Bremen. Das Konzert beim Musikfest Bremen steigerte die Vorfreude auf Omer Meir Wellbers Zeit als Generalmusikdirektor in Hamburg.

Omer Meir Wellber dirigiert die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das passt doch. Der angesagte Dirigent, ab der Saison 2025/26 Hamburgischer Generalmusikdirektor, steht für eine Aufbruchsstimmung, wie sie die klassische Musik dringend braucht. Dem Orchester wiederum hat ein Dirigent einmal in einem Interview bescheinigt, es sei wie ein rassiger Sportwagen. Was er meinte: Die Kammerphilharmonie braucht man nur anzutippen, und sie explodiert schier vor Expressivität und Virtuosität.

Musikfest Bremen: Hamburgs kommender Generalmusikdirektor glänzt in Bremen

Super Kombi also. Ihre gemeinsame Tournee führt die Beteiligten, bevor sie nach Spanien fahren, zu ein paar Festivals in Deutschland, beginnend natürlich daheim in der Glocke beim Musikfest Bremen. Das Programm hat sich allerdings empfindlich geändert.

Im Zentrum stand ursprünglich ein neues Konzert für Violine, Akkordeon und Orchester von Aziza Sadikova, die 1978 in Taschkent geboren wurde. Den Akkordeonpart sollte Wellber höchstpersönlich übernehmen. Leider wird das Werk nun doch nicht gespielt. Die Geigerin Hilary Hahn ist gerade erst von einer Covid-Erkrankung genesen, es fehlte ihr an Vorbereitungszeit.

Ouvertüre zu „Don Giovanni“: Schon der erste Akkord erschüttert

Es bleiben Mozart und Schubert. Das könnte arg gediegen werden, aber nicht bei der Kammerphilharmonie. Die Ouvertüre zu „Don Giovanni“ springt aus dem Gebüsch wie ein Tiger. Schon der tiefschwarze erste Akkord ist von einer Erbarmungslosigkeit, dass es einen schier erschüttert. Und wenn sich im Folgenden das musikalische Geschehen auffächert, gewinnt es in all den kleinen Figuren und Begleitmotiven prickelnde Plastizität.

So etwas kriegen die Musiker und Musikerinnen, besonders nach den langen Jahren mit ihrem Chef Paavo Järvi, auch alleine hin. Und doch ist ein gut gelauntes Einvernehmen mit Wellber zu spüren. Er dirigiert ohne Stab, ohne Aufhebens, aus dem Atem heraus. Wenige Gesten reichen ihm, um Lichtpunkte zu setzen. Wenn es kleinteilig wird, führt er schon durch Körperspannung. Schade eigentlich, dass die Ouvertüre im Konzert abbiegen muss, bevor die Opernhandlung einsetzt. Man hätte so gern gehört, wie es weitergeht mit Don Giovanni und seinem grummelndem Diener Leporello.

Hilary Hahn: Die Perfektion ihrer Läufe, Doppelgriffe und Triller klingt digital

Das A-Dur-Violinkonzert von Mozart hat Hilary Hahn drauf, sie hat es mit der Kammerphilharmonie sogar schon eingespielt. Auch in der Glocke präsentiert sie es, Covid hin oder her, in gewohnt uhrwerksartiger Präzision. Nur leider passt ihre Art zu geigen so gar nicht zu der lebendigen, sprechenden Spielweise des Orchesters. Die Perfektion ihrer Läufe, Doppelgriffe und Triller klingt digital. Keine Spur von Atem, von melodischer Biegsamkeit und schon gar nicht von Lust an den Mini-Szenen, die in Mozarts Instrumentalmusik doch nie fern sind.

Fast wirkt es, als wäre Hahn angespannt. So unfehlbar sie den Bogen führt, er drückt den Klang ihrer zweifellos großartigen Geige vor lauter Kontrolle fast ab. Erst im orientalisch angehauchten Moll-Teil des Finales lässt sich Hahn mal auf ein flexibleres Zeitmaß ein. Und wirklich frei spielt sie sich bei der Zugabe, der Sarabande aus der d-Moll-Partita von Bach. Da haben Nachdenklichkeit und Innigkeit einen Raum.

Omer Meir Wellber: Die erste Spielzeit an der Staatsoper Hamburg ist durchgeplant

Tiefenentspannt wirkt dagegen Wellber. Der empfängt die Reporterin in der Pause backstage und erzählt in flüssigem Deutsch von den Vorbereitungen für Hamburg. Die erste Spielzeit an der Staatsoper sei fertig durchgeplant, an der zweiten seien er und der designierte Intendant Tobias Kratzer gerade dran. „Wir dachten, zwei Jahre seien viel Zeit, aber es ist unglaublich, wie knapp das ist!“ In einer Ecke steht Wellbers Akkordeon, ein italienisches Modell, recht anders als das norddeutsche Schifferklavier, wie er amüsiert erklärt.

An die Stelle des neuen Doppelkonzerts hat Wellber im Programm Mozarts Sinfonie Nr. 1 Es-Dur KV 16 gesetzt. „Covid hat etwas gegen Neue Musik“, sagt er zum Publikum. „Wer von Ihnen kennt Mozarts erste Sinfonie? Wir spielen sozusagen ein neues Stück von Mozart.“ Und so klingt die Sinfonie dann auch. Im langsamen Mittelsatz erzeugen Dissonanzen und das Gegeneinander von Zweier- und Dreierrhythmus schwebende Melancholie, ja Gänsehaut. Schon das achtjährige Kind beherrscht den Zauber, der sein Werk unsterblich machen wird.

Musikfest Bremen: Kammerphilharmonie schüttelt Schuberts 2. Sinfonie aus dem Ärmel

Auch Schuberts Sinfonie Nr. 2 wird selten aufgeführt. Das Stück aus der Feder des 18-Jährigen fällt in die von neunmalklugen Musikwissenschaftlern sogenannte Gruppe der Jugendsinfonien. Sicher, es ist nicht Schuberts berühmte „Unvollendete“, die da erklingt, aber Wellber und die Kammerphilharmonie verleihen der langsamen Einleitung eine berührende, romantische Weite.

Die Sinfonie ist noch virtuoser als Mozart und genauso durchhörbar. So etwas schüttelt die Kammerphilharmonie aus dem Ärmel. Die fast unhörbaren Pianissimi, die Wellber dem Tutti entlockt, verschlagen einem den Atem, und im Finale gerät die Musik regelrecht ins heurigenselige Schunkeln. Schubert berührt am meisten, wo seine Wurzeln hörbar werden.

Natürlich kommt auch Wellbers Instrument noch zu Gehör an diesem Abend. Als Zugabe spielen er und die Kammerphilharmonie ein „Ave Maria“ von Astor Piazzolla, dem Säulenheiligen der Akkordeonisten. Jeden Ton, jeden Seufzer gestaltet Wellber und nimmt das Orchester dabei mit leichten Drehungen des Kopfes, Blicken oder auch nur mit einer Schulterbewegung mit.

Gemeinsames Musizieren gelingt nur mit Aufmerksamkeit und Vertrauen. Das ist doch ein prima Konzept. Auch für Hamburg.