Hamburg. „Luden“ widmet sich dem räudigsten St.-Pauli-Mythos. Im Mittelpunkt: Klaus „Ich will den geilsten Puff der Welt“ Barkowsky.
Hier auf der Reeperbahn trinken sie Holsten Edel und dazu „nen Lütt’n“. Einen amtlichen Korn. Oder Schampus. An diesem Ort ist Alkohol der Sprit des wilden, freien Lebens. Und er lindert den Schmerz. Es ist ein hartes Pflaster, auf dem eigene Gesetze herrschen.
Das Milieu der käuflichen Liebe mit Huren, die die Freier kobern, und den Zuhältern, unter deren Schutz sie stehen. Man könnte auch sagen, dass die Zuhälter die Prostituierten ausbeuten. Frauen sind eine Ware, die gerade von ihren Besitzern oft nicht allzu gut behandelt werden. Es gibt Revierkämpfe in diesem heruntergekommenen Amüsierviertel. Wer nicht aufpasst, der landet in der Elbe.
Amazon Prime zeigt die Reeperbahn der 80er-Jahre als Puff-Serie
So wie Klaus Barkowsky, der als junger Mann die Szenerie betritt, mit großen Plänen und noch größerer Klappe. „Ich will den geilsten Puff der Welt“, trötet er in der ab 3. März auf Amazon Prime laufenden Serie „Luden – Könige der Reeperbahn“ einmal mit ausgebreiteten Armen in die Welt hinaus. Diese Welt, das ist das Hamburg der beginnenden 1980er-Jahre, eine räudige Meile mit mehr Dreck als Glitzer.
Mit Wichskabinen, Straßenstrich und Eros-Center, mit dem Edel-Bordell „Chicago“ und machtbewussten Herrschern, die auf ihren Thronen sitzen und regieren. Mit Charme, mit Geld und mit der Faust. Sie heißen Wilfrid „Frida“ Schulz, Beatle oder Mischa. Sie fahren mit fetten Karren über den Kiez, poussieren junge Frauen. Wer außer nackter Haut noch auf eine Spur Entertainment steht, der geht ins Varieté, wo die Drag Queens auftreten. Meine Damen und Herren, das war St. Pauli: Ein Ort für Glücks- und Sexsucher, anarchisch und wild, gefährlich und schmutzig.
„Luden – Könige der Reeperbahn“: Die Story der Nutella-Bande
Und von diesem Ort, diesem historischen Betrachtungsgegenstand erzählt jetzt der Sechsteiler „Luden – Könige der Reeperbahn“. Vorher gab es zuletzt Dokus wie „Die Paten von St. Pauli“ und „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ zu sehen, die den Mythos St. Pauli auffrischten. Nun ist es also das Serienformat, das die alte Erzählung mit Lust am Zwielichtigen inszeniert. Unter all den Kiezgrößen ist es wenig überraschend Klaus Barkowsky, den sich die Showrunner Niklas Hoffmann, Peter Kocyla und Rafael Parente als Hauptfigur ausgesucht haben.
Der „schöne Klaus“ oder auch „Lamborghini-Klaus“ war eine besonders schillernde Gestalt, anhand der sich eine vergangene Epoche erzählen lässt. Barkowsky (verkörpert vom Hamburger Aaron Hilmer) wird Chef der aufstrebenden „Nutella-Bande“, die sich gegen die herrschende Luden-Vereinigung „GMBH“ ihren Platz im Rotlicht erkämpft. Eine grundlegende Form von Authentizität („Diese Geschichte ist inspiriert von wahren Begebenheiten. Namen und Handlungen von beteiligten Personen wurden teilweise verändert“ heißt es im Vorspann) behauptet die Serie, als „Story Consultant“ wird natürlich auch Barkowsky selbst geführt. Das belegt dann schon mal, dass jenem überkommenen Mikrokosmos, der vollgepumpt war mit schauriger Männlichkeit und archaischen Rollenzuschreibungen, durchaus mit Sympathie begegnet wird.
Der „schöne Klaus“ soll anders gewesen sein als andere Zuhälter
Barkowsky wird bis heute nachgesagt, er habe seine Huren weniger geschlagen als andere Pauli-Pimps, er sei großzügiger gewesen. Ein Trick der Serie ist es, dass Barkowskys Aufstieg von einer Frau erzählt wird. Die Prostituierte Jutta („Juddä“, grandios: Jeanette Hain) führt Barkowsky in die Regeln des Milieus ein, treibt ihn an, ist Mutterersatz und Geliebte.
