Die schweren Ausschreitungen in Hamburg – ein politisches Anliegen ist nicht zu sehen.
Solche Bilder machen erschrocken, aber auch erstaunt: Warum bloß machen die das? Warum werfen Demonstranten in voller Absicht Steine auf Polizisten, legen es bewusst darauf an, dass andere Menschen schwer verletzt werden? Warum schmeißen sie Schaufensterscheiben von Drogeriemärkten ein, in denen noch Kunden einkaufen, demolieren Hotels? Welche Wut treibt sie dazu? Was ist geschehen, dass Hamburg am Sonnabend die schwersten Straßenkrawalle seit Jahren erleben musste?
Glaubt man den Plakaten, auf denen zur Demonstration aufgerufen worden ist, ging es vor allem um Solidarität für das besetzte Kulturzentrum Rote Flora. Und für ein Bleiberecht von Flüchtlingen sowie um den Erhalt der maroden Esso-Häuser an der Reeperbahn gleich mit. Bisschen viel auf einmal, könnte man meinen. Vielleicht hätte man Protest gegen Vattenfall, Elbvertiefung, hohe Mieten oder G8 bei der Gelegenheit gleich miterledigen können – egal, ob es bei Letzterem dann um acht Jahre Gymnasium oder das Gipfeltreffen der acht größten Wirtschaftsnationen geht. Hauptsache dagegen, Hauptsache Krawall.
Aber wir wollen ja verstehen: Da wäre also zunächst die Rote Flora, die schon 1989 von linksautonomen Gruppen besetzt wurde. Viel geändert hat sich daran bis heute nicht: Neu ist lediglich, dass der Eigentümer Klausmartin Kretschmer das Gebäude 2001 von der Stadt gekauft hatte und die Besetzer weiter besetzen ließ.
Jetzt will er die Rote Flora an die Stadt zurückverkaufen, streitet sich um den Preis und kündigt einen Neubau und Räumungsklagen an. Ganz offensichtlich, um Krawalle zu provozieren und die Stadt zum Kauf zu drängen. Und was macht die Stadt, also der Staat? Sie räumt nicht, lässt die Nutzer gewähren und bringt sogar einen maßgeschneiderten Bebauungsplan auf den Weg, um die Existenz der Roten Flora dauerhaft zu sichern und mögliche Verkaufsabsichten Kretschmers an Dritte ins Leere laufen zu lassen. Sie steht also im Prinzip aufseiten der Nutzer, nicht des Eigentümers. Selbst konservative Politiker in Altona sprechen mittlerweile davon, dass man in einer Stadt wie Hamburg ein solches Zentrum durchaus zulassen sollte.
Das alles kann deshalb die jetzt demonstrierte Wut nicht und die Brutalität schon gar nicht erklären. Auch das Verhalten Kretschmers kann doch im Ernst nicht Anlass dafür sein. Mit Verlaub, so blöd können die Linksautonomen nicht sein, dass sie prompt über ein solches Stöckchen springen, das ihnen da hingehalten wird. Nein, es sieht eher so aus, als dass die Attacken des Rote-Flora-Besitzers gegen die jahrzehntelange Nutzung des Gebäudes ein eher willkommener Anlass sind, um einmal die eigene Mobilisierungsstärke auf der Straße zu demonstrieren – und dabei die Reihen der zutiefst zerstrittenen linken Flora-Gruppen wieder zu schließen.
Ein Mittel zum Zweck also: Und deshalb ist irgendeine Art von Verständnis für diese Krawalle völlig falsch. Etwas anderes aber ist noch ärgerlicher: Dass die Diskussion um die Rote Flora mit Themen wie Stadtentwicklung (Esso-Häuser) und Flüchtlingspolitik vermengt wird. Was, bitte schön, hat ein absolut lokales, westliches Luxusproblemchen wie die marode Rote Flora mit dem Elend und der Angst um Leib und Leben von Flüchtlingen zu tun? Nichts, gar nichts.
Hier wird ganz offensichtlich die scheinbare Sorge um andere Menschen für die eigenen Zwecke benutzt – und sei es nur, indem man versucht, den Staat und die Stadt als diffuses Feindbild aufzubauen, das für alles Schlechte irgendwie verantwortlich, die eigene Überzeugung aber die einzig gültige Wahrheit ist. Das ist selbstgefällig, arrogant und lässt dieses ganze Demonstrationssammelsurium als politische Aussage unglaubwürdig erscheinen.
Diese Krawall-Demonstranten vom Sonnabend machen eben nicht nur sprachlos, sie sind es auch.