Hamburg. Hamburg wächst und es mangelt an günstigem Wohnraum. Das soll sich ändern. Rot-Grün einigt sich mit Volksinis. Das Ergebnis.

  • Hamburg revolutioniert den Wohnungsmarkt mit neuen, verschärften Regeln
  • Wohnungen und Grundstücke dürfen nur in Ausnahmefällen an private Käufer gehen
  • Sozialwohnungen unterliegen in Hamburg nun einer 100-jährigen Mietpreisbindung
  • Wohnungsunternehmer halten die Schritte für „eine dramatische Fehlentscheidung“

Für die Hamburger Wohnungsbaupolitik gelten künftig deutlich verschärfte Regeln: Die Stadt darf bis auf wenige Ausnahmen keine Wohnungen oder Wohnungsbau-Grundstücke mehr an Private verkaufen, sondern darf sie nur noch im Erbbaurecht vergeben. Und sie verpflichtet sich, pro Jahr mindestens 1000 Sozialwohnungen mit einer 100-jährigen Mietpreisbindung zu schaffen. Bislang sind 30 Jahre Standard.

Darauf haben sich die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen mit Vertretern zweier Volksinitiativen geeinigt, die 2019 unter dem Motto „Keine Profite mit Boden & Miete“ angetreten waren. Im Gegenzug werden die Initiativen, hinter denen vor allem die beiden großen Hamburger Mietervereine stehen, eingestellt.

Sie hatten ursprünglich gefordert, dass die Stadt überhaupt keine Wohnungen und Grundstücke mehr verkaufen darf und dass auf ihren Flächen ausschließlich Sozialwohnungen gebaut werden dürfen. Dafür hatten sie jeweils mehr als 14.000 Unterschriften vorgelegt.

Wohnen Hamburg: Rot-Grün einigt sich mit Volksinis

Nach fast zwei Jahren Verhandlungen ist ein Kompromiss herausgekommen. So soll die Verpflichtung, keine Wohnungen und Wohngrundstücke mehr zu verkaufen, ebenso in die Verfassung aufgenommen werden wie das „Staatsziel“, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Diese rechtliche Verankerung, für die Rot-Grün dank Zwei-Drittel-Mehrheit in der Bürgerschaft sorgen kann, geht sogar über die Forderungen der Initiativen hinaus.

Im Gegenzug mussten sie einige „Kröten“ schlucken, wie ihre Vertreter einräumten: So darf die Stadt Grund und Boden in Ausnahmefällen weiterhin verkaufen, etwa für Infrastrukturprojekte oder in „großen Stadtentwicklungsgebieten“ – als solche gelten Projekte mit mehr als 700 Wohneinheiten wie Oberbillwerder oder Mitte Altona. Dort kann also auch künftig ein „Drittel-Mix“ aus Sozial-, Eigentums- und frei finanzierten Mietwohnungen entstehen. Neue Voraussetzung für den Boden-Verkauf ist allerdings, dass die Bürgerschaft dem zustimmt.

Hamburgs Wohnungs-Kompromiss Thema im Podcast:

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VNW spricht von „dramatischer Fehlentscheidung“

Die Initiativen-Vertreter feierten die neuen Regeln, die ab September 2024 gelten, als „riesigen Erfolg“. SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf nannte die Vereinbarung „wegweisend“, Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen sprach von einer „Zeitenwende in der Bodenpolitik“. Bei denjenigen, die am Ende die Wohnungen bauen sollen, stieß die Einigung hingegen auf massive Kritik.

„Der Kompromiss mit den Volksinitiativen wird nicht dazu führen, dass mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Stattdessen gefährdet er den Bau von geförderten und frei finanzierten Wohnungen auf den Grundstücken der Stadt erheblich“, teilten der Grundeigentümer-Verband Hamburg, der IVD Nord, der BFW Nord sowie der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) in einer gemeinsamen Erklärung mit. „Insofern halten wir ihn für eine dramatische Fehlentscheidung.“

Wohnungsverbände im Norden zeigen sich sehr skeptisch

Die Wohnungswirtschaft kritisiert den Erbpacht-Kurs der Stadt schon seit Jahren. „Unsere Mitgliedsunternehmen wollen von der Stadt Grundstücke kaufen und nicht pachten“, hatte VNW-Chef Andreas Breitner stets klargestellt. Die in seinem Verband organisierten Genossenschaften würden Wohnraum langfristig zu bezahlbaren Preisen anbieten und hätten nun den Eindruck, dass man ihnen misstraue. Zudem bekämen sie von den Banken für Wohnungen auf einem Erbpacht-Grundstück schlechtere Finanzierungskonditionen als wenn sie auf ihrem eigenen Grund bauen würden.

