Hamburg. Doppelt spielt besser: Martha Argerich und Daniel Barenboim verzücken als Seelenfreunde das Festival-Publikum.

Künstlerfreundschaft, das ist etwas für Nicht-Künstler nur schwer Nachvollzieh­bares. Man muss sich dafür nicht nur verstehen und ­mögen und wissen, wie es ist, wenn das Adrenalin in einem brodelt, man muss sich von Herzen die geteilte Aufmerksamkeit auf einer Konzertbühne gönnen. Doppelt spielt besser, wen das alles so stimmt und so uneitel zusammenkommt, wie es bei Martha Argerich und Daniel ­Barenboim der Fall ist.

Zwei Ex-Wunderkinder, die sich schon als Wunderkinder kannten, fast gleichaltrig und ­inzwischen in der zweiten Hälfte ihrer 70er-Jahre. Beide in Buenos Aires geboren und in der ganzen Musikwelt zu Hause. Zwei epochale Egos, bestens aufeinander abgestimmt. Was kann da noch schiefgehen, wenn zwei wie sie in trauter Verbundenheit auf die Bühne des Großen Saals der Laeisz­halle kommen, um sich vierhändig behutsam mit Musik zu umarmen, obwohl sie meterweit voneinander entfernt an zwei Steinway-Flügeln sitzen.

Es ging hauchfein los und steigerte sich dann

Welch ein Luxus – zwei der Größten an einem Abend, lediglich für eine nicht ­gerade epische Programmhälfte, mit Werken für Gourmets. Bislang waren die beiden in dieser Kombination in großen Musikmetropolen Stammgäste, nun also auch in Hamburg, als Premiere und hoffentlich nicht bloß als Unikat.

Wir ­haben ­noch das Debussy-Jahr, zu dem der Pianist Daniel Barenboim ­ohnehin seit Längerem gratuliert; das impressionistisch-verträumte Spiel mit Klangfarben und Akkordaromen liegt auch Argerich. Also haben die beiden um eine Ecke gedacht und neben Original-Debussy auch seine Bearbeitung von Schumanns „Sechs kanonischen Stücken für den ­Pedalflügel“ ausgewählt: eine Rarität für ein längst ausgestorbenes Spezialinstrument, ­deren ­Essenz Debussy auf zwei Flügel verteilte, ohne die Grundidee des ­Kanonischen zu vernachlässigen

Die diffizile Kreuzung aus kontrapunktisch denkender Regelstrenge und den romantisch umrankenden Gefühls-Harmonien nahm das gemischte Doppel als spielerische Herausforderung. Es ging hauchfein los und steigerte sich dann, sehr stilvoll. Der französische ­Akzent war bei diesem Schumann-Dialog von Anfang an vorhanden, beiden gelang es, die Zartheit der Stimmverflechtungen mit großem, geradezu erhabenem Ernst zu präsentieren.

Stürmischer Beifall, natürlich

Damit war der Weg mustergültig bereitet, für mehr und puren Debussy. Für die exaltiert virtuose Suite „En blanc et noir“, die mit einem vehement aufgeschäumten Walzer beginnt, bevor der Franzose im Mittelteil als tagespolitische Anspielung auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs den Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ zitiert, um mit ­rasanter Feinmotorik in einer Verbeugung vor Strawinsky zu enden. Man könnte dieses hochkomplexe Spätwerk effektorientierter spielen – und es damit auf Fingerfertigkeiten reduzieren. Argerich und Barenboim konzentrierten sich lieber auf die radikale Eleganz der Strukturen und die Überraschungsmomente der Dynamik.

Stürmischer Beifall, natürlich, Blumen, stehende Ovationen waren die ­Reaktion im Saal. Als Dank legten die beiden mit Debussys Zwei-Klaviere-Bearbeitung seines „Prélude à l’après-midi d’un faune“ nach, wunderbar nobel und klangsinnlich.

Weniger als Gegengewicht, sondern wohl eher als ergänzender Kontrast ­gedacht, hatte das Konzert mit einem Tschaikowsky-Stück begonnen, das der so nie komponiert hatte: Aus dem ­a-Moll-Klaviertrio hat der Pianist und Komponist Ohad Ben-Ari eine Fassung für Violine, Cello und Orchester modelliert, die wohl nicht ganz zufällig an das Doppelkonzert von Brahms erinnert.

Solopart mit breitem Strich ausgekostet

Schöne Idee, durch die das Kammer­musik-Stück aus dem Mittelfeld von Tschaikowskys Werkkatalog eindeutig gewinnt; charmant umgesetzt wurde sie durch die engagierten Solisten Guy Braunstein (Violine) und Alisa Weilerstein (Cello), während Rafael Payare den Orchestersatz auf Linie hielt. Insbesondere Braunstein hatte hörbares Vergnügen ­daran, seinen melodisch süffigen Solopart mit breitem Strich auszukosten. Und da Ben-Ari im zweiten Satz bei den vielen Variationen alle klassischen Tschaikowsky-Orchestrierungsregister gezogen hatte, wurde daraus ein zwar nicht originales, aber originelles Stückchen Ballettmusik à la russe.

„Debussy lässt uns hören, wie es ist“, hat Daniel Barenboim kürzlich über seinen derzeitigen Lieblingskomponisten gesagt. Dieser erstaunliche, rührende Auftritt von ihm und Martha Argerich ließ – leider nur kurz – auch hören, was Musik sein kann.

Informationen über das Argerich Festival: www.symphonikerhamburg.de