Hamburg. Sehr gemischtes Doppel: Der Dirigent und Pianist mit dem West-Eastern Divan Orchestra an zwei Abenden in der Elbphilharmonie.

Wie war es denn nun, so in einem Satz? Bei vielen Konzerten ist diese Frage schnell und befriedigend zugleich beantwortet, ohne sich dafür auf unterkomplexe Daumen-hoch-Daumen-Runter-Gesten einzulassen. Bei den Auftritten, mit denen sich Daniel Barenboim am Sonntag und Montag in der Elbphilharmonie präsentierte, ist es komplizierter, danach zu einer klaren Abschlussnote zu kommen – und das bei weitem nicht nur, weil er am ersten Abend dirigierte und am zweiten als doppelt geforderter Solist in Brahms’ kräfteverbrennendem 2. Klavierkonzert seinen Aufgabenbereich wechselte.

Beide Konzerte mit „seinem“ West-Eastern Divan Orchestra (WEDO) in je zwei Durchgängen; Abend eins mit zwei Schützlingen als Solisten; Abend zwei mit einem dritten als seine Vertretung am Dirigentenpult. Und einer der drei, der Geiger Michael Barenboim, ist der Sohn vom Chef. Eine Art Familien-Aufstellung, um einen Musiker gruppiert, für den das Etikett „lebende Legende“ mächtig untertrieben wirkt. Dass sein Duo-Abend mit der Seelenverwandten Martha Argerich vor wenigen Wochen in der Laeiszhalle so rührend war, macht die Sache auch nicht einfacher. Willkommen im Dilemma.

Elbphilharmonie: Daniel Barenboim war nicht vor dem Notentext, sondern hinter ihm

Denn es ging alles andere als beeindruckend los. Runde eins, erste Hälfte: Brahms’ Doppelkonzert, mit Barenboim Junior und Cellist Kian Soltani und Barenboim Senior als Wegweiser. Eigentlich ein packendes Stück, man muss es allerdings gründlich vorbereitet haben und entsprechend aufführen. Beides war nur bedingt der Fall. Während Soltani sich sprichwörtlich in seinen Part hineinkniete, jede Möglichkeit auskostete, buchstabierte der geigende Barenboim seine Aufgabenliste.

 Er litt, schwärmte, grübelte, flirtete und brillierte nicht, er verwaltete, was halt für ihn anstand. Kein glühender, großer Ton, keine mitreißende Emphase. Soltani spielte, Michael Barenboim spielte nur mit. Blieb statisch und blass und wirkte dabei derart verschreckt und eingeschüchtert, als wäre er in letzter Minute vom WEDO-Konzertmeister-Stuhl zum Einspringen an der Rampe verdonnert worden.

Auftakt wirkte wie eine unterprobte Generalprobe vor Publikum

Barenboim Senior ließ dem Orchester erstaunlich viel Trudeln durchgehen: sehr breiter Strich, sehr wenig Interesse an Nuancen oder Überraschungsmomenten. Die Freude über das Wiederhören einer richtig großen Besetzung trübte sich ein. Pauschal planierte Lautstärke und diese Koordinationsprobleme sorgten dafür, dass dieser Auftakt wie eine arg unterprobte Generalprobe vor Publikum wirkte.

Was dort fehlte, machten Barenboim und das Tutti in Francks d-Moll-Sinfonie wett. Hier kamen klarere Kanten und Gestaltungswille zum Vorschein. Grandios war das noch nicht, dafür fehlte es an Brillanz und Tiefenschärfe und auch an elegant ausgespielter Zuverlässigkeit. Doch die Richtung, die stimmte. Mit dem elegischen „Nimrod“-Satz aus Elgars „Enigma Variations“ ging man halbwegs versöhnt in den ersten Gastspiel-Feierabend.

Mächtige musikalische Herausforderungen

Runde zwei, erste Hälfte: Bartóks Divertimento für Streichorchester. Gleiches Orchester, anderer Dirigent – wie ausgetauscht. Lahav Shani, Chef in Rotterdam und beim Israel Philharmonic, ist eines dieser Naturtalente, die sichtbar wenig „tun“ und damit viel bewirken. Die Stil-Fingerübung Bartóks mit ihren süffig schräg gestellten Folklore-Elementen lüftete er flott durch, das Orchester (mit Barenboim Jr. und Soltani zurück auf Stimmführer-Posten) entdeckte, wie leise man in diesem Saal spielen kann.

Shani war es auch, der bei Brahms’ B-Dur-Konzert durch kluges und einfühlsames Auffächern des Orchesterparts viel rettete – so ziemlich alles, was nicht in den schwerstarbeitenden Virtuosen-Händen von Barenboim lag. Denn der ging im Kopfsatz spielend und sitzend k.o., auf seinem hohen Niveau überfordert, bereits dort, noch vor der Konzertwiederholung drei Stunden später, überwältigt von den mächtigen musikalischen Herausforderungen. Dass er im aufbrausenden Allegro gelegentlich knapp neben der richtigen Tonart landete – kann passieren, Fehler sind mitunter relativ unwichtig. Dennoch war er fest entschlossen, sich das Schwächeln weder anmerken noch anhören zu lassen, wohl, weil er ja der ist, der er ist.

Selbst ein Daniel Barenboim kann unauflösbaren Probleme begegnen

Einerseits bewundernswert, wie dieser Jahrhundert-Pianist sich dieser Aufgabe stellte, große Klammer auf: und das in seinem Alter, große Klammer zu. Andererseits aber wurde mit jeder vertanen Chance, gerade in den lyrischen Passagen aus Routine und Können doch noch frische, leichte, anrührende Poesie herauszuzaubern, immer klarer, dass selbst ein Daniel Barenboim unauflösbare Probleme begegnen kann. Er war nicht vor dem Notentext, sondern stets hinter ihm, ohne Reserven, ohne Hochspannung, mit zu wenigen Farben im Ton.

Die Größe, zu der Barenboim hier nicht in der Lage schien, sekundierte Soltani im Andante im Kleinen, mit wunderbarem Ton. War es, alles in allem, ein „schlechter“ Auftritt? Obwohl das Publikum so begeistert war, dass es nur wenige beim Schlussapplaus auf den Sitzmöbeln hielt? Zutreffender könnte sein: Es war wirklich kein guter für Barenboim.

Aufnahme: Beethoven „Sämtliche Klavier-Trios“ Michael Barenboim, Kian Soltani, Daniel Barenboim (DG, 3 CDs ca. 19 Euro).