Marc Meyer vom Verein „Mieter helfen Mietern“, einem der Initiatoren der Volksinitiativen, räumte ein, dass es hier einen Dissens zu den Genossenschaften gebe. Aber da diese der Schaffung günstigen Wohnraums verpflichtet seien, gehe er davon aus, dass sie sich mit den veränderten Bedingungen arrangieren werden und Hamburg eine „Genossenschaftsstadt“ bleibe. Im Übrigen hätten viele Banken signalisiert, dass Finanzierungen bei einem auf 100 Jahre angelegten Erbpachtvertrag – das soll künftig Standard sein – durchaus möglich seien. Auch SPD-Fraktionschef Kienscherf prophezeite, dass die Banken mit diesen Bedingungen „ganz wunderbar“ klarkommen werden.

Finanzierung „schwierig bis unmöglich“

Die Wohnungswirtschaft kritisierte darüber hinaus, dass die Finanzierung von Wohnraum bei 100-jährigen Mietpreisbindungen auf einem Niveau unterhalb des Mietenspiegels ohne zusätzliche öffentliche Förderung „schwierig bis unmöglich“ werde. Dabei ging sie allerdings noch von dem bisherigen Förderzeitraum von maximal 30 Jahren aus. Die Einigung mit den Initiativen sieht hingegen eine Förderung dieser Wohnungen über 50 Jahre vor.

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt und Finanzsenator Andreas Dressel (beide SPD) versprachen, dass die Stadt ihre Wohnraumförderung von derzeit gut 175 Millionen Euro jährlich nötigenfalls erhöhen werde. Konkrete Daten nannten sie dazu nicht. Es bleibe zunächst abzuwarten, wie viele Wohnungen überhaupt gebaut würden, sagte Stapelfeldt.

2021 wurden nur 7500 Wohnungen fertig

Grundsätzlich halte der Senat an seinem Ziel fest, 10.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, darunter mindestens ein Drittel Sozialwohnungen. Nachdem diese Ziele in den Vorjahren erreicht worden waren, waren 2021 nur rund 7500 Wohnungen fertig geworden. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine brach die Baukonjunktur infolge von Materialengpässen und steigenden Zinsen weiter ein. Verbände wie der VNW halten die Senatsziele daher kaum noch für erfüllbar.

Die Vertreter der Initiativen – die eigentlich inhaltlich zusammengehören und 2019 nur aus formalen Gründen getrennt eingereicht worden waren – zeigten sich mit der Einigung hingegen ebenso zufrieden wie SPD und Grüne. Trotz des angekurbelten Wohnungsbaus sei die Zahl der Sozialwohnungen in Hamburg seit 2011 von knapp 100.000 auf 73.000 zurückgegangen, so Marc Meyer.

Wohnen Hamburg: „grundlegend andere Richtung“ für Wohnungspolitik

Eine 100-jährige Mietpreisbindung führe künftig dazu, dass der Bestand wieder wachse, ergänzte Paul-Hendrik Mann vom Mieterverein zu Hamburg. „Städtische Immobilienmärkte sind zum Tummelplatz internationaler Investoren geworden“, erinnerte Gilbert Siegler als Initiator der Volksinitiativen. Nun gebe man der Wohnungspolitik eine „grundlegend andere Richtung“.

Finanzsenator Dressel kritisierte erneut den Verkauf städtischen Eigentums durch die damaligen CDU-Senate: „Der Privatisierungsorgie früherer Zeiten wird nun ein Riegel vorgeschoben.“ Heike Sudmann (Linkspartei) beglückwünschte die Initiativen: „Kommt das Erbbaurecht in die Hamburger Verfassung, ist es vorbei mit dem Ausverkauf städtischer Grundstücke.“