Wenn wohlige Schauer im Nacken kitzeln, sind Leuchttürme, kernige Kerle und Wellenrauschen nicht weit – fünf Lesetipps in Windstärken.
Das Genre des unterhaltenden, romantischen Romans mit an der deutschen See situierten Liebeshandlungen ist steter Quell neuer Geschichten. Oder ein Fass ohne Boden. Kommt ganz darauf an, ob man zur Zielgruppe gehört oder nicht. Wir entscheiden uns klar für Ersteres. Für den Quell also. Wir sind keine hochgestochen daherredenden Kulturkritiker, heute preisen wir den Kitsch und feiern die Schmonzette. Es folgt, siehe unten, eine Auswahl von fünf Insel-und-Küsten-Knallern.
Vorher nennen wir aber noch schnell die besten im Selbstverlag erschienenen Titel, die wir im großen Internet-Versandhaus fanden. Alle mal eincremen jetzt, es geht los: „Meeresküsse auf Sylt: Meerverliebt“. „Meerblick zu vermieten: Ein Ostseeroman“. „Willkommen im kleinen Ostseehotel: Sommerträume“. Und unbestreitbar der Sieger: „Strandnixe liebt Mr. Baywatch: Ostseesehnsucht Eckernförde“.
Svenja Lassen: „Muschelträume“ (Blanvalet)
Inhalt: Die Krankenschwester Nora bekommt den Laufpass. Vom bösen Markus, der – „Du reagierst immer so emotional“ – per Brief, also immerhin nicht per Whatsapp, Schluss macht. Genauer gesagt spricht er von einer Beziehungspause. Ha! Was für ein Depp, Entschuldigung. Er will also ein Sicherheitsnetz unter seinem Drang hin in die Freiheit. Und was macht unsere Nora? Genau das Richtige: Sie fährt ans Meer.
Um auf dem Gendarmenpfad die Ostseeküste entlangzuwandern. Blöd nur, dass bald schon das Schuhwerk drückt. Die Rettung trägt den Namen Bent und nimmt die tapfere Nora mit zurück nach Flensburg. Und dort wird’s dann kuddelmuddelig, in romantischer Hinsicht. Der patzige Bent hat es der in amouröser Hinsicht blitzbereiten Nora durchaus angetan. Aber Markus hat auch wieder Bock, der ist dann plötzlich auch da.
Landeskunde für Nicht-Holsteiner: „Norddeutsche sind eigentlich nicht generell brummig.“
Aus der Rubrik Wahrheiten über die Ostsee: „Jetzt fühlt es sich an wie die Arktis.“
Das Love Interest, phänomenologisch: „Groß, mittelbraunes Haar, oben ein wenig von der Sonne ausgebleicht, blaue Augen, recht durchtrainiert.“
Noras Beobachtungen: „In den letzten Tagen war ich eher unfreiwillig zur Expertin in Bezug auf Bents Muskeln geworden. Ich konnte einfach nicht wegsehen, wenn er nach der morgendlichen Schwimmrunde aus dem Wasser stieg.“
Noras Kopfkino: „Sein Oberkörper war braun gebrannt und wohldefiniert, und ich hatte mich mehrmals dabei ertappt, dass ich mir vorstellte, wie das Wasser in der Rille zwischen seinen Brustmuskeln hinabrann.“
Noch mehr Küsten-Knistern: „Bei jedem Atemzug inhalierte ich eine volle Ladung Bent-Duft, und ein wohliger Schauer im Nacken kitzelte mich.“
Küsten-Kitsch: „Ich ließ meinen Blick über die Ostsee schweifen, auf der sich kleine Schaumkronen ans Ufer schoben.“
Eine Lebensweisheit: „Verknallen ist keine Liebe, Schmetterlinge machen noch keine Gefühle.“
Windstärke: 5
Sylvia Lott: „Goldene Zeiten im Inselsalon“ (Blanvalet)
Inhalt: Da sind sie wieder, die Damen von der Frisierfront. Frieda und Grete, Heldinnen der See, wir kennen sie aus den historischen Romanen „Die Frauen vom Inselsalon“ und „Sturm über dem Inselsalon“. Jetzt sind die 20er-Jahre, und auch die Zeiten auf Norderney sind golden. Frieda schneidet Bubiköpfe, was die Schere hergibt. Aber die „hübsche, sensible Lissy“ (Klappentext), Friedas Tochter und Angestellte, will lieber die Berliner Luft einatmen als den Provinzmief Norderneys.
Die weiß ja gar nicht, wie gut sie es eigentlich hat! In Berlin ist erst alles ganz herrlich, vor allem mit dem „charismatischen“ Ivo Sartorius. Lissy bekommt ein Kind. Aber dann muss sie lernen, dass andere unter großstädtischer Freiheit noch mal ganz was anderes als sie verstehen. Da bleibt nur die Parole „Ich will zurück zum Nordseestrand“.
