Hamburg. Vor zweieinhalb Jahren war Bürgerschaftswahl – derzeit spricht wenig für einen neuerlichen SPD-Sieg.
Wäre die Legislaturperiode ein Fußballspiel, es liefen gerade die letzten Sekunden der ersten Halbzeit. Im Februar 2020 landete Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gegen seine Herausforderin Katharina Fegebank (Grüne) einen deutlichen Sieg: Lagen beide zu Beginn des Wahljahres in Umfragen noch gleichauf, ließ der Titelverteidiger die Herausforderin am Ende mit 15 Punkten hinter sich. Man muss kein großer Politikkenner sein, um vorauszusagen: Das könnte in zweieinhalb Jahren ganz anders aussehen.
Denn die Sozialdemokraten sind derzeit außer Form. Im Vergleich zu den Grünen wirken sie blass, visionslos, verzagt. Das ausgeprägte Selbstvertrauen der Hamburg-Partei scheint verschwunden, die Richtlinien der Politik bestimmen allzu oft die Grünen. Der erfolgreiche Wahlkampf, den die SPD bissig bis zur Blutgrätsche gegen ihren Koalitionspartner geführt hatte, ist Vergangenheit. Heute scheint die SPD fast ohne Angreifer zu spielen.
Peter Tschentscher bekam in Pandemie viel Beifall
Das hat auch mit der Pandemie zu tun: Bürgermeister Peter Tschentscher erwarb sich als kompetenter Mediziner auch auswärts Renommee und bekam viel Beifall. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD), der man mitten in der Pandemie noch zusätzlich den Mühlstein des Gesundheitsressorts umhängte, konnte ebenfalls punkten. Doch während Corona die politische und programmatische Aufmerksamkeit der Sozialdemokraten absorbierte, ja aufzehrte, setzten die Grünen auf ihre Fachpolitiker und spielten unbedrängt nach vorne. Und so wurde aus der vermeintlichen Führung der SPD schnell ein Unentschieden.
Eifrig gingen die Grünen in den Ressorts Verkehr, Umwelt und Wissenschaft in die Offensive und spielten sich die Bälle zu. Da fiel die unglückliche Besetzung der Justiz kaum ins Gewicht. Jens Kerstan treibt die Energie-, Anjes Tjarks die Verkehrs- und Katharina Fegebank die Wissenschaftswende voran. Aber was treibt die SPD voran? Oder wird sie getrieben?
Die Grünen sind die Führungsspieler
Die Sozialdemokraten beschränken sich darauf, ihren Juniorpartner hin und wieder zurückzupfeifen, etwa wenn der Ärger über das Anwohnerparken eskaliert oder die Wärmewende die Heizkosten der Mieter zusätzlich treibt. Nur mit Verteidigung aber kann man nicht siegen: Für ihre Fans liefern die grünen Führungsspieler, was sie zuvor im Wahlkampf versprochen hatten.
Und den Zuschauern verkaufen sie es oft habeckartig besser als die Sozialdemokraten. Wenn Tjarks spricht, nimmt er neben den Radlern auch manche Autofahrer mit, und Katharina Fegebank hat es geschafft, mit Energie und Enthusiasmus die Wissenschaft in Hamburg ins Zentrum zu rücken. Plötzlich stand es 1:2.
Erfolg beim Wohnungsbau bald Geschichte
Bei der SPD kommen Pech und Mängel in der Aufstellung hinzu: Der Erfolg beim Wohnungsbau dürfte durch Preissteigerungen und Zinsanstieg bald Geschichte sein, ohne dass Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt große Schuld trifft. Zugleich gönnt sich die SPD den Luxus, einen ihrer stärksten Senatoren im Ressort für Kultur und Medien aufzubieten.
Bei allem Respekt für die Kunst – Wahlen werden hier eher selten gewonnen. Das dritte Tor ist ein Eigentor: Bei manchen Sozialdemokraten drängt sich der Eindruck auf, sie würden am liebsten das grüne Trikot überstreifen. Da verkämpft sich die SPD in Eimsbüttel allen Ernstes dafür, dass auch Frauen und nichtbinäre Menschen oben ohne schwimmen dürfen.
Geht es so weiter, jubeln die Grünen 2025
Während grüne Wähler für derlei Eskapismus viel Verständnis mitbringen, spürt die sozialdemokratische Anhängerschaft gerade ganz andere Probleme: Energieknappheit, Gasnotlage, Inflation und Lieferprobleme stürzen die Wirtschaft in eine Rezession; die längst vergessen geglaubte Angst um den Arbeitsplatz kehrt zurück. Und mehr noch treibt viele Menschen die Sorge um, ob und wie sie ihren Lebensstandard halten können. Doch ein Wirtschaftssenator, der sich darüber Gedanken macht, wird von den eigenen Leuten sogar noch zurückgepfiffen.
Peter Tschentscher hatte einst Michael Westhagemann geholt, um dem Bürgertum zu zeigen, dass bei der SPD die Wirtschaft in besten Händen ist. Davon ist wenig geblieben. Wenn sich die SPD weiter mit der Rolle als Greenkeeper der Grünen begnügt, wird die zweite Halbzeit verloren gehen, und die Grünen, vielleicht sogar die CDU, dürfen 2025 jubeln. Wie war das noch 2001? Aber eine Legislatur hat ja 60 Monate.