Hamburg. Zwei Musik-Legenden auf einer Bühne: Martha Argerich und Daniel Barenboim traten gemeinsam in der Laeiszhalle auf.

Dass Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel bei seiner Publikumsbegrüßung ehrfurchtsvoll von zwei „olympischen Göttern“ sprach, die danach zum Treffpunkt Flügel ins Bühnenlicht herabsteigen sollten, war tatsächlich kaum untertrieben. Martha Argerich und Daniel Barenboim, das sind nun mal zwei Jahrhundert-Persönlichkeiten, wie es sie nicht mehr gibt und garantiert nicht mehr geben wird. Die ersten musikalischen Begegnungen passierten anno 1949 in Buenos Aires, da waren beide gerade so hoch wie ein Stapel Klaviernoten. Sie wurden sofort Freunde, und seitdem: Weltkarrieren, Legenden, epochale Egos, ergraute Wunderkinder, Seelenverwandte, das volle Programm, bis heute.

Zusammen sind sie jetzt 162 Jahre alt, eine Künstlerlebens-Erfahrungssumme als Jahreszahl, in die vier aktuelle Stars – Daniil Trifonow, Yuja Wang, Igor Levit und Lang Lang – en bloc hineinpassen. Als Halbfinale ihres mittlerweile fünften Festivals vor allem in der Laeiszhalle hatte die eine den anderen für den nun dritten gemeinsamen Abend in ihr temporäres Konzert-Wohnzimmer eingeladen.

Argerich und Barenboim: So alt kommen wir nicht mehr zusammen

Standing Ovations gab es dort schon vor dem ersten Ton, weil allen im Großen Saal klar war: Das hier wird ein historischer und damit in sich großer Abend, der wohl auch nach Abschied und Rückblick klingen wird. Und nicht perfekt, bloß um der Perfektion willen. Sie sind inzwischen zu alt und sich zu schade für so etwas.

Das kurzfristig verkündete Programm war teilweise ein Remake früherer Festival-Runden, nichts spieltechnisch Übermenschliches für ihre Liga, eigentlich: schönes Vierhändiges von Mozart, danach schönes Vierhändiges von Schubert. Die Jahre mit Ausgefallenerem sind womöglich vorbei. Doch es ging ja auch längst nicht mehr vorrangig um Tagesform oder das Abliefern funkelnder Virtuosität, sondern um die würdigende und – großes, passendes Wort – um die dankbare Wiederbegegnung mit zwei epochalen Lebensleistungen. Dass sie, ganz für sich und vor rund 2000 begeisterten und gerührten Menschen spielen würden, war erhabener und für Argerich und Barenboim wichtiger als die ordentliche Präsentation eines Konzertprogramms, bloß weil man dafür engagiert wurde. Auch Notentrefferquoten werden da sehr relativ.

Barenboim habe sich von seinen gesundheitlichen Problemen ordentlich erholt, hieß es in den letzten Wochen. Auf die Bühne aber kam, sehr behutsam und von Argerich geleitet, ein schon sehr alter Mann, in Form und aufrecht gehalten von seinem Willen, im Profil mit großer Ähnlichkeit zum greisen Bruckner. Ein Künstler, der nach wie vor nichts anderes will vom Leben, als aus seinen Vorstellungen Musik entstehen zu lassen, weil nichts für ihn schöner und lebenswichtiger ist. Gelungen ist es ihm, das muss man wohl so sagen, nicht immer.

Argerich und Barenboim: Argerich spielte mehr und mehr für anderthalb

In der ersten vierhändigen Mozart-Sonate ging zunächst einiges in Barenboims Oberstimme daneben, mehr, als Argerich direkt neben ihm wohlwollend und fürsorglich hätte ausgleichen können. Er spielte nicht mit ihm, sondern er buchstabierte den Notentext eher, nach Leichtigkeit und Fluss suchend, mitunter unrund und angestrengt und verunsichert.

Natürlich hörte er das genau, natürlich hörte das auch Argerich. Womöglich war genau deswegen die Entscheidung eine spontane, beim Andante plus Variationen KV 501 die Plätze zu tauschen, sodass Argerich die obere Hälfte des Stücks übernahm, damit Barenboim sich in den begleitenderen, weniger präsenten Part fügen konnte. Rührend war das, und ehrlich, auch in der liebevollen Unbarmherzigkeit, mit der beide miteinander weiterspielten.

Und auch in der zweiten Mozart-Sonate spielte Argerich mehr und mehr für anderthalb, mit einer Sicherheit, die Barenboim für sich nicht – oder besser: hier und jetzt nicht mehr - in den Griff bekam. Charme und Witz, dazu kam es nur da und dort, aber nicht durchgängig und ausgewogen.

Argerich und Barenboim: Weil es so schön war – keine Zugabe

Die Pause hatte also auch hinter der Bühne eine gewisse Berechtigung, danach ging es deutlich anders weiter. Für Schuberts Unvollendungen braucht es keine tänzelnde Tasten-Geläufigkeit, dort ist eine andere Art von musikalischer Empathie und Mitleidensfähigkeit gefragt. Man muss seine Seele entblößen und große Fragen stellen wollen, ohne Angst davor, dass die Musik einem nur mit weiteren Fragen antwortet. Das Alter ist eindeutig nichts für Schwächlinge, heißt es gern? Schubert ebenfalls nicht. Doch nun wurde der Abend ein sehr anderer. Barenboim blühte sanft und sorgfältig in der Musik auf, sein Anschlag und seine Gestaltungsleichtigkeit erinnerte sich im A-Dur-Rondo zunehmend daran, wie sehr Zaubern und Zweifeln bei Schubert in ein und demselben Melodiebogen möglich und unverzichtbar sind.

Die beiden sind seit Jahrzehnten in diesem Stück zu Hause, man hörte das nicht nur, sondern spürte auch die gereifte, vertraute Verbundenheit, die Nähe, um derart offen miteinander umzugehen. Reizend war das, und eine Erinnerung daran, wie musikalische Freundschaft Menschen verändern kann. Finsterer, enger und intensiver wurde dieser Lebenserfahrungsaustausch in der f-Moll-Fantasie, in der die beiden gemeinsam fabulierten. Die Musik bekam Farben und Atem, Weite und Tiefe. Und weil es so schön war: ohne Zugabe. Nur Beifall gab es, und zwei besonders glückliche Menschen auf der Bühne.

Argerich-Festival-Finale: 30.6., 19.30 Uhr, Laeiszhalle, Gr. Saal: Martha Argerich, Mischa Maisky und Gil Shaham mit Werken von Beethoven, Schostakowitsch und Haydn. Infos: www.symphonikerhamburg.de