Insel-Wesen, I – Frieda: „Die flachsblonde Fischertochter mit den blauen Augen führt voller Leidenschaft den Inselsalon Fisser, in den sie vor dem Krieg eingeheiratet hat.“
Insel-Wesen, II – Jantje, das Wickwief: „Die Witwe lebt allein in einem Häuschen in den Dünen. Sie gilt als Wahrsagerin, liest aus Teeblättern die Zukunft und hat manchmal Visionen.“
Norderney-Wellness, I: „Sie gönnte dem Arzt vor dem Waschen eine gründliche Massage mit Sanddornöl.“
Berlin, Sündenpfuhl: „Einmal hatte sie Kokain versucht, ganz Berlin schien ja zu koksen, aber anschließend achtundzwanzig Stunden lang nicht einschlafen können.“
Arm, aber sexy? „Oje! Ich hab nur noch Brot und Schmalz zu Hause.“
Nö, Berlin-Terror: „Da fast ihr gesamtes Gehalt für die Miete draufging und sie den Rest ihres Lebensunterhalts vom Trinkgeld bestreiten mussten, waren die preisgünstigen Stehbierhallen von Aschinger ihr zweites Zuhause.“
Deutscher Terror: „Seit dem Ende der Inflation beschwerten sich ab und zu jüdische Gäste darüber, dass auch auf Norderney zunehmend antisemitische Stimmung spürbar wurde.“
Norderney-Wellness, II: „Auf dem Rückweg spürte sie, wie Sandkörner ihr ins Gesicht flogen und die Haut piksten. Sie roch die angeschwemmten Algen, die aufschäumende Nordsee. Sie sah jetzt unterschiedliche Grautöne – Graublau, Grüngrau, Steingrau, Gelbgrau, Olivgrau.“
Poesie-Power: „Auf ihren Lippen schmeckte sie Salz.“
Windstärke: 5
Tina Martens, „Nordseeglitzern und Küstenträume“ (HarperCollins)
Inhalt: Was ist besser, als mit einem karrieregeilen Geschäftsmann, der ziemlich langweilig Christian heißt, im zweiten Geschoss einer sündteuren Elbchaussee-Villa zu leben, einem Typen, der beim Thema Fortpflanzung als Erstes ans Einfrieren von Eizellen denkt? Klare Sache: Die Schafe und der Schlick im Land der Ostfriesen. Nina ist dem Beziehungskessel von Hamburg ent- und endlich dort angekommen, wo sie Freiheit atmen kann. Wer hätte es gedacht: Die Renovierungen im Haus ihrer Großeltern bleiben nicht ihr einziger Zeitvertreib.
Es gibt nämlich ein Menschenrecht für jede frustrierte Großstadtfrau. Irgendwo wartet an jeder Küste jemand auf sie, womöglich eine Jugendliebe. Das muss einfach so sein. Im Falle Ninas trägt die den urnordischen Namen Tjark, führt einen Reiterhof („Reiterhof Küstenglück“) – und, hach, bei Nina fängt es schnell wieder an zu kribbeln. Obwohl der fesche Tjark solch ein Landei ist und sie so eine mondäne Großstädterin. Aber was ist am Ende wirklich geiler, Hamburg oder Tjark? Das ist die Frage! Denn Christian hat auch wieder Bock, der ist dann plötzlich auch da. Cool, wenn man bei solch existenziellen Lagen auch noch Kapazitäten hat, einen Mutterkomplex aufzuarbeiten. Und wieder reiten zu lernen.
Ich fühl mich so Nordsee: „Es herrschte Ebbe, das Wasser hatte sich zurückgezogen, Möwen kreisten am Himmel und sammelten sich immer wieder in großen Gruppen an Land.“
Das Love Interest, phänomenologisch: „Seine Haare sind immer noch sattbraun, und er arbeitet viel an der frischen Luft. Seine Figur ist … gut.“
Ein Mann zum Träumen: „Tjark war nicht nur ein ausgezeichneter Reiter, sondern auch ein routinierter Handwerker.“
Was alte Männer so meinen: „Das Wetter in Ostfriesland ist so wechselhaft wie die Gefühle eines jungen Mädchens, hatte mein Großvater früher immer gesagt.“
Was junge Frauen so meinen: „Die Blicke sind nicht das Wichtigste. Wenn du wissen willst, wie jemand zu dir steht, dann schau dir seine Füße an. Wenn die Fußspitzen auf dich gerichtet sind, fühlt er sich zu dir hingezogen.“
Was Mama in ihrem Tagebuch meint: „Hamburg war das Aufregendste, das ich bislang in meinem Leben erlebt habe.“
Süddeutsche Touristen: „Herr Kunke war ein schweigsamer Mensch, aber seine Frau beschwerte sich eines Tages allen Ernstes darüber, dass die Deiche die freie Sicht auf das Meer versperrten, und konnte nicht nachvollziehen, warum ihre Enkelinnen nicht mit den Reitschulponys durchs Watt galoppieren durften.“
Küsten-Kitsch: „Ich konnte kaum etwas erkennen, nur das leise Rauschen der Wellen drang sanft an unsere Ohren.“
Windstärke: 6
Marieke Hansen „Friesenfrische“ (Lübbe)
Inhalt: Pferde und Küste, ja, das gehört zusammen. Wir Norddeutsche lieben Pferdeäpfel! Die Kölner Innenarchitektin Maje kehrt vorübergehend (wie sie denkt) in ihre ostfriesische Heimat zurück, um den heruntergewirtschafteten Pferdehof ihrer Familie zu retten. Dabei bekommt sie Hilfe. Von ihren besten Freundinnen – und vom „Berliner Fotografen Bente, der mit neuen Ideen und seinem übermütigen Berner Sennenhund Urs für frischen Wind sorgt“ (Klappentext).
