Hamburg. Pianist Kit Armstrong, Beethoven-Experte Jan Caeyers und das Ensemble Le Concert Olympique liefern einen erhellenden Erklärmarathon.
Man könnte diese Musik natürlich auch einfach „nur“ hören, wie sie ist, und sich einen (womöglich schnell wieder vergessenen) schönen Abend machen. Beethovens Werkkatalog ist voller Meisterwerke, und selbst sein gehobenes Mittelmaß ist oft noch weit gehaltvoller als das meiste seiner von diesem Genie verängstigten Zeitgenossen. Eine auf drei Jahre (bis zum Jubiläumsjahr 2027) angelegte, europaweite Konzertreihe zu entwickeln, die viele der vielen Schlüsselstücke zum besseren, tieferen Verständnis in kluge Zusammenhänge bringt – das war das Ziel des Dirigenten, Beethoven-Experten und -Biografen Jan Caeyers, der sich dafür mit dem Pianisten Kit Armstrong zusammentat.
Enzyklopädisch, mit ganz leichtem Oberseminar-Aroma? Bestimmt. Aber auch, der Auftakt unter dem Leitmotiv „Jugendlicher Enthusiasmus“ in der Elbphilharmonie zeigte das, eine Denk-fühl-Aufgabe, die anregend und unterhaltsam sein kann. Wenn man sich darauf einlassen mag, noch vor dem ersten gespielten Ton auf einen Schiller-Aufsatz über das Erhabene verwiesen zu werden, der wiederum ein ästhetischer Bezugspunkt für den Klaviersonaten-Beinamen „Pathétique“ war. Muss man nicht wissen, erweitert aber den Horizont.
Kit Armstrong mit Beethoven, historisch allerbestens informiert
„Um Beethoven zu verstehen, muss man von Bach ausgehen“, erklärte Caeyers deswegen in seiner leider nur kurzen Anmoderation, und weil diese Verehrung so groß war, hat jede Unterrichtseinheit dieser Langzeitstudie mit Bach, dem anderen großen „B“ zu beginnen. Harmonisch passend zum B-Dur des 2. Klavierkonzerts (chronologisch das erste) setzte Armstrong die Nr. 21 aus dem zweiten Band des „Wohltemperierten Klaviers“ vor das Solokonzert.
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Die bei Bach noch nicht zu überhörende Unbestimmtheit im Umgang mit dem Notentext – Armstrong sortierte sich harmlos und unverbindlich durch die Struktur – wich umgehend einer entschieden klareren Ausrichtung: straffe, aber nicht hektisch forcierte Tempi und knackige Akzente, das hörbar gemachte Wissen darum, dass hier ein neues Kapitel begann. Dass sich ein noch nicht ganz Großer ausprobierte und die Muskeln aufwärmte.
Caeyers‘ Fachpersonal-Orchester Le Concert Olympique, mit nicht mal 40 Köpfen konsequent klein besetzt, betonte diese Perspektive sachdienlich. Armstrongs Wissensvermittlungsanteil dabei: Er ließ die Virtuosenfinger von der gängigen Praxis, eine vor-geschriebene Kadenz zu spielen, sondern improvisierte diesen Part als kleinen Kunstflug, stilistisch gut austariert. Außerdem spielte er verstärkend auch jene Orchesterpassagen mit, in denen er als „Solist“ nicht vorgesehen war.
Alles wie aus dem Beethoven-Lehrbuch
Als eine Art instrumentales Vorspiel vor die 1. Sinfonie gesetzt, war die „Pathétique“ für Armstrong eine weitere Hürde, über die er sich, überraschenderweise mühsamer als erwartet, vorarbeitete. Wer als Interpret mit den ersten Takten dieser Sonate nicht sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, macht etwas Entscheidendes nicht richtig genug. Nicht richtig genug, eher spröde statt tief aussingend, ging es ebenfalls durch die Poesie des zweiten Satzes. Und auch das Schlussrondo hätte noch mehr Feuer und Gestaltungsschwung vertragen können.
Diese Punkte machte wiederum Caeyers mit der Ersten, bei der Armstrong, ebenfalls historisch passend, die Tutti-Strukturen mitspielte. Nicht, indem Caeyers der Schauwerte wegen in die Extreme ging, sondern indem er sich an die Quellen und die Fakten hielt. Alles war klar durchdacht und schlüssig, wie aus dem Lehrbuch eben.
Konzert-Fortsetzung: 8. März: „Courage und Heldentum“, u. a. mit der „Eroica“, dem „Tripelkonzert“ und der Klaviersonate Nr. 22. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Begleitliteratur: Jan Caeyers „Beethoven: Der einsame Revolutionär“. (C.H. Beck, 845 S., 29 Euro). Inge Kloepfer „Kit Armstrong – Metamorphosen eines Wunderkinds“ (Berlin Verlag, 256 S., 24 Euro).
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