Hamburg. Zum Tode von John le Carré – der Autor zahlreicher berühmter Agentenromane ist mit 89 Jahren in seiner britischen Heimat gestorben.

Da stand er also, dieser ausgesprochen höfliche, schon damals ältere und sehr britische Herr im Foyer des Hamburger Atlantic-Hotels und schaute freundlich unter seinen buschigen Augenbrauen hervor, „ganz am Ende der Halle, zwischen einer Marmorsäule und Ölgemälden von Hanseschiffen, bewacht von dem verdrossen blickenden Wilhelm II., dessen Konterfei in meerblaue Kacheln gebannt war“. So hatte er selbst es im Roman „Marionetten“ formuliert, dieselbe Szene, derselbe Ort, als wäre John le Carré gerade seinem eigenen Thriller entstiegen.

„Marionetten“, als „A Most Wanted Man“ später von Anton Corbijn verfilmt, spielt in Hamburg, weshalb le Carré sein Buch hier im Erscheinungsjahr 2008 gleich doppelt an prominenter Stelle vorstellen wollte, einmal im Schauspielhaus, einmal im Literaturhaus. Zweimal ausverkauft, selbstverständlich. Interviews gab er im Hotel Atlantic; Deutsch sprach er fließend seit seinem Germanistikstudium in der Schweiz, so fließend, dass ihm bis zuletzt auch die Zwischentöne nicht entgingen.

Was John le Carré zu Papier brachte, geriet zum Bestseller

Als Autor von Spionageromanen gehörte der ehemalige britische Geheimagent David John Moore Cornwell, wie le Carré mit bürgerlichem Namen hieß, längst zu den weltweit berühmtesten und bestverkaufenden Schriftstellern überhaupt. Der unter Pseudonym schrieb, schreiben musste, als Spion des Auslandsgeheimdienst MI6 waren ihm keine Buchveröffentlichungen unter Klarnamen erlaubt. Geschadet hat das nicht: „John le Carré“ wurde zur Marke, was er zu Papier brachte, geriet zum Bestseller.

Allein sein Agententhriller „Der Spion, der aus der Kälte kam“, mit dem le Carré ab 1963 der internationale Durchbruch gelang und der mit Richard Burton verfilmt wurde, erreichte eine Auflage von mehr als 20 Millionen Exemplaren. Er habe diesen Roman in nur fünf Wochen heruntergeschrieben, zu einer Zeit, als er „in Beruf und Privatleben zutiefst unglücklich“ gewesen sei, gestand John le Carré (der übrigens nie zum Sir geschlagen werden wollte) in einem Vorwort zu einer späteren Neuauflage. Er machte das Schreiben fortan zu seinem Hauptberuf.

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2019 kam John le Carrés letzter Roman heraus

Entstanden ist „Der Spion, der aus der Kälte kam“ in Deutschland, wohin David Cornwell, geboren 1931 in der englischen Grafschaft Dorset, in Diensten Ihrer Majestät 1960 entsandt worden war. Mitten hinein ins Herz des Kalten Krieges, der ihn bis zu dessen offiziellem Ende als Sujet begleiten sollte. Den Mauerbau beobachtete er gewissermaßen direkt an der Front und erfand schon in seinem Debüt „Schatten von gestern“ jenen Spion, der zu seiner wichtigsten Romanfigur werden und in zahlreichen weiteren Werken auftreten sollte: George Smiley. Seinen stärksten Auftritt hatte Smiley in „Dame, König, As, Spion“ von 1974, der mit Gary Oldman verfilmt wurde. Noch 2017 veröffentlichte John le Carré „Das Vermächtnis der Spione“, in dem George Smiley erneut auftauchte und das auch als literarisches Vermächtnis des Autors gelesen wurde. Es kam anders, wohl auch weil die politische Weltlage den klugen Beobachter derselben bis ins hohe Alter nicht losließ: 2019 kam John le Carrés nunmehr tatsächlich letzter Roman heraus.

„Federball“ war eine Reaktion auf den Brexit, in dem auch über die herrschenden Weltenlenker ein klares Urteil gefällt wird: „Trump ist der Antichrist, Putin ebenfalls“, legte le Carré einer seiner Figuren in den Mund, der Ausstieg Großbritanniens aus der EU wird als „blanker Irrsinn“ und „Selbstmord“ beschrieben. Optimist war le Carré eher nicht – oder jedenfalls: nicht mehr, dafür hatte er Machtverschiebungen und Machtmenschen zu lange und zu intensiv beobachtet. Pointiert und elegant beschrieb er, der als Fünfjähriger von seiner Mutter verlassen wurde und ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater, einem Hochstapler, hatte, menschliche Abgründe, ohne jedoch darüber zum Zyniker zu werden. Einen Glauben an Loyalitäten und die gesellschaftliche Einsicht hatte er sich lange bewahrt, wie so viele, die etwa damals nach der Wahl von Barack Obama gehofft hatten, nun dem „wahren Amerika“ zu begegnen. „Amerikaner werden nicht gern gehasst“, meinte le Carré 2008, als die Bush-Jahre sich dem Ende neigten und noch lange kein Donald Trump am politischen Horizont auftauchte. Letztlich würden sie, die Amerikaner, sich „doch für das Richtige“ entscheiden.

Der Schriftsteller wollte nach dem Brexit EU-Bürger bleiben

Er selbst hatte sich für den Brückenschlag entschieden, für das Gespräch, wofür ihm, dem auch brillanten politischen Essayisten, vergangenes Jahr der schwedische Olof-Palme-Preis für Frieden und Verständigung verliehen wurde. Eine Veränderung hin zu einer besseren Welt sei möglich, war John le Carré überzeugt, auch wenn seine Romanrecherchen ihm immer wieder das Gegenteil zu beweisen schienen. Durch seine Arbeit gelangte er an Orte, „an denen ich eigentlich nichts verloren hatte“, wie er selbst es damals im Hotel Atlantic bei einem Tee beschrieb, während Wilhelm II. das Gespräch aus seinen meerblauen Kacheln verfolgte. Doch le Carré kannte auch die weniger gediegenen Gegenden aus eigener Anschauung. Er reiste in den Kongo und nach Südostasien, mehrmals traf er den unschuldig in Guantánamo inhaftierten Murat Kurnaz, einmal verbrachte er eine ganze Woche mit Jassir Arafat.

Zurückhaltung bewies John le Carré in der Form, nicht in der Sache. Zuletzt hatte der Schriftsteller, den man für einen unverkennbaren, distinguierten Repräsentanten des britischen Establishments halten mochte, die irische Staatsbürgerschaft beantragt, um auch nach dem vollzogenen Brexit EU-Bürger bleiben zu können. Le Carré kannte die Schwächen der Demokratie, aber er war und blieb ein überzeugter Europäer.

Das Schreiben über seine Beobachtungen, das Kreieren von „Fabeln aus diesen Erfahrungen“, sei sein Weg gewesen, nicht an der Schlechtigkeit der Welt zu verzweifeln. „Es ist der einzige Weg, den ich kenne“, sagte John le Carré. „Es ist für mich die einzige Möglichkeit zu überleben.“

Am Sonnabend ist John le Carré im Alter von 89 Jahren in Cornwall gestorben.