Maje findet Bente toll. Sie unternehmen Dinge miteinander, gehen reiten und solche Sachen, einmal fällt sie vom Pferd. Und wer bringt da Trostblumen vorbei? Egge, ihre erste und bisher einzige Liebe! Er hat sich verändert. Er hat wieder Bock. Aber auf was genau? Bald ist auch Thies zurück, Majes Bruder. Und das nicht allein. Es wird alles ganz dramatisch.
Plattdüütsch, I: „In Oostfreesland is t am besten, aver Freesland geit der nix.“
Plattdüütsch, II: „War sünt woll de Wichter mojer, war de Jungens woll so fix?“
Maje wird wuschig, I: „Waren es die erstaunlich großen Hände mit den langen Fingern, die er unsicher knetete, oder der zerknirschte Ausdruck, der so gar nicht zu seinem ansonsten eher aufgeweckten Aussehen zu passen schien?“
Maje wird wuschig, II: „In diesen tiefbraunen Augen kann man sich verlieren, dachte sie und spürte, wie ihr Mund trocken wurde.“
Küsten-Kitsch: „Nach all den Jahren in der Enge der Großstadt erfüllte sie die Schönheit des Ortes, der leichte Duft nach Salz und Meer, den der Wind in sanften Brisen herantrug.“
Ostfriesland ist wie Capri, ehrlich: „Die Sonne sank tiefer, ließ das Licht erst tiefgelb, dann orange und rot werden, und schließlich versank sie als glühender Ball hinter dem Horizont.“
Alte Pferde: „Auch wenn unser grauhaariger Senior ein ganz Lieber ist – er ist immer noch ein Hengst.“
Maritime Philosophie: „Man kann es stundenlang betrachten und es doch nie ganz verstehen, weil es immer in Bewegung bleibt, sich ständig verändert.“
Windstärke: 8
Marie Meerburg: „Leuchtturmsommer“ (Lübbe)
Inhalt: Eva will nach dem romantischen Crash mit ihrem sinistren Ehemann Thomas neu anfangen, irgendwo ganz anders, und ihre 15-jährige Tochter Nele muss aus Bayern mit an die Ostsee. Nach Liebwitz (fiktiv – außerdem ein Hinweis darauf, dass die Autorin Humor hat, es ist doch alles ein amouröser Scherz, vom Ding her). Das Café Liebesbrise am Leuchtturm wird Eva betreiben, ein hartes Geschäft.
Und Nele macht dann auch noch ordentlich Trouble. Eva kommt Jakob näher, dem miesepetrigen, groben Standesbeamten, der einiges tun könnte, um Evas Laden zum Brummen zu bringen. Aber der Typ muss erst mal geknackt werden, in jederlei Hinsicht. Man muss ihm Romantik einbimsen. Aber, Vorsicht, Gefahr: Herzen können auch zweimal brechen. Ist Jakob – „intensiver Blick, meerblaue Augen“ – das Risiko wert? Und was ist mit Thomas? Der steht irgendwann vor der Tür. Er hat auch wieder Bock.
Aus der Rubrik Wahrheiten über die Ostsee, I: „Die aufgewühlte Ostsee sah aus wie ein Eimer Dreckwasser nach dem Frühjahrsputz, und unter uns brandeten die Wellen wütend ans Ufer der Landzunge.“
Aus der Rubrik Wahrheiten über die Ostsee, II: „Die Ostsee war eiskalt.“
Aus der Rubrik jugendliche Wahrheiten: „Fuck! Wir sind hier am Arsch der Welt!“
Alles eine Frage der Perspektive: „Reetdachhäuser, Kopfsteinpflaster, Natur. Sonst gibt es hier nix, verdammt noch mal!“
Das erste Aufeinandertreffen mit dem Love Interest: „Hoffentlich hatte er nicht meinen Slip mit dem Kartoffelrosen-Aufdruck gesehen!“
Männliche Skepsis: „Ach du lieber Himmel! Sie sind also auch ein Mitglied im Club der fanatischen Romantikerinnen.“
Weibliche Richtigstellung: „Ich bin nur ein sensibler Mensch und habe eine Vorliebe für die gefühlvollen Aspekte des Lebens.“
Küsten-Kitsch: „Die Wellen rollten sanft ans Ufer, und im Morgenlicht wirkte das Wasser so glatt wie kostbare Seide. Ich konnte es kaum erwarten, meine Handflächen auf die Wasseroberfläche zu legen, um unter meinen Fingerspitzen das leichte Spiel der Wellen zu fühlen!“
Windstärke: 6