Hamburg. Drogenfahnder Ben Westphal wird nach Feierabend zum Krimi-Autor. Wie es dazu kam und wieso „Bulle“ kein Schimpfwort ist.
Gerd Sehling hat zwar schon einige Lebensjahre auf dem Buckel, aber noch immer einen wachen Blick. Ihm entgeht nichts: weder die seltsame Geldübergabe auf dem Containerschiff im HamburgerHafen noch der auffällige Blumenerde-Käufer im Baumarkt. „Bulle“ Sehling, der pensionierte Rauschgiftfahnder, überführt sie noch alle.
Zumindest zwischen zwei Buchdeckeln. Denn der Kriminalbeamte Sehling – ehrlich, herzensgut, ein bisschen alte Schule und immer im Dienste der Gerechtigkeit – stammt aus der Feder von Ben Westphal, der sich dieses schriftstellerische Pseudonym zum Schutz seiner Persönlichkeit zugelegt hat.
Krimi aus Hamburg – Tagsüber „Bulle“ bei der Kriminalpolizei, abends Autor
Immerhin ist Westphal ein echter Hamburger Polizeibeamter, beschäftigt beim Rauschgiftdezernat, der genau wie Sehling der organisierten Kriminalität auf der Spur ist. Seit einigen Jahren setzt er sich nicht nur an die Tastatur, wenn er Ermittlungsberichte zu verfassen hat, sondern immer wieder auch als Krimi-Autor, um das nächste Abenteuer Sehlings aufzuschreiben. Zuletzt erschien der dritte Teil seiner Krimireihe mit dem Titel „Elbe Hafen Bulle“.
Obwohl Westphal aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis immer mal wieder die Idee zugespielt bekam, seinen spannenden Berufsalltag doch literarisch zu verarbeiten, sah er sich eigentlich nie als Krimi-Autor – bis ein verdienter Kollege in den Ruhestand ging. Als Abschiedsgeschenk für sein Vorbild verfasste Westphal nämlich „Ich war Bulle“, in dessen Zentrum der pensionierte Sehling steht.
„Es war als Unikat gedacht und sollte ihm als Erinnerung dienen und zugleich Hoffnung schenken, dass wir ihn trotz der Pensionierung niemals vergessen werden“, erklärt Westphal.
„Bulle bleibt Bulle“ – Kollegen bei der Polizei rissen Westphal Krimis aus der Hand
Nun, ein Unikat blieb der Roman nicht. Erst pochten seine Kollegen auf ein eigenes Exemplar, dann tat die Mundpropaganda ihr Übriges. Außerdem war Westphals Schreibwut entfacht, weshalb schon bald die Fortsetzung „Bulle bleibt Bulle“ erschien. Diesen zweiten Sehling-Krimi widmete der Polizist „praktisch als Genesungskarte“ einem damals schwer erkrankten, langjährigen Kollegen – und wieder rissen ihm reihenweise Kriminalbeamte den Band aus den Händen.
Kein Wunder: „Weil das erste Buch eine Erinnerung für den pensionierten Kollegen an unser Rauschgiftdezernat sein sollte, wäre es gelogen zu behaupten, dass keiner der Protagonisten charakterlich an einem Original angelehnt war.
Inzwischen haben meine Figuren jedoch ihr eigenes Leben entwickelt.“ Dennoch äußern Kollegen hin und wieder, sie würden gern auch einmal als Charakter in einer von Westphals Geschichten verewigt werden. Für den Autor ein großes Lob.
Organisierte Kriminalität findet in einer Parallelwelt vor unseren Augen statt
Westphal versteht es, seine Geschichten auf herzlichste Weise mit den kleinen Eigentümlichkeiten des Menschlichen zu würzen. Das entspricht auch seinem eigenen Krimi-Geschmack.
Wo der Postbote, die italienische Großmutter oder die Grundschullehrerin sich in die Arbeit der Polizisten einmischen, wo trotz knallharter Drogendeals und aller Brenzligkeit auch einmal geschmunzelt werden darf, fühlt sich Westphal literarisch wohl. Und: Ganz viel Hamburger Lokalkolorit ist in seinen Bulle-Romanen außerdem zu finden.
Wie Westphal zu berichten weiß, ist auch die organisierte Kriminalität ein bedeutender Faktor in Hamburg: „Sie findet im Schatten der Gesellschaft statt, wird daher nur wahrgenommen, wenn man genau hinschaut. Wer als Außenstehender meine Geschichten liest, dem wird sicherlich der Blick für diese Parallelwelt mit all ihren Klischees, aber auch den eher unscheinbaren Tätern, ein Stück weit geöffnet.“
Bücher von Ben Westphal landeten nur durch Zufall bei einem Verlag
Dass seine Krimis heute beim Verlag Emons erscheinen, ist wie Westphals gesamte schriftstellerische Karriere einer Verkettung glücklicher Umstände zu verdanken. Erst landeten die ersten beiden Bände „Ich war Bulle“ und „Bulle bleibt Bulle“ eher per Zufall in der Buchhandlung Am Sand in Harburg.
Und es war genau diese Buchhandlung, die sich dafür einsetzte, dass der Autor zu seinem Verlag kam. „Sie wandten sich an die Vertreter der Verlage, ließen ihnen meine Bücher zukommen, und Emons schenkte mir eine Perspektive für den dritten Band ,Elbe Hafen Bulle’, an dem ich bereits schrieb“, erzählt Westphal.
Ben Westphal plant bereits das fünfte Buch um Polizist Gerd Sehling
Das Manuskript für den vierten Band, der 2024 ebenfalls bei Emons erscheinen soll, erfährt gerade den Feinschliff. Selbstverständlich findet sich Gerd Sehling auch hier in nicht ganz ungefährlichen Ermittlungen seiner ehemaligen Kollegen wieder, dieses Mal geht es um synthetische Drogen. „Und so viel sei verraten: Ich plane bereits den fünften Fall. Die Geschichten rund um Gerd Sehling werden also weitergehen.“
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Was dem Pensionär in Westphals Romanen widerfährt, ist natürlich fiktiv – aber nicht realitätsfern. „Es ist sogar bereits mehrfach geschehen, dass Dinge, die ich geschrieben habe, sich in der Realität wiederholten. Das sind schon skurrile Déjà-vu-Momente, wenn die Fiktion zur Wirklichkeit wird“, sagt der Autor.
Krimi Hamburg: Ben Westphals Hauptfigur ist ein echter „Bulle“
Dass sich wie Sehling ein Pensionär in die Ermittlungen der Kollegen einmischt, ist aber eher unwahrscheinlich. „Allerdings würde jeder, der ihn kennt, sofort unterschreiben, dass der Kollege, dem ich das erste Buch gewidmet habe, keine Sekunde zögern würde, sich einzubringen, wenn er Beobachtungen wie Gerd Sehling macht“, meint Westphal. Ein echter „Bulle“ eben.
Das Wort „Bulle“ ist für Westphal übrigens keine despektierliche Bezeichnung, im Gegenteil: „Für mich persönlich ist ein ,Bulle’ ein Polizist der klaren Worte. Eine starke Persönlichkeit, die vor nichts und niemandem zurückschreckt und für das einsteht, was sie vertritt. Es ist ein Verfechter von Gerechtigkeit und Wahrheit, eher vom alten Schlag“, sagt er. „Derjenige, dem ich den ersten Band gewidmet habe, war genau ein solcher Polizist. Er verkörperte diese positiven Eigenschaften in seiner Person.“