Lübeck. Das Auftaktkonzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals dirigiert Alan Gilbert. Oratorium „Elias“ könnte glatt als Oper durchgehen.

Denkt man sich die Spracherkennung weg und weiß deswegen überhaupt nicht, worüber dort zwei Stunden lang mit biblischem Pathos gesungen und räsonniert wird, könnten weite Passagen von Mendelssohn Bartholdys „Elias“ über einen gottesfürchtigen, heroischen Einzelgänger und Warner aus der Wüste glatt als frühromantische Oper durchgehen, mit Weber im Stammbaum und frühem Wagner bereits am Horizont. Doch Mendelssohn hatte ja, trotz seines ansonsten oft so wahren Vornamens Felix, kein Glück mit Opernprojekten.

Dafür umso mehr mit diesem Oratorium, das die alttestamentarische Moralpredigerei dieses Propheten mit elegant inszenierter Dramatik und einem temporeichen Plot verbindet. Ein Plot, in den sogar einige raffinierte Spezialeffekte passen, von den geradezu theatralen Steigerungen an Textstellen wie „Den Frommen geht das Licht auf“ über ein wieder zum Leben erwecktes Kind, Stürme, Erdbeben, Wasserfluten und Feuer bis hin zur Himmelfahrt per Feuerwagen im Finale.

Es ist, auch deswegen, eher von Händels Action-Oratorien als von Bachs Passionen ein Urenkel im Geiste. „Elias“ wurde sofort zu einem Erfolg und wurde und blieb ein Publikumsmagnet, wann immer es auf einen Spielplan genommen wird.

SHMF-Eröffnungskonzert: Mendelssohns „Elias“ als Festival-Auftakt mit Opern-Aroma

Kein Wunder also, dass das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF), dessen Programm-Leitmotiv in diesem Sommer die Musikstadt London ist, dieses Stück auf den Eröffnungskonzerte-Wunschzettel für den NDR setzte. Die Uraufführung 1846 durch Mendelssohn selbst fand aber doch in Birmingham statt? Well, nobody is perfect, dear.

Eine Runde Glück im Unglück hatte der erste Durchgang in der Lübecker Musik- und Kongresshalle am Sonnabend: Florian Boesch, der der Titelpartie sicher ein intellektuell interessantes Profil verliehen hätte, hatte krankheitsbedingt abgesagt. Für ihn sprang Michael Volle ein, und das war weit mehr als eine Notwehrlösung in letzter Minute.

Vor wenigen Wochen erst hatte Volle bei einer Aufführung von C.P.E. Bachs „Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ in der Elbphilharmonie bewiesen, dass er nicht nur formvollendet Mozart verfeinern oder Wagner röhren, sondern auch in dieser Abteilung mit Nuancen einerseits und klug dosierter Kraft andererseits gestalten und überzeugen kann. Seinen wohl stärksten Auftritt als querständigen Zweifler und Sinnsucher, dessen Wurzeln im Glauben ruhen, hatte er dann auch in der späten großen Arie „Es ist genug!“.

Die drei anderen Solo-Partien waren ebenbürtig fein gecastet worden: Christina Landshamers strahlender, lyrischer Sopran mischte sich bestens mit dem runden, schlanken Mezzo von Sasha Cooke. Andrew Staples‘ Tenor ergänzte diese Palette eindringlich und geschmeidig zugleich. Man kann solche Partien also auch singen und dabei textverständlich bleiben.

SHMF-Eröffnungskonzert: Eine weitere Hauptrolle hatte der Chor

Auch für das NDR Elbphilharmonie Orchester war dieser Abstecher ins Geistliche als letzte gute Tat vor den Sommerferien eine interessante Abwechslung zum sinfonischen Vielerlei der Saison. Chefdirigent Alan Gilbert mag Opern und die gestalterischen Freiheiten, die sie bieten, kommt aber – zumindest auf seinem Hamburger Posten – nur selten dazu. Hier hatte er viel Gutes aus beiden Welten zur freien Entfaltung, die sinfonische Feinzeichnung von Erzählsträngen und die opernsinnliche Freude am Begleiten eines starken Auftritts.

Der Solo-Knabe, eine dankbare Nebenrolle als Ausguck für göttliche Wunder, sang sein Erstaunen vom Rang herab. Dass der zweite Abschnitt im direkten Vergleich mit dem Stürmen und Drängen des ersten eher nachdenklich daherkommt, tat der Gesamtwirkung des Stücks keinen größeren Abbruch. Historisch informiert geschärft in den Details war diese Aufführung bedingt, Gilbert strebte in der MuK-Akustik einen wohlig warmen, runderen Mischklang an.

Eine weitere eigentliche Hauptrolle hatte neben Volle vor allem der Chor, die vereinten Stimmkräfte des NDR Vokalensembles und des WDR Rundfunkchores. Nicht nur als Gesamt-„Wall of Sound“, der das Geschehen über den Baal verehrenden König Ahab und den Wunder bewirkenden Elias kommentierte und vorantrieb. Auch in den solistischen Passagen, in denen Mendelssohn mit dem engelsgleich singenden Doppelquartett oder dem Terzett im zweiten „Elias“-Abschnitt liebliche Kontraste zum Panorama-Klang setzte, der die Konzertbühne gut ausfüllte. Ein Festival-Auftakt als gelungener Saison-Abschluss.

Das SHMF-Eröffungskonzert wird am 2.7. ab 20.15 Uhr live auf 3Sat gesendet und von NDR Kultur übertragen. Festival-Infos: www.shmf.de