Hamburg. Von Frank Sinatra bis Michael Jackson: Quincy Jones, der berühmteste Musikproduzent der Welt, ist mit 91 Jahren in Los Angeles gestorben.

„Lasst eure Egos an der Tür“ Mit dieser interessanten Benimmregel begrüßte Quincy Jones die gefühlt 3000 Stars, die er 1985 für eine Nacht- und Nebel-Aufnahme in die A&M Studios in Los Angeles zu sich bestellt hatte, um den Benefiz-Klassiker „We Are The World“ in den Kasten zu kriegen. Bob Dylan, ausgerechnet, war so nervös wie ein verkaterter Abiturient vor der alles entscheidenden Prüfung, Al Jarreau hatte schon mächtig einen im Tee. Nur Prince hatte Jones einen Korb gegeben, weil der ihm seine Sonderbehandlungs-Wünsche nicht erfüllen wollte. Alle anderen – ansonsten selbst umschwärmte Mittelpunkte im Rampenlicht - konnten selbst kaum fassen, mit wem sie da singen sollten, als glamourösester Benefiz-Chor aller Zeiten.

Quincy Jones mit Michael Jackson
Abgeräumt: Michael Jackson sein Produzent Quincy Jones bei der Grammy-Verleihung 1984. Die beiden haben bei „Off The Wall“, „Thriller“ und „Bad“ zusammengearbeitet. © DPA Images | Doug Pizac

Die Netflix-Dokumentation „The Greatest Night in Pop“ zeigt, wie aus knapp 50 Stars und zehn Stunden Arbeit eine Sternstunde wurde. Denn Quincy Jones, wahrscheinlich das größte noch verbliebene Ego im Raum, hatte sie alle im Griff, ebenso freundlich wie sicher. Der Rest wurde, wie man so sagt: Pop-Geschichte. Entertainment-Geschichte. Musik-Geschichte. Darunter darf man es nicht machen, sobald man auf eine Karriere im Showbiz zurückblickt, die mit ihren vielen Dramen mehr als verfilmungsreif ist – und da sind die Hirnaneurysmen, die den Workaholic in den 1970ern fast umgebracht hätten, noch gar nicht eingerechnet, ebenso wenig diverse Ehen und Trennungen.

Quincy Jones, der Pate der schwarzen Musik und Meister aller Klassen

Man blickt fassungslos auf nicht nur ein einziges Musiker-Leben zurück, sondern auf mehrere Epochen, die oft gleichzeitig abliefen und geschmeidig aufeinander aufbauten: Mit 14 lernte er den zwei Jahre älteren Ray Charles kennen, einer der ersten vielen Freunde fürs Leben. Jones, aus sehr einfachen Verhältnissen in Chicago stammend, war Trompeter-Azubi mit brennendem Karriere-Ehrgeiz in der Tour-Band von Lionel Hampton und anschließend bei Dizzy Gillespie. Später wurde er ein wissenshungriger Musterschüler in Paris, der die Komponisten-Schleifanstalt der knallharten Oberlehrerin Nadia Boulanger überstand. „Streicher, Holzbläser, Blech, Percussion – wenn Du damit umgehen und für ein ganzes Orchester schreiben kannst, kann dir nichts mehr Angst einjagen.“

Quincy Jones
Mit Jazz fing alles an: Quincy Jones, 1960 mit seiner Big Band im Wiener Konzerthaus. © picture alliance / brandstaetter images/Franz Hubmann | picture alliance

Aus Jones wurde außerdem ein Produzent von so geschmackvollen Alben wie „This Is How I Feel About Jazz“, Arrangeur, Bandleader. Label-Chef bei Mercury Records war eine weitere Etappe. Als Anfang der 1960er die Jazz-Verkaufszahlen sanken, war diese Delle im Portfolio für ihn so gar kein unüberwindbares Problem: Mit „It’s My Party“ macht er dann eben aus der blutjungen Lesley Gore einen Pop-Star. Jones wurde erfolgreicher Filmmusik-Komponist („Der Pfandleiher“, „In der Hitze der Nacht“) und schwarze Ikone in einem Business, das viel zu oft und viel zu lang noch Unterschiede machte. „Erfolg war ein Weg, die Diskriminierung zu beenden“, sagte er Jahrzehnte später. Am Ende war er nur noch: Über-Produzent. Godfather. The Man.

