreichbar. Stapelfeldt war gegen die teure Einigung des Senats mit der Initiative „Keine Profite mit Boden und Miete“, am Ende aber vermochte sie sich nicht durchzusetzen.
Das macht den Start von Karen Pein als neue Senatorin nicht leichter – sie ist aber vom Fach und in der Stadt bestens vernetzt. Für die designierte Nachfolgerin von Leonhard, Melanie Schlotzhauer, gilt das Gleiche – im Übrigen dürfte mit dem Ende der Pandemie das Ressort deutlich an Gewicht verlieren.
Gallinas Verbleib als Justizsenatorin ist unverständlich
Unverständlich hingegen bleibt, dass die erste Kandidatin für einen Austausch im Senat im Amt bleibt: Die unglückliche Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) steht nicht nur fachlich in der Kritik, sondern auch wegen der Anklage gegen ihren früheren Lebensgefährten. Er soll in „großem Umfang“ Geldmittel der Fraktion für private Zwecke verwendet haben, wovon auch Gallina profitierte. Die Anklage dürfte für die Grünen ungemütlich werden.
Aber das ist nun nicht mehr Tschentschers Problem: Er hat eine neue Mannschaft auf dem Feld, die SPD spielt auf Sieg. Es dürfte eine spannende zweite Halbzeit werden.