Deutschland braucht eine wirtschaftspolitische Strategie, sagt der Vorsitzende der IG BCE. Krisenmanagement allein reiche nicht.

Hannover. Für den Chef einer der größten deutschen Gewerkschaften ist Michael Vassiliadis sehr pragmatisch. Auf die „Sozialpartnerschaft" legt er großen Wert, mit der Betonung auf Partnerschaft. In einem Gastbeitrag erklärt der Vorstandsvorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, warum die Krisenbewältigung auch die Handschrift der Arbeitnehmer trägt und was die Politik jetzt anpacken muss.

„Tarifverträge und Gewerkschaften, Mitbestimmung und Betriebsräte, das sind vier wesentliche Gründe, warum wir in Deutschland mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise besser fertig werden als jedes andere Land.

Das stärkste Indiz für dieses erfolgreiche Krisenmanagement ist das „kleine Jobwunder“, von dem nun auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle spricht. Entgegen allen Erwartungen hat die tiefste Rezession der Nachkriegszeit nicht zu Entlassungen im großen Stil geführt, ist die Arbeitslosigkeit keineswegs millionenfach angestiegen.

Das ist sicherlich ein Erfolg vernünftiger Politik. Die Kurzarbeit etwa war und bleibt ein entscheidendes Instrument, die Krise ohne größere Verluste an Arbeitsplätzen zu überstehen. Doch ob es in den Betrieben eingesetzt wird, das ist zumeist davon abhängig, wie stark Betriebsräte in den Unternehmen sind und ob handlungsfähige Gewerkschaften die Bedingungen in den Branchen gestalten. .

Wo das gegeben ist, da kommen neben Kurzarbeit auch Instrumente zum Einsatz, die einen weit größeren Anteil am „Jobwunder“ haben. Tarifliche Öffnungsklauseln etwa ermöglichen kürzere Arbeitszeiten – mit der Garantie, dass auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wird.

Warum man jetzt die Betriebsräte stärken muss

Konfliktstrategien nützen gerade in Krisenzeiten niemanden. Im konstruktiven Miteinander der Sozialpartner indes lassen sich selbst schwierigste Herausforderungen bewältigen. Das muss die Lehre sein, die es in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu beherzigen gilt.

Wir brauchen deshalb ein politisches Förderprogramm für Betriebsräte und Mitbestimmung in den Branchen und Unternehmen, die bislang nicht vom Geist der Mitwirkung und Mitverantwortung geprägt werden.

Es kann nicht allein Aufgabe von Gewerkschaften sein, Widerstände dort zu überwinden, wo Vorstände die angemessene Beteiligung der Belegschaften verweigern. Wer die Gründung von Betriebsräten behindert, der ist in überholten ideologischen Vorstellungen gefangen – der „Herr-im-Haus-Standpunkt“ ist mit einem modernen Verständnis von unternehmerischer Freiheit und Verantwortung nicht vereinbar.

Von der Politik wie den Unternehmen und ihren Verbänden erwarten wir, dass sie die Gründung von Betriebsräten unterstützen und sich in aller Öffentlichkeit für diese Voraussetzung eines sozialpartnerschaftlichen Miteinanders einsetzen.

Warum es in Chemie und Energie keine Tariferhöhung gab

Der jüngste Tarifabschluss in der chemischen Industrie gibt darüber hinaus ein Beispiel, wie notwendig und vorteilhaft gewerkschaftliche Mitgestaltung ist. Mit diesem Vertrag bauen wir eine tarifliche Brücke von der Krise in den Aufschwung:

– mit Einmalzahlungen, die in der Höhe nach der Belastung der Beschäftigten und nach der Leistungsfähigkeit der Betriebe gestaffelt sind.

– mit der Zusage eines hohen Ausbildungsniveaus: je 9000 neue Ausbildungsplätze bis einschließlich 2013.

– mit der chemiespezifischen Förderung von Übernahme nach der Ausbildung: monatlich 1000 Euro Zuschuss für bis zu 1000 neue Arbeitsverträge.

– mit der Verständigung auf Beschäftigungssicherung: in der deutschen Chemie bleiben Entlassungen tabu.

Wir verbinden Krisenbewältigung mit der Gestaltung von Zukunftschancen – für die Belegschaften und insbesondere junge Menschen, aber auch für unsere Betriebe, die hohe Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten nur mit innovativen Produkten und Spitzenleistungen erzielen – also mit gut ausgebildeten Beschäftigten.

Jetzt ist eine wirtschaftspolitische Strategie gefragt

Das allein wird aber nicht genügen. Wir brauchen darüber hinaus in Deutschland eine wirtschaftspolitische Strategie für unsere industriellen Kerne. Chemie, Automobil- und Maschinenbau, Rohstoffe und Energie, darauf beruht unsere Ökonomie, das ist der Quell von Wachstum und Wohlstand.

Mit politischem Krisenmanagement ist es heute nicht mehr getan. Wir brauchen Entscheidungen, wie wir für gute Standortbedingungen für diese Kernindustrien sorgen. Jetzt geht es um Zukunftsgestaltung. Andernfalls könnte es passieren, dass plötzlich wichtige Glieder in der Wertschöpfungskette verkauft oder verlagert sind.

Dem müssen wir vorbeugen, indem wir klären, auf welchen Wegen mit welchen Mitteln wir im Prozess der Globalisierung bestehen können. Rahmenbedingungen zu gestalten, das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Die IG BCE ist bereit daran mitzuwirken. Aus Verantwortung gegenüber unseren Mitgliedern wie unserem Land."