Hamburg. Der designierte Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber spricht über seine Pläne für die Hamburgische Staatsoper.

Palermo um halb elf morgens, die Sonne scheint seitlich ins Zoom-Fenster. Omer Meir Wellber ist aber nicht zum Spaß dort und hat auch nicht unbegrenzt Zeit für das erste Interview nach der Berufung nach Hamburg. Er hat ein Konzert zu dirigieren, der Kalender ist eng getaktet. Tempo ist für ihn aber kein Problem, denn der frisch gebackene nächste Generalmusikdirektor der Staatsoper – er beginnt 2025 – ist gedanklich wie sprachlich konstant im fünften Gang unterwegs. Zu dem anonymen Brief, der seine gerade begonnene Anwesenheit an der Wiener Volksoper attackierte, wollte er sich nicht äußern.

Hamburger Abendblatt: Als es um den Chefposten an der Wiener Volksoper ging, den Sie im letzten Jahr antraten und bis 2027 ausführen werden, sind Sie da eigentlich nur hingegangen, um abzusagen – am Ende hatten Sie den Job. Wie lief es hier in Hamburg? Wer hat wen angesprochen? Hat man Sie da erneut reingequatscht?

Omer Meir Wellber: Es ist lustigerweise quasi dieselbe Geschichte. Ich und meine Agentur, wir hatten schon andere Ideen auf dem Tisch, Symphonieorchester et cetera, ich wollte nicht mehr so viele Gastdirigate. Dann hat Tobias angerufen. Natürlich kenne ich seine Arbeit und dachte mir: Das wäre auf jeden Fall ein interessantes Dinner. Wir haben geredet und mir wurde klar, dass er ein sehr interessanter Partner sein könnte.

Ein weiterer wichtiger Termin war mit dem Vorstand des Orchesters, der sich für mich ausgesprochen hatte. Sie waren sehr selbstbewusst und sie wussten alles, was ich in den letzten Jahren gemacht habe. Das war für mich schon ein gutes Zeichen. Und dann sind all diese Elemente… aufgeblüht.

Sie und der nächste Staatsopern-Intendant Tobias Kratzer haben noch nie miteinander gearbeitet. Ist das gut so, nach der Devise „unverstellter Blick“? Oder ist das vor allem ein Risiko? Es könnte ja auch im negativen Sinne krachen.

Beim Termin mit dem Vorstand wurde mir klar: Das wird nicht negativ. Sie haben wirklich präzise über meine Ideen gesprochen.

Was haben sie Ihnen gesagt? Warum sind Sie der Richtige?

Sie wussten viel über meine Projekte, was ich während der Covid-Zeit in Palermo gemacht habe, die kreativen Ideen. Sie waren in Dresden, kennen natürlich viele Mitglieder der Staatskapelle und haben viel über meine Arbeit dort gesprochen, über Mozart, über Strauss.

Sie haben erkannt, dass es einen tiefen Respekt für die Tradition gibt – aber trotzdem auch komplette Respektlosigkeit für die Tradition. Danach strebe ich auch bei meiner Arbeit an der Wiener Volksoper: Wie man kann mit oder durch eine Tradition arbeiten, immer suchen, immer lebendig sein und niemals in Passivität oder Museumsatmosphäre verfallen?

Sie und Tobias Kratzer sind zusammen genauso alt wie der jetzige Ballett-Intendant John Neumeier. Was bedeutet dieser Generationswechsel für die Staatsoper?

Wir bringen einen frischen Wind, neue Luft, neues Atmen. Alles, was wir während der Covid-Zeit gelernt haben, bleibt präsent und wichtig. Bei Tobias habe ich gemerkt, dass er keine Angst hat. Keine Angst heißt nicht nur: Wir wollen etwas Moderne und Avantgarde. Heute darf man auch keine Angst davor haben, eine normale „Traviata“ zu bringen. Angst spielt keine Rolle für ihn. Das ist auch für mich sehr wichtig. Wir haben Ideen, wir entscheiden sehr schnell und sind sehr spontan. Wir wollen für das Haus etwas Persönliches finden.

Es gab an der Dammtorstraße eine Ära mit Ingo Metzmacher als Generalmusikdirektor und Peter Konwitschny als seinem Hausregisseur. Haben Sie das auch vor? Wird es also immer nur Inszenierungen von Ihnen beiden zusammen geben?

Das Wort „nur“ passiert bei uns auf jeden Fall nicht. Unsere erste Produktion wollen wir natürlich zusammen machen. Aber wir wollen auch mit anderen Regisseuren und Regisseurinnen arbeiten und in den Sinfoniekonzerten et cetera wirklich viele Top-Level-Dirigenten bringen. Auch das wäre sehr wichtig für das Haus. Wir sind jetzt quasi drei Jahre davor und für verschiedene Ideen ist das ist schon zu spät.

Mit welchem Stück wollen Sie starten?

Wir diskutieren jetzt ein bisschen. Eine Idee hatten wir, aber das macht vielleicht jemand in einem anderen Theater… Noch wissen wir es nicht.

Werden Sie schon vor 2025 Konzerte oder Opern hier dirigieren?

Allora, im Prinzip nein, das ist nicht vorgesehen, mein Kalender ist komplett voll. Aber ich habe Georges Delnon gesagt: Wenn Sie jemand brauchen, wegen einer Absage, weil etwas passiert, und ich kann – dann komme ich gern.

Was wollen Sie anders machen als Ihre Vorgänger, was wollen Sie besser machen?

Besser machen? Darüber müssten wir etwas später reden, weil ich noch alles kennenlerne. Im März werde ich zweimal nach Hamburg kommen, um Vorstellungen und Konzerte anzuschauen. In den nächsten Monaten werde ich hoffentlich ungefähr 20, 25 Aufführungen anschauen.

