Hamburg. Das Philharmonische Staatsorchester und der Generalmusikdirektor gaben zwei Open-Air-Konzerte mit Werken von Liszt und Brahms.

Falls es einen örtlichen Wettergott mit Zuständigkeit für Freiluftkultur-Veranstaltungen geben sollte – eines müsste man ihm lassen: Timing kann er. Während seines Umbaupause-Werbeblocks hatte Staatsopern-Intendant Georges Delnon am Sonnabend zunächst aufgezählt, welche Termine man demnächst tunlichst wahrnehmen möge: die Opern-Gala einen Abend später natürlich.

Die Akademiekonzerte und dort die diversen Specials mit der Klavier-Legende Alfred Brendel. „Les Contes d’Hoffmann“ demnächst als Saisonauftakt in der Oper. Das erste reguläre Abo-Konzert mit Gidon Kremer als Gast-Solist. Sogar Jörg Widmanns „ARCHE“-Spektakel-Comeback zum 5. Elbphilharmonie-Geburtstag im nächsten Januar wurde schon erwähnt. Außerdem hatte Delnon, etwas zu zweckoptimistisch wohl, behauptet „Auch morgen wird das Wetter sehr gut, ich habe eine sehr gute App...“ – und schon verdunkelte sich beim ersten Konzert-Durchgang der Himmel über dem Rathausmarkt.

Kent Nagano und Orchester fangen an – Himmel bricht auf

Der Farbton wechselte in Windeseile von harmlos trockenem Blau in jenes leicht bedrohliche Vor-Schauer-Stahlgrau mit Böen, für das man in diesem Bundesland nur eine lakonische Antwort kennt: Wir sind aus Hamburg, nicht aus Zucker. Regenjacken raus, Ruhe bewahren, weitermachen. Außer einigen Tröpfchen kam dann aber noch nichts. Und kaum hatten Generalmusikdirektor Kent Nagano und sein Orchester die ersten Zartbitter-Takte von Brahms’ Dritter hinter sich, brach der Himmel kurz, aber umso dramatischer auf, als wäre die Bildregie nicht nur für die Kameraschwenks für die Großbild-Leinwand zuständig, sondern auch für die passende meteorologische Dramaturgie.

 Kent Nagano auf dem Rathausmarkt.
Kent Nagano auf dem Rathausmarkt. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Doch auch die Veranstaltung an sich war durchaus speziell: Klassisches, nicht umsonst, aber draußen, in prominenter City-Lage vor der Postkarten-Kulisse des Rathauses. Schachbrettmuster in den Sitzreihen, Maskenpflicht bis zu den Plätzen, alles brav gelernt mittlerweile. Schon unter normaleren Umständen als in diesem zweiten Corona-Sommer wäre ein solches Angebot nicht alltäglich, leider.

Der Hamburger Kultursommer endete an diesem Sonntag

Aber: Der Hamburger Kultursommer endete an diesem Sonntag, da durfte, konnte, musste zum Abschied noch ein letztes Mal groß aufgefahren werden. Ähnlichkeiten mit etablierten Opus-Events wie „Klassik am Odeonsplatz“ in München waren wahrscheinlich weder zufällig noch unbeabsichtigt.

Vieles war ja auch wirklich nicht schlecht: Der verstärkte Ton, beispielsweise, jedenfalls im zentralen Mittelbereich der Publikums-Blöcke, der war weit weniger unklar und scheppernd, als es sonst bei solchen Veranstaltungen gern der Fall ist. Mag sein, dass die großen Schall-Platten an Bühnen-Seite und Deck – im Waben-Design, wie anno dunnemals bei Hans Rosenthals „Dalli Dalli“ – sachdienlich behilflich waren.

Grosvenor im 2. Klavierkonzert von Liszt engagiert

Auch die Idee, die Kameras nicht nur stumpf frontal draufzuhalten, sorgte für passend choreographierte Video-Einblicke in die Umsetzung der Partitur. Ob der junge britische Pianist Benjamin Grosvenor, als treffsicherer Solist im 2. Klavierkonzert von Liszt engagiert, davon erfreut war, blieb sein Geheimnis.

Die Nahaufnahmen der schwerarbeitenden Virtuosen-Hände unterstrichen allerdings sehr anschaulich, das dieses Stück sehr viele Noten sehr flächendeckend über die Tastatur verteilen lässt, um Eindruck zu machen und Staunen über diese feinmotorische Flinkfingrigkeit zu provozieren.

Nagano konnte Orchester sich selbst überlassen

Grosvenor jedenfalls warf sich sehr zügig und mit beherzt prankigem Zugriff ins Geschehen und überspielte damit, dass es nicht allzu viele Anhaltspunkte in diesem symphonisierenden Solisten-Konzert gibt. Nagano konnte sich entsprechend schnell entspannen und das Orchester antiautoritär sich selbst überlassen. Die Sache lief rund, die Begleit-Soli kamen tadellos, Grosvenor meisterte eine Hürde nach der anderen und hörte aufmerksam hin, gentlemanlike geradezu, wo er sich ein- oder gar unterzuordnen hatte. Nur hin und wieder, und auch das sehr konziliant, ließ er den Tastenlöwen kurz von der Kette.

Wie es sich für einen Hamburger Generalmusikdirektor mit Lokalpatriotismus-Kleingedrucktem in der Arbeitsplatzbeschreibung gehört, folgte eine der vier hier immer besonders gern genommenen Brahms-Sinfonien. Die Dritte sollte es diesmal sein. Nicht unbedingt die heißblütigste der vier, sondern ein Stück mit langen vergrübelten Strecken und zurückgenommener Leidenschaft, insbesondere im dritten Satz mit seiner ersten Melodielinie, die dem bissig verschlossenen Melancholiker aus dem Gängeviertel so sehr und so unverstellt aus der Seele sprach.

Nagano hatte es nicht eilig, im Gegenteil

Also: eine Sinfonie, die durchaus etwas Zug und Nachdruck vertragen kann, um nicht in ihrer leicht herben Schönheit wegzudösen. Doch Nagano war an diesem Abend deutlich mehr nach Zurückhaltung und gediegener Ausbreitung des thematischen Materials. Eilig hatte er es nicht, im Gegenteil. Jede motivische Drehung, jede harmonische Wendung wurde erst begutachtet und danach verabschiedet.

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Die Holzbläser genossen es, im Andante einmal so ziemlich alle Zeit der Welt zu bekommen, um sich fein aufeinander abzustimmen. Im Poco Allegretto seufzten die Celli ihr Leid sanft in den Abendhimmel, und auch das Schluss-Allegro kam zunächst nicht allzu energisch in Wallung. Obwohl diese Sinfonie nicht zu jenen gehört, die sich mit abschließendem Triumph dem Applaus entgegen und dem Publikum an den Hals werfen, blieb Nagano bei seiner Lesart.

Nagano: Zugabe war moderate Angelegenheit

Mehr noch, auch die Zugabe war nicht direkt hochtourig, sondern eine moderate Angelegenheit, eine der Zwischenakt-Musiken aus Schuberts „Rosamunde“. Etwas für Gourmets, eher kein idealer Rausschmeißer für ein Open-Air-Konzert, das auch als temperamentvoller Schrittmacher und unwiderstehlicher Teaser für die nächsten, dann wieder überdachten Konzerte hätte gedacht sein können.

Weitere Konzerte: www.staatsorchester-hamburg.de