Hamburg. Beim Eröffnungskonzert des Martha-Argerich-Festivals in der Elbphilharmonie war nicht alles so harmonisch, wie es aussah.
Ein Martha-Argerich-Festival beginnt feierlich, nur schön soll das sein, jedes Mal ungetrübt aufs Neue. Auch bei diesem Durchgang, nun mit dem Auftakt im Großen Saal der Elbphilharmonie, kam zunächst Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel auf die Bühne. Der bedankte sich weihevoll und ausgiebig, wie man das in solchen Momenten so zu tun hat, bei allen Gönnern und Geldgebern, ob im Saal anwesend oder im Programmheft. Und sang die x-te Lobeshymne auf das gefürchtet scheue, eigenwillige, geniale Zentralgestirn der gut ein Dutzend Festival-Konzerte mit Freunden und erweiterter Künstler-Familie.
Danach folgte gespannte Stille im Saal. Und weil womöglich alle anderen Solisten und Solistinnen durch die eine der beiden großen Bühnentüren ins Rampenlicht kommen (der direkteste Weg aus ihren Backstage-Garderoben), nahm die 82-jährige Argerich, das aber erst nach längerem Wartenlassen: die andere. Weil sie sie ist. Und wie immer bei ihr: jetzt bloß kein unnötiges Herumstehen neben dem ausrittbereiten Flügel, nur das Nötigste an huldvollen Floskelgesten für das schon jetzt begeisterte Publikum, nur schnell ran an diese 88 Tasten.
So ging dieser überraschend lehrreiche Abend im Kleinen schon mal interessant los.
Argerich und Beethoven im gemischten Duell
Das Stück, das diese Pianistin manuell nicht bewältigen könnte, muss wohl erst noch geschrieben werden. Ob und wie sie, von Abend zu Abend unterschiedlich, will und emotional mit den Gegebenheiten mitspielen möchte, ist eine ganz andere Frage. Hier jedenfalls, in Beethovens Chorfantasie, begann ein hochinteressanter Ringkampf mit Noten, der letztlich unentschieden ausging. Die große, frei fantasieren sollende Einleitung, mit der sich das Klavier in diesem schillernden Genre-Mix in den Vordergrund brillierte, rumpelte und polterte Argerich geradezu unwirsch und spröde vor sich her. Freunde waren sie und diese Musik zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
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Mit Beethoven in den Clinch zu gehen, um herauszufinden, wer warum und wie sehr stärker ist, wäre als Interpretation per se nicht die schlechteste Durchdringungsmethode. Doch Argerich war so frei, sich damit frontal anzulegen und diese Widerstände auch überhaupt nicht mit harmlosen Nettigkeiten zu überschminken.
Als sich nach und nach das ohrwurmtaugliche Hauptthema aus dem Geschehen herausmendelte, wurde Argerich gnädiger und geselliger. Pralltrillerchen wurden von ihr zu kleinen Träumereien veredelt, das so sehr an Beethovens Neunte erinnernde Leitmotiv wurde liebevoll begutachtet und für doch das bisschen melodische Mühe im Moment wert befunden. Zwischendurch und drum herum gab es auch noch das Tutti, und Symphoniker-Chefdirigent Sylvain Cambreling machte auf seinem Pultposten den Eindruck, sich lieber nicht in diese persönliche Angelegenheit zwischen Argerich und Beethovens Opus 80 größer einmischen zu wollen.
Wiederbegegnung mit Berlioz’ „Symphonie fantastique“
Das gemischte Duell nahm nun also seinen Lauf, das immer wieder putzig variierte Thema ging wie ein kleiner Wanderpokal, den jeder mal bestaunen durfte, launig und artig durch die Instrumentengruppen. Argerich ließ es da und dort passieren, wartete diszipliniert darauf, sich wieder einmischen zu müssen. Hin und wieder ließ sie kurz die sprichwörtlichen Tastenlöwinnen-Pranken aufblitzen, ansonsten aber blieb sie pflichtbewusst in der Spur.
Dass zwischendrin eine Sängerin aus dem tadellos agierenden Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor einen Schwächeanfall durchlitt, sich aber fing und schnell von der Bühne huschte, blieb der Virtuosin am Flügel wahrscheinlichst verborgen. Das Gesangssolisten-Sextett sang unterdessen solide, was es singen sollte. Die eigentliche Sensation – neben diesem unterschätzten Stück – war und blieb aber diese Pianistin, der Kompromisse, welche auch immer, auch mit 82 noch massiv widerstreben.
Zwei Tage zuvor hatten die Symphoniker und Cambreling Berlioz‘ „Symphonie fantastique“ als Abo-Konzert-Saison-Schlussstrich gespielt, mit stellenweise unausgeglichenem Erfolg. Jetzt also, als Vergleichs-Luxus, die direkte Wiederbegegnung in der Elbphilharmonie-Akustik. Die Unterschiede: enorm, stellenweise. Obwohl Cambreling bei den Tempi seiner einmal eingeschlagenen Linie treu blieb, profitierte die Durchhörbarkeit des komplexen Orchesterbrausens ungemein von der klareren Klangdetail-Staffelung, die dieser Saal sachdienlich liefern kann.
Heute, 19.30 Uhr, spielt Martha Argerich u.a. mit dem Pianisten Daniil Trifonov und dessen Lehrer Sergei Babayan im Großen Saal der Laeiszhalle Werke von Schumann und Rachmaninow. Evtl. Restkarten. Festival-Infos: www.symphonikerhamburg.de