Hamburg. Cecilia Joyce Röski erzählt kunstvoll von einer Frau, die im Bordell aufgewachsen ist und sich aus dem Milieu befreien will.
Diese Geschichte ist fast märchenhaft, in den kindlichen Anteilen. Die Heldin in Cecilia Joyce Röskis Debütroman „Poussi“ heißt Ibli. Sie ist im Bordell aufgewachsen und hat sich, sie ist knapp jenseits der 20, eine infantile Sicht auf die sie umgebende Welt beibehalten. So kann man sich im Rotlicht schützen. Kunden nennt sie „Poi“, Körper „Bodi“. Als Sexarbeiterin ist sie hardcore sozialisiert, aber weitgehend soft geblieben. Eine empfindsame junge Frau, die ihren Kunden entgegenkommt und dann eine wichtige Geschäftsgrundlage („Trösten kostet extra“) außer Kraft setzt. Zum Beispiel, wenn deren „Knuffelmutti“ eingeschlafen ist.
Ob die „Pois“ wirklich so reden, wenn sie mutmaßlich den Tod ihrer Mutter meinen? Oder ob sich das lediglich im Kopf der Hauptfigur abspielt? „Richtiger lappen“, lästert ihre Kollegin und Freundin Zola, als der Mann das Etablissement verlässt. Per Handynachricht, dem bevorzugten Medium der Belegschaft. Ibli und Zola benutzen dieselbe Privatsprache mit den vielen Is, ein Adonis ist ein „Adoinis“. In „Poussi“, diesem ganz eigenartigen, formal durchgestylten Erstlingswerk der 1994 in Schleswig-Holstein geborenen Cecilia Joyce Röski, ist Rhetorik ein Mittel, sich die Realität vom Leibe zu halten.
Cecilia Joyce Röski: Ausgebildet am Literaturinstitut in Leipzig
Die am Literaturinstitut in Leipzig ausbildete Autorin erzählt auf zwei zeitlichen Ebenen und aus zwei Perspektiven von der käuflichen Liebe. Iblis Vater Lackschuh war einst ein Impresario der Prostitution, Bordellbetreiber, ein Kiezgewächs, verbunden mit all den Legenden und Mythen, die mit der berühmten „sündigen Meile“ in Hamburg verbunden sind. Aber das war gestern – jetzt sitzt Lackschuh, der eher Rabenvater als fürsorglicher Puff Daddy ist, als altersarmer Taxifahrer im Café Keese und verzockt sein weniges Geld am Spielautomaten.
Ibli ist seine Tochter aus einer außerehelichen Beziehung mit einer Sexarbeiterin. Er wohnt im Außenbezirk, ganz spießig, wie auch andere St.-Pauli-Größen überall lebten und leben, aber nicht im Hafenstadtteil. Interessant ist, was Röski aus den sattsam bekannten Geschichten und Klischees, was sie aus dem Kiez-Stoff macht. Nämlich eine zur Kenntlichkeit verzerrte Version, in der das Amüsierviertel „Grindelsta“ heißt. Boxer laufen hier auch herum, aber keiner von ihnen war je in einer Lokalität namens „Ritze“. Von einer Interessensvereinigung ist die Rede, die den Namen „Honigbande“ trägt, dabei gab es realiter allenfalls eine „Nutellabande“, eine bekannte Luden-Vereinigung.
Reeperbahn ohne Romantik: Klischees werden umgangen
Röski treibt also der Reeperbahn jegliche Romantik aus und macht ohnehin die Absetzbewegungen ihrer Heldin zum Kern ihres Romans. Prekär und vernachlässigt aufgewachsen und nach dem Verlust ihrer Freundin Zola emotional ganz obdachlos, lässt sie sich von einem „Poi“ mit nach Hause nehmen: ein Retter. Freude am Bizarren hat Röski ganz sicher, denn der „Poi“ hat Familie. Seine Frau ist, scheint’s, tolerant.
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Auf kunstvolle Weise umgeht dieser Roman alles, was man von einer einschlägigen Bearbeitung der Rotlicht-Thematik erwarten würde. Kein Porno, sondern dies: „Ich streichle seine Wirbelsäule entlang, zwischen den Schulterblättern umkreise ich einen Wirbel, fahre weiter hoch in den Nacken, greife in sein Flauschehaar. Jeder Zentimeter seiner Haut ist interessant für mich. Ich will überall mindestens einmal gewesen sein, ihn markieren. Dann wissen alle, die an ihm riechen: Sie war da.“
Das klingt beinah zärtlich und ist doch eher verstörend.