Quincy Jones: Was der Künstler anfasste, wurde meistens zur Goldenen Schallplatte

Was Jones anfasste, wurde in den meisten Fällen zu Goldenen Schallplatten. Alles, was man über diese Lebensleistung sagt oder schreibt, kann nur untertrieben sein. Den lässigen weißen Italo-Amerikaner Frank Sinatra mit dem noch viel lässigeren Swing des schwarzen Count Basie Orchestra zusammenzubringen? Sein Arrangement von „Fly Me To The Moon“, das so cool klingt, wie ein erstklassiger Martini zu schmecken hat? Perfekt. „Quincy ist einer der besten Freunde, den ein Song nur haben konnte“, fand Whitney Houston einmal.

Später Erfolg: Für sein 1989 erschienenes Album „Back On The Block“ erhielt Quincy Jones sieben seiner insgesamt 28 Grammys.
Später Erfolg: Für sein 1989 erschienenes Album „Back On The Block“ erhielt Quincy Jones sieben seiner insgesamt 28 Grammys. © AFP | Timothy A. Clary

Die Idee, Soul und Bossa Nova zu verloben, mit Jazz als Trauzeuge? Sensationell. Jahrzehnte später die damals wegweisende Idee, HipHop und Jazz gemeinsam auf die Straße zu bringen? Bombe. Für sein All-Star-Album „Back On The Block” organisierte er 1989 etliche Generationen schwarzer Größen zusammen, die Jazz-Göttinnen Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan hatten ihre letzten Studio-Auftritte, Rapper wie Ice-T traten ihr Erbe an. Ray Charles und Chaka Khan flirteten in „I’ll Be Good To You“ um die Wette. Miles Davis war kurz dabei, Dizzy Gillespie, George Benson, Bobby McFerrin… Sieben seiner 28 Grammys bekam Jones nur für dieses Album. Nominiert wurde er im Laufe seiner Karriere für 80. „Stillstand war Rückschritt, Stillstand war unmöglich.“

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Quincy Jones – Michael Jackson – „Thriller”. Dieser Dreiklang bleibt. Kein Album hat sich besser verkauft als dieses Meisterwerk, das Jones 1982 mit und für Michael Jackson erschaffen hat. Maßgeschneidert war es produziert, mit den besten der besten Studio-Musiker, mit Songs, die Jacksons Karriere als Ex-Kinderstar endgültig erwachsen, sexy und smart werden ließ. Mit „Off The Wall“, Disco vom Feinsten, hatten Jones und Jackson drei Jahre zuvor nur geübt. Und 1987 legten die beiden mit „Bad“ noch einmal nach.

Höchste Ehren: US-Präsident Barack Obama würdigte Quincy Jones 2010 für dessen Lebenswerk mit der „National Medal of Arts“.
Höchste Ehren: US-Präsident Barack Obama würdigte Quincy Jones 2010 für dessen Lebenswerk mit der „National Medal of Arts“. © AFP | JIM WATSON

Jones wäre auch zur Legende geworden, hätte es diese Zusammenarbeiten mit Jackson nie gegeben. Wenn man Stevie Wonder - was nicht übertrieben wäre - mit Mozart gleichsetzt, dann wäre Jones als Gesamtkunstwerker so etwas wie der Richard Wagner der US-amerikanischen Musikgeschichte – nur eben ohne dessen erbärmliche Charakterzüge. Quincy brauchte schon früh keinen Nachnamen mehr, ebenso wenig wie Miles oder Ella, Ray oder Dinah. „The Dude“ genügte. Oder, noch einfacher, nur „Q“. Am Sonntag ist „Q“ in Bel Air gestorben, mit 91. Ein König ist tot.