Hamburg. Al Jarreau starb im Alter von 76 Jahren. Begonnen hat er seine internationale Karriere in Onkel Pö’s Carnegie Hall in Eppendorf.

Als Al Jarreau vor gut drei Monaten in der Laeiszhalle auftritt, ist jedem Zuschauer klar, dass es dem Jazzsänger gesundheitlich nicht gut geht. An Krücken und auf einen Begleiter gestützt, kommt er auf die Bühne, nimmt auf einem Stuhl Platz, sortiert seine Noten – und singt. Duke Ellington steht auf dem Programm. Trotz seines Handicaps als Folge einer missglückten Rückenoperation ist Jarreau bester Laune. Er erzählt Anekdoten aus seiner langen Karriere, scherzt mit dem Publikum und den Musikern der NDR Bigband und zeigt wieder einmal, welch starker Sänger und glänzender Unterhalter er immer noch ist.

Doch diese Herbst-Tournee hatte Jarreau noch einmal alles abverlangt. Die für 2017 angekündigten Termine wurden von Karsten Jahnke, seinem deutschen Konzertagenten, wieder abgesagt. Jahnke teilte auch mit, dass Jarreau sich wegen Erschöpfungszuständen in ein Krankenhaus in Los Angeles begeben hatte. Der Sänger, 1940 in Milwaukee geboren, erklärte bei der Gelegenheit, dass er seine Karriere beenden werde. Ein Leben im Ruhestand ist dem siebenfachen Grammy-Gewinner nicht vergönnt gewesen, am Sonntag ist Jarreau im Kreis seiner Familie gestorben.

Jarreau in einem Jazzclub in Eppendorf

Al Jarreau hinterlässt auf der ganzen Welt ungezählte Fans, aber vor allem Hamburg war ihm sehr zugetan. Hier hat seine außergewöhnliche Karriere begonnen – in Onkel Pö’s Carnegie Hall, einem kleinen Jazzclub in Eppendorf. Im März 1976 fährt der damalige NDR-Jazzredakteur Michael Naura ins Pö, um ein Konzert von Jarreau mitzuschneiden. Der Auftritt wird im Radio übertragen, und plötzlich ist der schlanke Amerikaner in aller Munde.

Nur wenige Wochen später steht er bereits in der ausverkauften Musikhalle auf der Bühne, im selben Jahr feiert er einen weiteren Triumph beim Jazzfest Berlin. Nicht nur das Publikum, auch die vielen internationalen Kritiker erleben in der Philharmonie, dass im Fach des Jazzgesangs ein neuer Stern aufgegangen ist.

Dabei ist Jarreau ein Spätstarter gewesen. Er hatte von 1958 bis 1962 Psychologie studiert und als Rehabilitationshelfer in San Francisco gearbeitet. Nebenbei sang er im Trio des Pianisten George Duke. Großen Eindruck hinterließ bei ihm die Begegnung mit dem Saxofonisten J.T. Monterose. Der brachte ihm bei, Saxofonlinien zu singen und zu scatten. Aus der Begegnung entstand Jarreaus Gesangsstil, indem er Texte und Lautmalereien miteinander verschmolz.

„Seine Kehle bringt ein Orchester hervor“

Der Jazzkritiker Joachim Ernst Behrendt hat Jarreaus Fähigkeiten für das „Jazz Forum“ so beschrieben: „Jarreau – singend, gurgelnd, mit der Zunge schnalzend, stöhnend, schreiend, flatternd, flüsternd, seufzend, knatternd – verfügt über ein Arsenal stimmlicher Möglichkeiten, das mit dem keines anderen männlichen Sängers vergleichbar ist. Seine Kehle bringt wirklich ein ganzes Orchester hervor: Schlagzeuge und Saxofone, Trompeten und Flöten, Congas und Bässe – aber das alles aus dem Mund eines einzigen Mannes, vom tiefsten Bass zum höchsten Flageolett, als ob dieser Mann über ein Dutzend oder mehr verschiedener männlicher oder weiblicher Stimmen verfüge.“

Berühmt wurde Jarreaus Version von „Take Five“. Darin kommt alles zum Tragen, was Behrendt beschrieben hat. Beim letzten Hamburger Konzert singt er „Take Five“ als Zugabe. 2000 Zuschauer springen von den Sitzen und feiern Al Jarreau genauso enthusiastisch wie vor 40 Jahren. Der Gigant des Jazzgesangs ist tot – doch vergessen wird ihn niemand, der ihn jemals erlebt hat.