Hamburg. Das European Union Youth Orchestra mit Manfred Honeck und Benjamin Grosvenor blieb im Großen Saal unter seinen Möglichkeiten.
Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass der eher junge britische Pianist Benjamin Grosvenor einen großformatigen Auftritt in dieser Stadt hatte, mit Liszts 2. Klavierkonzert, den Philharmonikern und Generalmusikdirektor Kent Nagano bei deren Open-Air-Abend mitten auf dem Rathausmarkt.
Wäre dieses Event damals durch und durch sensationell gewesen, funkensprühend und eigenwillig bravourös, wäre er als Interpret wohl auch konkreter leuchtend im Gedächtnis geblieben. Bei Grosvenors Rückkehr, diesmal mit dem European Union Youth Orchestra (EUYO) und in den Großen Saal der Elbphilharmonie als Teil des Sommerpausenfüller-Sortiments, sollte es das 3. Klavierkonzert von Prokofjew sein. Eines der zugängigeren Bravourstücke dieses Russen, deswegen aber noch längst nicht als so harmlos und halb aufregend abzuliefern, wie Grosvenor es konsequent tat.
Elbphilharmonie: Ein Jugendorchester will nach ganz oben
Für das Jugendorchester war Grosvenor als Solist immerhin ein praktischer Partner, weil mehr Reibung, mehr egoistisches Risiko wohl auch mehr kreative Unruhe in den gut einstudierten Ablauf gebracht hätte. So aber beließ Grosvenor es, man muss wohl so sagen, beim genehmen Durchbuchstabieren und das Tutti kam nie in ernsthaftere Bedrängnis, sich aus dieser gemeinsamen Komfortzone ins spontane Reagieren herauszutrauen. Weil Grosvenor es ja nicht nachdrücklich und nachdrückend von ihnen verlangte und sie nicht bis aufs Herzblut reizte.
Mit Manfred Honeck hatte das EUYO einen zielstrebig freundlichen Tutti-Pädagogen vor sich, der dem Nachwuchs mit selbstvertrauenbildenden Maßnahmen nie das Gefühl nahm, das alles sei noch zu schwer, zu erwachsen, zu knifflig, zu anspruchsstark für sie.
Die letzte, entscheidende Würze fehlte, der rhythmische Witz zündete bedingt
Seine vielen spieltechnischen Hürden, von Anfang nicht ohne, bewältigte Grosvenor sehr ordentlich und leichtfingrig schnell; er verstolperte sich nicht im engmaschig angelegten Akkordgeflecht des ersten Satzes und zeichnete auch die lyrischen Passagen des Mittelsatzes fein nach, bevor es ins Motiv-Gewimmel des Finales ging. Diese Hausaufgaben waren also durchaus gemacht worden.
Doch die letzte, entscheidende Würze fehlte, der rhythmische Witz zündete bedingt, auch die Überzeugungskraft des Flügelklangs blieb so edelmatt, wie Grosvenor sie vermittelte, unter ihren Möglichkeiten und den Notwendigkeiten. Das Stück, es kam, passierte und ging vorbei. Dass er auch anders, feiner, farbsensibler und fantasievoller konnte, bewies Grosvenor erst so ganz in seiner Zugabe, Ravels „Jeux d’eau“.
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Als Ouvertüre dieses Abends war James MacMillans „Larghetto für Orchester“ gedacht gewesen, der Schotte hatte es 2017 für Honecks Zehnjähriges als Chef des Pittsburgh Symphony geschrieben. Achtsamkeits-Avantgarde mit Pathos-Glasur, harmlos schön und einschmeichelnd nachvollziehbar gesetzt, als Choral-Studie mit in den Saalrängen verteilten Solo-Blechbläsern als kleine Special effects. Die entschieden massivere Herausforderung war aber eindeutig Schostakowitschs Fünfte nach der Pause, eines der vielen mindestens doppelbödigen Bekenntniswerke, einer dieser politisch brisanten Balanceakte zwischen Anpassung und Ablehnung.
Kleiner Trost: An diesem Stück können sich auch gereiftere Orchester verheben
Honeck, ein versierter Allrounder, wusste das natürlich, das Orchester ahnte es schon ziemlich gut über weite Strecken aus seinem Notenmaterial heraus. Doch obwohl das EUYO nun deutlich aggressiver und ruppiger loslegte, blieb noch Luft, nach oben ins Durchdringen der packenden Erzähldynamik, mehr noch aber nach unten ins finstere, sarkastisch Abgründige, sobald die Musik ihre eigentlichen Absichten hinter weit hochgezogenen Fassaden verbarg.
Auch hier behielt Honeck seine hilfreiche unterstützende Tätigkeit bei. Brachiales Draufhalten allein des Effekts wegen ließ er nicht durchgehen, stattdessen drosselte er im dritten Satz die Lautstärke der Streicher bis an den Rand der Hörbarkeit, ein toller Moment, bei dem die Saal-Akustik voll ausgereizt wurde. Das garstige Toben des Finales allerdings überforderte die Gestaltungskräfte des EUYO dann doch, bevor der begeisterte Beifall losbrach. Kleiner Trost: An diesem Stück können sich auch gereiftere Orchester verheben.
Elbphilharmonie: Zum Abschluss zwei Showstücke als Selbstbelohnung
In der Bonus-Runde, auch zur Selbstbelohnung, gönnte man sich gemeinsam noch zwei Showstücke: den „Galop“-Satz aus Khatschaturians „Masquerade“-Suite und „Amparitor Roca“, ein Paso doble des Katalanen Jaime Texidor, bei dem es das EUYO kollektiv nach so viel Anspannung nicht mehr auf den Stühlen hielt.