Seltener Talkshow-Gast: Hamburgs Erster Bürgermeister attackiert FDP-Chef Lindner: Sie haben keine Ahnung! Die stark gestiegenen Mieten polarisieren.
Berlin/Hamburg. Nicht weit von den Studios der Tagesschau in Hamburg-Lokstedt wird eine neu gebaute Dreizimmerwohnung angeboten. 77 Quadratmeter, kein Schnickschnack, 1000 Euro kalt, 1260 Euro warm plus Strom plus Kabelgebühren, Stellplatz extra. In unmittelbarer Nähe kostet eine fünf Jahre alte Eigentumswohnung, 100 Quadratmeter, vier Zimmer, 450.000 Euro.
Das sind Hamburger Preise für Miet- und Eigentumswohnungen. Da können die Bürger in anderen (weniger begehrten) Städten und auf dem Land nur mit den Ohren schlackern. Wer soll das noch bezahlen?
Günther Jauch, Talkmaster in Diensten von RTL und eben NDR (als federführende Anstalt in der ARD), sollte darauf eine Antwort finden. Nicht wirklich er, sondern seine Gäste. Doch sie blieben am Ende ebenso trostlos zurück wie die Zuschauer, denen immer noch nicht einleuchtete, ob die Mieten jetzt wegen oder trotz der Politik so stark steigen.
Immerhin: Einer konnte sich als Gewinner des Abends fühlen: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz( SPD), der in nur ganz wenige Talkshows geht, aber diese mal wieder für Eigen- und Hamburg-Werbung nutzte. Alles im Griff bei uns, signalisierte sein Auftritt. Und übrigens: Bei der Bürgerschaftswahl Anfang 2015 kann mir eh keiner das Wasser reichen.
Kalten Herzens ließ Scholz den smarten und argumentativ guten FDP-Chef Christian Lindner ins Leere laufen. Hohe Mieten? Scholz über Lindner: „Er hat überhaupt sehr wenig Ahnung von dem Thema.“
Das war falsch. Denn Lindner hatte sich nach seinem zwischenzeitlichen Rückzug aus Berlin in Düsseldorf wieder einquartiert. „Ich kenne zwei der angespanntesten Wohnungsmärkte Deutschlands.“ Er lebt in zwei Wohnungen. Und der Liberale weiß: „In drei Jahren haben sich die Mieten steil nach oben entwickelt. Die Leute wollen aus dem Umfeld in die Innenstadt.“ Aber schließlich gehe es um Angebot und Nachfrage. „Also steigen die Mieten.“
Jürgen Michael Schick vom Immobilienverband Deutschland IVD sagte, die Politik habe jahrelang verschlafen, neue Wohnungen zu bauen. Das Statistische Bundesamt habe ermittelt, dass die Mieten zuletzt unterhalb der Inflationsrate gestiegen seien. Das betrifft aber nur ganz Deutschland. Nicht die Ballungsgebiete wie Hamburg, München, Berlin, Düsseldorf oder die “Hotspots“ wie Hamburg-Eimsbüttel oder Prenzlauer Berg in Berlin. Schick: “Die Politik dreht an der Preisschraube und will jetzt eine Mietpreisbremse einführen.“
Die Mietpreisbremse – Anwärter auf das (Un-)Wort des Jahres, je nach politischer Ausrichtung. Die Große Koalition will verhindern, dass Mieten überdimensioniert in die Höhe schießen. Dadurch würde der Bau neuer Wohnungen verhindert, sagen Kritiker. Scholz sagte, die Mietpreisbremse richte sich an Bestandswohungen. Man wolle verhindern, dass Vermieter bei neuen Mietern „so richtig zulangen“.
FDP-Chef Lindner meinte, der Staat treibe die Nebenkosten in die Höhe. Die Politik beschließe „immer höhere Standards bei der energetischen Sanierung“. Zukünftig würden die Vermieter die gesteigerten Forderungen kaschieren als hohen Abschlag von ein paar Tausend Euro für eine alte Küche. Steuerliche Anreize für Wohnungsbau seien besser als die Mietpreisbremse.
Sylvia Sonnemann, Geschäftsführerin des Hamburger Vereins Mieter helfen Mietern, bestätigte, dass die Mieten extrem gestiegen seien. Was man früher in D-Mark zahlte, sei heute in Euro fällig.
Das wollte der Makler so nicht gelten lassen. Schick sagte: „Worüber reden wir hier eigentlich? 99 Prozent der Mietverhältnisse laufen einvernehmlich.“ Sonnemann konterte: „Das eine Prozent landet bei mir in der Beratung. Die Mieter heulen vor mir: Ich kann mir das nicht leisten.“
So ging‘s weiter. „Blockwart-Mentalität“, „Ihr großes Tam-Tam“ und so weiter. Das waren die Schlagworte. Scholz wirkte wie ein Buddha, der im Mahlstrom der Geschichte seine Zahlen und Argumente gebetsmühlenartig und nüchtern in die Runde drechselte. „Die Mietpreisbremse behindert den Wohnungsbau nicht“, sagte er. Von 900.000 Wohnungen in Hamburg gehörten 130.000 der städtischen Wohnungsgesellschaft (Saga). „Ich habe entschieden, dass die städtische Wohnungsgesellschaft wieder mit dem Wohnungsbau beginnt. Normale Bürger müssen sich das leisten können.“
Lindner ätzte noch: „Herr Scholz muss mal seinen Hamburger Tellerrand überblicken.“ Aber es half nichts. 4,39 Millionen Zuschauer (15,3 Prozent Marktanteil) hatten sich längst gegen die Immobilienwirtschaft verschworen. Und Scholz war ihr Anwalt. Er selbst wohnt zur Miete, in Altona-Nord.