Aus dem Off erklärt sie auch dem Zuschauer das Soziotop Hafenstadtteil („St. Pauli war der Ort für Tagträumer, jeder vor uns war vor etwas weggelaufen“). Als epische Dimension des temporeich erzählten Stoffs funktioniert das hier, aber der rhetorische Klischeealarm schrillt bisweilen. Zum Spott dürfte manchen auch der breit ausgestellte Dialekt der Hamburgisch-Schnacker reizen: aber insgesamt passt das doch, was Aaron Hilmer als Charmeur, Frauenfänger und Impresario der Nacht ventiliert. Und die Darstellung des Nachwuchsmackers ist nicht selten komisch.
- Hamburger Kiez-Größe darf Deutschland wieder verlassen
- Nach 20 Jahren: Polizei verhaftet Auftragsmörder vom Kiez
- Ach, der Kirsch – ein Polizist vom alten Schlag
- Kiezlegenden – glorifiziert und umstritten
Sicher, auch der Überschwang, die Treseneuphorie, der welterobernde Auftritt, die das Drehbuch Klaus und seinen Kompagnons, dem Aggro-Boxer Andi (Henning Flüsloh) und der versteckten Transfrau Bernd (Noah Tinwa), in die Rollen schrieb, kann einem manchmal gestelzt vorkommen. Aber die Unschuld, der Ehrgeiz und der Mut der Verzweiflung, mit dem sich die Nutella-Bande auf dem Kiez etablierte, muss vielleicht genau so in Erscheinung treten: Der Kiez ist in der Deutung dieser Serie mit all seinen halbseidenen und krummen Geschäften ein Ort, an dem man zuerst mit Respektlosigkeit vor den Eingesessenen weiterkommt.
„Luden – Könige der Reeperbahn“: Die Serie fängt den Geist einer Epoche ein
Die Dialoge sind meistens gut, die Schnitte, Musik und Atmosphäre auch. Es gibt ein paar schöne Mini-Scorsese-Kamerafahrten, Szenen, die den Inhalt raffen: Wie mit dem halblegalen Gewerbe Geld ohne Ende gescheffelt wurde. Die Nebenhandlungen überzeugen auch weitgehend.
Die Ausreißerin Manu (Lena Urzendowsky), die ausgerechnet auf dem Kiez auf der Suche nach ihrer Mutter ist und der in dieser auf Härte gebürsteten Erzählung die wenigen zarten Szenen vorbehalten sind. Der tumbe Schläger Andi, der von großen Boxkämpfen träumt, und der heimliche Bernd, der nur in bestimmten Etablissements Kleider und Schminke trägt und außerdem ein Mensch ist, den man heute als Person of Color bezeichnen würde. Die hier nicht allzu ausufernd – es sind nur sechs Folgen – entwickelten Charaktere sind typisch für die Zeit, in der „Luden“ spielt. Das gilt für alles andere auch.
Der Wiener Peter bringt den Tod nach St. Pauli
Den Kiez als Ganzes, der klebriger war als heute, riskanter – und in dem das Produkt Sex, das zeitweise auch Hausfrauen aus den Vororten zu Markte trugen, eine Leerstelle füllte, die heute zu einem guten Teil die Internetpornografie einnimmt. Die Mode der 80er, von den Luden mit ihren gockelhaften und pompösen Auftritten auf die Spitze getrieben: Die Serie fängt den Geist der Epoche ein und porträtiert Klaus Barkowsky als Mann, der zwar netter sein konnte als seine Rivalen, aber auf seine Weise auch über Leichen ging. Die Namen seiner Huren konnte er sich nicht merken („Karodde, ich hab was für dich“), er nannte sie nach Früchten und Gemüse.
Wird Barkowsky in zu positivem Licht dargestellt? Ohne Frage ist das so, aber Helden, die nicht auf der Seite der Moral stehen, sind oft interessanter. In Person Juttas, die im Hintergrund ihren Klaus lenkt, wird die Machtfrage eh ein für allemal geklärt: „Frag einen Mann nicht nach seinen Gefühlen. Sag ihm, dass er einen großen Schwanz hat. Gib ihm eine Einsplus fürs Vögeln. Kraul ihm das Fell, und ich sag dir, er wird Beifuß sitzen wie ein deutscher Schäferhund.“
Amazon Prime Serie „Luden“ – am Ende geht alles den Bach runter
Am Ende geht, wie im echten Leben der Luden, alles den Bach herunter. Beim Sonnentanken auf Gran Canaria wird die Idee geboren, ins Koksgeschäft einzusteigen. Da ist AIDS längst da. Und der Wiener Peter (Lukas Watzl) bringt die tödliche Gewalt nach Hamburg. Ein Lude erhängt sich, eine Hure stirbt an der Seuche.
Der Staatsanwalt sagt den Prostituierten und ihren Zuhältern ganz unromantisch und zynisch mit Blick auf die Matrosen, für deren Triebabfuhr der Sexbetrieb auf St. Pauli installiert wurde: „Warum wir Subjekte wie euch dulden? Ihr seid unser Zoo. Ein Zoo für all diejenigen, die nicht wissen, wie man sich in unseren schönen Stadt benimmt.“