Hamburg. Anklage gegen Ex-Partner Michael Osterburg belastet Anna Gallinas Amtsführung schwer. Ein Verfahren mit Merkwürdigkeiten.

Einen solchen Fall hat es in der langen Geschichte des Rathauses vermutlich noch nicht gegeben: Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen gewerbsmäßiger Untreue in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung in 121 Fällen gegen den langjährigen Ex-Partner eines Senatsmitglieds erhoben. Zusätzlich pikant ist die Sache, weil Anna Gallina (Grüne), die betroffene Senatorin, nicht etwa für Sport oder Kultur zuständig ist, sondern die Justizbehörde führt und damit die Dienst- und Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaft innehat.

Dass die Anklage erhoben wird, war lange erwartet worden. Der Fall hat in den vergangenen gut zwei Jahren bekanntlich bereits mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Michael Osterburg, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte und über viele Jahre eines der bekanntesten Gesichter seiner früheren Partei, soll als Fraktionschef in großem Stil zwischen 2015 und 2019 Spesenabrechnungen gefälscht und seine Fraktion damit betrogen haben. Die Namen von zahlreichen Politikern und Journalisten stehen auf den abgerechneten Belegen Osterburgs, obwohl er in Wahrheit wohl häufig mit seiner damaligen Partnerin Gallina essen war.

Justiz Hamburg: Osterburg schweigt zu den Vorwürfen

Die Beweislage scheint erdrückend: Viele der von Osterburg auf den Abrechnungen Genannten haben mittlerweile erklärt, mit ihm jedenfalls zu der Zeit und an dem Ort nicht zusammen gewesen zu sein. Damit nicht genug: Über die Mitte-Fraktion soll Osterburg auch Kinderbetreuungskosten – Gallina und er haben eine gemeinsame Tochter – und die Anschaffung technischer Geräte abgerechnet haben.

Darunter soll zum Beispiel ein Rasenmäher sein. Schließlich soll sich der Ex-Grüne, der seine Partei 2020 verließ, auch Reise- und Mietwagenkosten ohne Grund erstatten lassen haben. Insgesamt geht es um einen mutmaßlichen finanziellen Schaden in Höhe von 34.500 Euro. Es dürfte ein Mammutverfahren werden: Die Staatsanwaltschaft will 162 Zeugen befragen und hat 347 Dokumente der Anklageschrift beigefügt. Osterburg schweigt zu den Vorwürfen nicht nur öffentlich, sondern auch gegenüber der Staatsanwaltschaft seit Beginn des Ermittlungsverfahrens im Mai 2020.

Für Osterburg gilt die Unschuldsvermutung

Für den Ex-Politiker gilt die Unschuldsvermutung bis zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung. Die Justizsenatorin wird aller Voraussicht nach als Zeugin in dem Prozess gehört werden, sie war bereits zweimal als solche im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vernommen worden. Gallina hat stets bestritten, von den Täuschungen und Betrügereien Osterburgs etwas gewusst oder mitbekommen zu haben.

Auch die Staatsanwaltschaft sieht keinerlei Anzeichen für eine Tatbeteiligung, und die Senatorin wird daher strafrechtlich in keiner Weise belangt. Im Zentrum der Spesenaffäre steht das Restaurant „Rucola e Parma“ – laut Eigenwerbung „Der Italiener beim Schlump“. Ganz in der Nähe wohnten Gallina und Osterburg früher gemeinsam. Die Senatorin hat mehrfach intern betont, dass Osterburg immer am Tresen des „Rucola e Parma“ bezahlt habe und sie am Tisch sitzend die Modalitäten der Abrechnung nicht mitbekommen habe.

Osterburg soll auch den Hummer auf Malta abgerechnet haben

Stets hat die Senatorin erklärt, sie wolle sich nicht öffentlich äußern, um nicht in das laufende Ermittlungsverfahren einzugreifen. Einmal wich Gallina allerdings doch von diesem Prinzip ab, weil der Druck nicht zuletzt aus der eigenen Partei zu groß geworden war. Im Dezember 2020 war bekannt geworden, dass Osterburg ein Essen auf der Mittelmeerinsel Malta, bei dem auch Hummer gereicht wurde, abgerechnet haben soll. Gallina hatte als damalige Grünen-Landesvorsitzende zuvor an einer Rettungsaktion für Geflüchtete aus dem Libyschen Meer an Bord der „Sea Eye“ teilgenommen. Edle Speisen und die Not der Flüchtlinge – das war selbst für Wohlmeinende zu viel an Zumutung.

