Hamburg. Tschaikowsky und Prokofjew mit Daniil Trifonov und Vladimir Jurowski im Großen Saal der Elbphilharmonie

Kann man sich als Pianist beim Umgang mit Tschaikowskys nicht gerade harmlosem 1. Klavierkonzert tatsächlich langweilen? Auf sehr hohem Niveau, klar, aber dennoch, sich tatsächlich, leibhaftig langweilen und unterfordert fühlen? Wenn man Daniil Trifonov ist und gerade in bestechender Form, dann kann einem das passieren.

Solche ­Luxusprobleme möchten andere sehr gern haben, auch das ist klar. Doch nach den letzten, allesamt hochdramatischen Live-Begegnungen mit dem 27 Jahre jungen Virtuosen lag über dessen Elbphilharmonie-Debüt ein Aroma von gereifter ­Gelassenheit, das so gar nicht nach ausufernder ­Anstrengung und den sprichwörtlich beidseitig brennenden Kerzen klang. Das klang nach souveräner Selbst­gewissheit, bei einem Bravour-Stück durchscheinend, das er bereits 2012 aufnahm, kurz nachdem er gerade den Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen hatte. Mehr Heimspiel geht also kaum. Die Kür blitzte erst vor der Pause auf, als Trifonov mit seiner Zugabe, dem ­Andante aus Prokofjews achter Klaviersonate, über Bande auf die zweite Programmhälfte hinspielte.

Es mag also mehr mit den markt­üblichen Tourplanungs-Gegebenheiten als mit dem Drang zu Herzensangelegenheiten zu tun gehabt haben, dass Trifonov für seine aktuelle Gastspiel-Reise mit dem London Philharmonic nichts anders Haariges griffbereit hatte. Und so warf er sich mit satter Eindeutigkeit und funkelnder Wucht in die Einleitungs-Akkorde des ersten Satzes.

Das überflüssige Pathos ließ er dabei weit draußen vor, selbst dieser Tschaikowsky lässt sich sehr gut auch ungesüßt spielen, ­ohne an Intensität und Durchdringungskraft zu verlieren. Das Andantino: glasklar, perlend, mit schlichter Eleganz als Charakterstudie angelegt, nicht als Träumerei am Rande des Seelchenzusammenbruchs. Immer wieder dehnte und stauchte er dabei die Vortragstempi, um spielerisch klar zu machen, wie sehr er die Substanz als Ganzes im Griff hat. Im Finalsatz kam die geforderte Brillanz zu ihrem Recht, in einer Geschwindigkeit, die auf ­Geschmeidigkeit großen Wert legte.

Dass Trifonov es sich fast schon ­gemütlich machen konnte, hatte enorm viel mit seinem Co-Star auf der Bühne zu tun. Vladimir Jurowski hat nicht erst seit Kurzem einen Karriere-Lauf; als RSB-Chef ist er in Berlin so ziemlich everybody’s darling, Münchens Oper hat ihn gerade als Petrenko-Nachfolger engagiert. Der Abend, am Ende sehr gerechtfertigt bejubelt, machte blitzschnell klar, warum: Dieser Dirigent ist ein überaus erfreulich anzuhörender, mitdenkender Teamplayer.

Soll ein Solist wie Trifonov ins Rampenlicht – Jurowski regelt das. Soll ein so hochklassig routiniertes und mit tollen Solisten gesegnetes Orchester wie das London Philharmonic, das er seit 17 Jahren kennt und seit elf leitet, mit einem Best-of aus Prokofiews
„Romeo und Julia“-Ballettmusik glänzen und punkten – Jurowski regelt auch das. Spektakulär ­unspektakulär, aufs Ergebnis orientiert, mit Sinn für Effekt, aber ohne überflüssige Schwäche für gut sichtbare Show-Einlagen. Nur zwei von vielen Beispielen: die Sicherheit, mit der er in der Kampf-Episode trotz der immer rasanteren Dramatik das Orchester vor Blessuren bewahrte, oder der blankpolierte Widersacher-Hass im Tanz der Ritter. Shakespeare-Kino für die Ohren.