Und dann habe ich eine genauere Vorstellung über die Produktion, das Orchester, Akustik et cetera. Berlin ist schon quasi in der Vergangenheit. Ich hoffe und ich denke, dass Hamburg mit der Elbphilharmonie und mit anderen Initiativen eine gute Chance hat, ein bisschen das neue Berlin zu sein. Die Staatsoper kann dabei eine sehr interessante Rolle spielen.

Bei Ihnen könnten mir Schwerpunkte wie Mozart oder Strauss einfallen, es könnten mir Italiener einfallen. Was mir bei Ihnen nicht einfällt: Barockoper. Doch mitten in Ihrer Amtszeit, 2028, wird die Gänsemarktoper 350. In welche Richtung soll es gehen?

Barock ist nicht im ausreichenden Maße meine Sprache. Aber ich spiele gerne Cembalo und Continuo. Vielleicht kann man mich also in einer Barock-Produktion als Cembalist sehen, nicht als Dirigent. Mozart? Schon in der ersten Spielzeit haben wir für ihn eine sehr besondere Idee, etwas wirklich extrem Besonderes. Strauss? Auch sehr wichtig. Und ebenso das italienische Repertoire.

Außerdem: Die Sinfoniekonzerte werden immer wichtiger und bereits jetzt planen wir eine sehr interessante Tournee, schon in der ersten Saison. Die Qualität der Gastdirigenten ist sehr wichtig. Wenn ich jemand Fantastisches holen kann, ist es besser, dass er oder sie dirigiert. Ich dirigiere natürlich viel, habe die Opern und so weiter, aber ich will nicht sechs von zehn Konzerten übernehmen. Ich denke, das ist falsch. Es ist viel besser, gute Leute mitzubringen.

Sie haben zwei Posten: Generalmusikdirektor der Oper und Chefdirigent des Orchesters. Was war entscheidender für Ihr Ja zu Hamburg, die Staatsoper oder die Elbphilharmonie?

Eine gute Frage, ich hätte sie etwas anders gestellt. Es wäre perfekt, wenn wir die Qualität von der Elbphilharmonie zur Staatsoper bringen könnten und umgekehrt. Die Elbphilharmonie und die Konzerte dort sind quasi ein Labor für die Staatsoper. Sie werden auch sehen, wie die Konzerte und die Programme wirklich immer Hand in Hand gehen mit dem, was in der Staatsoper passiert.

Es gibt einen schönen O-Ton von Ihnen: „Ich sehe nie das Nichts, ich sehe immer das Mögliche“. Nun hat Ihnen Kent Nagano die Idee eines Staatsopern-Neubaus in den Diskursraum gestellt. Sie haben die heiße Kartoffel geerbt. Haben Sie eine Meinung dazu?

Wie es mit der Elbphilharmonie lief, ist unglaublich. Natürlich hat sie viel gekostet und wir hatten große Diskussionen, ich erinnere mich an alles. Aber jetzt kann man sich Hamburg – oder vielleicht Deutschland – ohne Elbphilharmonie nicht mehr vorstellen. Ich kann in einer sehr, sehr kleinen Wohnung wohnen, die aber voller Bücher ist. Die Frage ist: Was ist besser, eine große Wohnung mit ein bisschen wenig Büchern oder eine kleine Wohnung mit vielen?

Jetzt weiß ich noch nicht, ja, nein, vielleicht. Wie ist Ihre Meinung?

Ich will immer alles, ich will immer etwas Neues. Im Prinzip, denke ich, ist das ist eine sehr gute Initiative. Und mit der Elbphilharmonie haben wir gemerkt, welchen Einfluss so ein Projekt hat. Im Prinzip ist es immer ein positiver Einfluss.

Sie kommen jetzt von einer Volks- an eine Staatsoper. Was heißt das für Ihr Denken, für Ihren Job?

Ich habe vielleicht schon 90 oder 100 Opern dirigiert, ich habe sehr, sehr großes Repertoire, auf einer Position wie in der Staatsoper wird dieser Faktor immer wichtiger. Ich glaube sehr stark an das Repertoire-System und werde auch viel Repertoire dirigieren. Neue Produktionen sind wunderbar, aber die werden vielleicht 30 Prozent meiner Arbeit in einer Opern-Spielzeit ausmachen. Volksoper, Staatsoper? Das ist kein Unterschied, das ist etwas, was die beiden Häuser verbindet.

Wie geht es eigentlich in Palermo weiter? Wie lange werden Sie dort Musikdirektor am Teatro Massimo bleiben?

Bis Dezember 2024.

Am Massimo steht am Portal „L’arte rinnova i popoli“. Kunst erneuert die Menschen. Was bedeutet das für Ihren Job?

Viel. Noch kann ich nicht mehr verraten, aber es wird in jeder Spielzeit ein oder vielleicht mehr Projekte geben, die wirklich anders sind, mit einer anderen Perspektive. Auf der Bühne sind wir in der Gegenwart, doch im Orchestergraben sind wir immer im Jahr 1880, beispielsweise, als ob wir dazu gezwungen wären, und auf der Bühne können wir im Gestern, Heute oder Morgen sein. Es zu probieren, mit diesen großen, heiligen Texten etwas zu machen, das wäre interessant.

Wie geht dieser Satz weiter? „Wenn ich GMD in Hamburg bin, dann…“

… wäre die Stadt wieder ein Ort für kulturelle Debatten.

Spontan aus dem Bauch heraus: Welchen Komponisten werden Sie garantiert nicht dirigieren?

Strawinsky.