„Ich kann mich an einen Restaurantbesuch mit mehreren Personen einige Tage nach Rückkehr aus dem Einsatzgebiet erinnern, bei dem von anderen Hummer bestellt wurde. Ich selbst esse keinen Hummer“, sagte Gallina und bat um Entschuldigung. Es tue ihr leid, dass rund um den humanitären Einsatz im Mittelmeer in der Öffentlichkeit ein so negativer Eindruck entstanden sei. Die von Osterburg über die Mitte-Fraktion abgerechnete Zeche soll 250 Euro betragen haben. Gallina ließ über Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschef Dominik Lorenzen erklären, dass sie keine Kenntnis von der späteren Verwendung der Restaurantquittung hatte.

Anklage gegen Ex-Partner wiegt schwer

Auch wenn Gallina strafrechtlich nichts vorgeworfen wird, belasten sie die Ermittlungen und jetzt die Anklage gegen ihren Ex-Lebensgefährten politisch schwer. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Staatsanwaltschaft gegenüber der Justizsenatorin weisungsgebunden ist – anders als die Gerichte. Jede Entscheidung, ja, jeder bekannt gewordene Ermittlungsschritt der Anklagebörde wird daraufhin abgeklopft, ob sie Gallina nützen oder ob sie Einfluss genommen hat. Letzteres wäre quasi politischer Selbstmord.

Die Causa Osterburg spielt daher nicht nur am Sievekingplatz, wo die Gerichte sitzen, sondern auch im Rathaus, wo Senat und Bürgerschaft tagen. Die Grünen haben Anna Gallina in Kenntnis der Vorwürfe gegen Osterburg als Justizsenatorin und damit „Dienstherrin“ der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat sie berufen. Die frühere Grünen-Landesvorsitzende hätte vermutlich lieber die Stadtentwicklungsbehörde übernommen, aber das hat die SPD nicht zugelassen.

Dauer des Ermittlungsverfahrens ungewöhnlich

Durchaus ungewöhnlich ist die Dauer des Ermittlungsverfahrens, schließlich ist der Sachverhalt zwar umfangreich, aber nicht wirklich kompliziert. Schon gab es bei manchen Justizexperten die Vermutung, das Verfahren könne per Strafbefehl eingestellt werden, was allerdings ein Geständnis Osterburgs zur Voraussetzung gehabt hätte.

Dieser Weg hätte für Gallina den Vorteil gehabt, dass ein öffentlicher Prozess mit dauerhafter medialer Begleitung unter Beleuchtung ihrer Rolle vermieden worden wäre. Politisch wäre diese Variante allerdings für die Senatorin nachteilig gewesen.

„Hoffentlich wird jetzt schnell der Prozess eröffnet"

Sofort wäre die Frage aufgetaucht, ob es im Hintergrund eine Absprache zwischen Gallina und der Staatsanwaltschaft gegeben haben könnte oder es gewissermaßen vorauseilender Gehorsam war. Nun ist es anders gekommen, und mangelnder Aufklärungswille ist das Letzte, was der Anklagebehörde vorzuwerfen ist.

Gallinas Parteifreundinnen und -freunde werden überwiegend mit Erleichterung reagiert haben, dass nun mit der Anklageerhebung der nächste Schritt in dem aus ihrer Sicht quälend langen Verfahren eingeleitet ist. „Hoffentlich wird jetzt möglichst schnell der Prozess eröffnet, und hoffentlich werden die Vorwürfe dann umfassend aufgeklärt“, sagte Grünen-Fraktionschef Lorenzen dem Abendblatt. Viele gerade auf der Bezirksebene ehrenamtlich tätigen Politikerinnen und Politiker, nicht nur bei den Grünen, die „jeden Pfennig dreimal umdrehen müssen“, erwarteten eine Klärung.

