Hamburg. Zum Auftakt ihres Festivals in der Laeiszhalle spielte Martha Argerich einen Duo-Abend mit Daniel Barenboim. Begeisterter Beifall.

Im Jahr, in dem sich Martha Argerich und Daniel Barenboim als Wunderkinder in Buenos Aires begegneten, wurde auf dieser Seite des Atlantiks ein gewisser Konrad Adenauer erstmals zum Bundeskanzler gewählt. Dass die beiden, inzwischen um die 80, sich seit anno 1949 kennen, sieht man, vor allem aber hört und spürt man diese lebenslange, einzigartige Künstler-Freundschaft. Kaum vorstellbar, dass sie noch ernsthaft proben, üben, an klemmenden Details feilen müssten. Bestens vorstellbar aber auch, dass ihnen gerade das immer wieder Erfüllung und Antrieb gibt, dieses lebenslange Streben nach dem 101. Prozent, während andere schon bei 80 ihr Haben erreichen.

Gemeinsam Musik spielen, die jeweiligen Egos abschalten und synchron spüren, was richtig ist und was in jedem Moment in jedem Takt aufeinander abgestimmt zu geschehen hat, das wirkt bei diesen so natürlich wie Atmen. „Spielen“ können sie ohnehin alles, wonach ihnen ist, auch in ihrem Alter, das erlaubt enorme Freiheit in dieser heiklen Disziplin. Schon der Gang ins Rampenlicht – hin und wieder mit kleinen gegenseitigen Stütz-Gesten, der Stufen wegen – wirkte, als käme ein miteinander alt gewordenes Seelenverwandschafts-Duo auf die Bühne. Er mit stoisch strenger Herbergsvater-Miene, sie mit diesem mädchenhaften Lächeln unter ihrer grauen Mähne. Man darf sich die beiden nach so einem Abend wohl als sehr glückliche Menschen vorstellen.

Martha Argerich und Daniel Barenboim in der Laeiszhalle

Kein Wunder also, dass Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel bei seiner Festival-Auftakt-Begrüßung im Großen Saal der Laeiszhalle auf diesen angenehm anstrengenden Perfektionsdrang hinwies: „Die Tage sind lang, aber jede Stunde ist schön.“ Dass der dritte Stargast des Abends, Cecilia Bartoli, kurz vorher eine Krankmeldung eingereicht hatte, trübte zwar leicht die Freude über die angereiste Prominenz, aber nicht dauerhaft, weil Argerich und Barenboim ohne diese Dritte im Bunde nun wirklich keine halbtollen Lückenbüßer sind.

Als Martha Argerich 2018 ihr erstes Freunde-und-Familie-Festival in Hamburg begann, hatten sich die beiden mit rührender Gelassenheit etwas Schumann und Debussy gegönnt; die damalige Zugabe, das Arrangement des „Prélude à l’après-midi d’un faune“ für zwei Klaviere, wurde nun zu einem Mittelpunkt ihres Wiederbegegnens. Obwohl nur zwei Instrumente auf der Bühne standen, blühte ein komplettes Orchester auf, mit zauberhafter Eleganz und geschmeidiger Klangfarben-Vielfalt.

Programmgestaltung war clever gewählt

Barenboim hauchte von links das ziellos verträumte Eingangs-Motiv flötenfein in die Stille, und Argerich reagierte darauf rechts mit samtweichen Akkorden und dem Herbeizaubern von Stimmungen und Andeutungen. Diese Noten berührten nie den Boden von Tatsachen. Noch schöner: Obwohl immer wieder sanft durchschimmerte, dass Argerichs Anschlag eine Nuance weniger markant sein wollte, verschmolzen die beiden Instrumente und die beiden Charaktere zu einer Einheit, die diesem Stück Größe und Anmut gab.

Die Programmgestaltung des pausenlosen, nicht allzu langen Abends war clever gewählt: zweimal Mozart und zweimal, als Gegenentwurf, Französisches, jeweils mit zwei Klavieren beziehungsweise vierhändig. Einerseits also klassische Klarheit, die nach Strukturverständnis und Formempfinden verlangt und nach munter ausgelebter Präzision. Andererseits dann aber auch der Charme einer Musik, die sich in ihrer Subtilität nie so ganz festlegen mag, die mit Ideen und Inspirationen jongliert und daraus, je nach Anlass, kleine Skizzen oder große Gemälde formen kann.

 Ball-Szene war Ouvertüre für begeisterten Beifall

In Mozarts KV 551 reizten die beiden das Show-Potenzial voll aus. Eine Sonate für zwei Klaviere, in der sich die beiden Stimmen anspornen, sich verstärken und stützen, immer kurz davor, sich gegenseitig links überholen zu wollen. Ein kleiner Abenteuer-Spielplatz in D-Dur, den Argerich und Barenboim dort erkundeten. Mit einem temperamentvoll lospreschenden Kopfsatz, der sich nur kurze Momente des Innehaltens gönnt, weil immer wieder die nächste launige Pointe kommen möchte. Und auch hier dürfen die beiden Instrumente gern und oft so tun, als seien sie eigentlich ein Tutti. Eine Chance zum amüsierten Armdrücken, die sich diese beiden Interpreten, klar, nicht entgehen ließen.

Behutsamer und schwelgerischer ließen sie es in KV 501 angehen. Ein niedliches, fast schon kindlich naives Thema, darüber fünf Variationen, ein Zwei-Personen-Kammerspiel auf nur noch einer Tastatur. Ging auch, ging sogar bestens, war aber nur eine Fingerübung für Bizets überhaupt nicht kinderleichten „Jeux d’enfants“-Zyklus. Ein Dutzend Album-Blättchen, weniger melancholisch als Schumanns „Kinderszenen“, mit viel Esprit, viel Fantasie beim Erfassen von Launen und Spielereien.

Mal wollte Argerich oben spielen, mal Barenboim. Weltvergessenes Schaukeln, heiteres, unbeschwertes Sein im Hier und Jetzt. Das Platzen von Seifenblasen, neckisch dahingeworfen. Ein kurzer Schnappschuss einer Federball-Partie, bei dem sich die beiden still vergnügt die Läufe zuspielten. Kindertrompetchen-Getröte in einem kurzen Marsch-Impromptu, bis am Ende eine Ball-Szene die Ouvertüre für begeisterten Beifall war.

Aktuelle Aufnahme: Debussy „Fantasie für Klavier und Orchester, La Mer“ u. a. Martha Argerich, Daniel Barenboim, Staatskapelle Berlin u. a. (DG, CD ca. 15 Euro). Weitere Festival-Termine: www.symphonikerhamburg.de