Lage für die Justizsenatorin bleibt fragil

Das Risiko des nun absehbaren Prozesses gegen Osterburg liegt für Gallina darin, dass neue Sachverhalte bekannt werden können oder überraschende Aussagen zustande kommen. Was passiert, wenn Osterburg sein Schweigen bricht und seine Ex-Partnerin belastet? Dann stünde mindestens Aussage gegen Aussage. Die Lage bleibt für die Justizsenatorin fragil und ist geeignet, ihre Amtsführung zu beeinträchtigen.

Nicht nur aus juristischem Blickwinkel ist interessant, warum die Staatsanwaltschaft Osterburg vor dem Landgericht angeklagt hat. Manche Justizexperten zogen deswegen die Augenbrauen hoch, weil die 34.500 Euro, um die es jetzt letztlich geht, eher ein Verfahren vor dem Amtsgericht vermuten lassen. Die Staatsanwaltschaft begründet ihr Vorgehen mit dem Hinweis auf den Paragrafen 24 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Dort heißt es unter anderem, die Staatsanwaltschaft könne in einem Verfahren unter anderem „wegen des besonderen Umfangs“ Anklage beim Landgericht erheben.

Landgericht zur Zeit überlastet

Nun muss das Landgericht zunächst ohnehin über die Eröffnung des Verfahrens entscheiden, was aber als sicher gilt. Die zuständige Große Strafkammer kann die Sache auch an das Amtsgericht abgeben, sodass dann vor einem Einzelrichter verhandelt würde. Das ist nicht ausgeschlossen, kommt aber eher selten vor. Im Fall der Freikarten-Affäre im Zusammenhang mit dem Konzert der Rolling Stones im Stadtpark ging es bei den Anklagen gegen Harald Rösler, den Ex-Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord, und andere Beschuldigte zwischen Amts- und Landgericht hin und her, ehe am Ende doch die höhere Instanz übernahm.

Sollte das auch bei der Causa Osterburg der Fall sein, würde sein Prozess vor dem am stärksten überlasteten Gericht landen. Gerade erst hatte Gallina verkündet, dass am Landgericht vier zusätzliche Große Strafkammern eingerichtet und entsprechend neue Richterinnen und Richter eingestellt werden. Dabei geht es vor allem um die möglichst zeitnahe Bewältigung der zahlreichen Verfahren im sogenannten Encro-Chat-Komplex sowie den Kampf gegen Kinderpornografie.

Bis zur Eröffnung könnte es Jahre dauern

Grundsätzlich gilt für die Priorisierung von Verfahren bei überlasteten Gerichten, dass Haftsachen Vorrang haben. Die Untersuchungshaft darf nicht unangemessen lange dauern, und es ist auch in Hamburg bereits zur Entlassung von Untersuchungsgefangenen gekommen, weil sie nach Auffassung von Haftrichtern zu lange hinter Gittern auf ihren Prozess warten mussten. Umgekehrt bedeutet das aber, dass ein Verfahren wie das gegen Michael Osterburg, der nicht in Untersuchungshaft sitzt, auf die sprichwörtliche lange Bank geschoben wird.

Insider gehen davon aus, dass es bis zu vier Jahre dauern kann, bis der Prozess in einer Nicht-Haftsache vor dem Hamburger Landgericht eröffnet wird. Das wäre allerdings für Anna Gallina vermutlich ein willkommenes Geschenk, weil die Anfang 2025 endende Legislaturperiode dann bereits abgelaufen und eine neue Bürgerschaft gewählt worden wäre.

Justiz Hamburg: Rösler musste dreieinhalb Jahre warten

Harald Rösler, der Hauptangeklagte in der Stones-Ticketaffäre, musste übrigens dreieinhalb Jahre warten, bis sein Prozess vor dem Landgericht im November 2021 begann. Rösler, der unter anderem 100 Freikarten und 300 Ticket-Kaufoptionen vom Veranstalter des Konzerts verlangt hatte, wurde im April dieses Jahres zu einer Geldstrafe von 21.600 Euro verurteilt. Da lag der umjubelte und begeisternde Auftritt der Rolling Stones im September 2017 fast fünf Jahre zurück.

Nun ist es völlig unstatthaft, der Staatsanwaltschaft bei der Wahl des Gerichts zu unterstellen, es ginge ihr um ein Hinauszögern des Prozessbeginns. Deswegen ist ein Schelm, wer Böses dabei denkt.