Hamburg. Klassikkonzert mit Mitteln der Popmusik: Kristjan Järvi begeisterte mit seinem Baltic Sea Philharmonic und sorgte für Überraschungen.

  • Kristjan Järvi und das Baltic Sea Philharmonic traten in der Elbphilharmonie auf.
  • Dabei vermischte der Dirigent gekonnt Klassik mit Mitteln der Popmusik, er wurde regelrecht zum Animateur

Wir brauchen mehr von solchen Konzertformaten, wie sie Kristjan Järvi, der jüngere Bruder des Dirigenten Paavo Järvi, am Donnerstag mit seinem Baltic Sea Philharmonic in der Elbphilharmonie geboten hat. „Let’s create together what we want“, rief der amerikanisch-estnische Allrounder ins Publikum und sprang am Ende sogar vom Podium, um durch den Saal zu laufen und einzelne Besucherinnen und Besucher beim Groove neuer Werke seiner Musiker zum Tanzen zu animieren.

Nicht nur Dirigent, auch Animateur: Kristjan Järvi mit dem Baltic Sea Philharmonic in der Elbphilharmonie
Nicht nur Dirigent, auch Animateur: Kristjan Järvi mit dem Baltic Sea Philharmonic in der Elbphilharmonie © Peter Adamik | WWW.PETERADAMIK.DE

Kaum jemand hat es vor ihm so überzeugend geschafft, ein Klassikkonzert mit Mitteln der Popmusikkultur in ein vor allem auch ganz junge Leute begeisterndes Event zu verwandeln, ohne dabei die klassischen Vorlagen auch nur im Geringsten zu beschädigen.

Auch wenn Järvi die „Feuervogel“-Suite von Igor Strawinsky und die so elegisch-erhabene 2. Sinfonie von Jean Sibelius sowie Neue Musik des lettischen Komponisten Georgs Pelēcis oder seines Landsmannes Arvo Pärt dafür in einzelne Abschnitte zerlegte und in ein durchkomponiertes Gesamtwerk inklusive seiner eigenen Stücke „Midnight Sun“ oder „Ascending Swans“ integrierte, ging all das völlig organisch ineinander über.


Elbphilharmonie: Die Musiker wanderten hin und her und tanzten

Nicht ein Mitglied seines 2008 gegründeten Orchesters blickte dabei in irgendeine Notenvorlage, alle spielten diesen zweistündigen Konzertabend ohne Pause komplett auswendig. Das schuf dann auch Raum für zahlreiche Interaktionen. Die Musiker wanderten hin und her, tanzten und an einigen Stellen zum Beispiel in der Sibelius-Sinfonie sang eine Frauenstimme die Melodien einfach, ohne sie auf ihrem Instrument zu spielen.

Järvi selbst benutzte keinen Taktstab, sondern eine Handtrommel der nordischen Volksmusik, die er über ein Kreuz hinter dem Trommelfell hielt und mit einem Schlegel bediente, den er, wenn er nicht gebraucht wurde, dann einfach in die Hosentasche steckte.

Ein „irrer“ Pianist und eine ungewohnt schüchterne Argerich

Das Stück „The Dream of Tabu-tabu“ des 1983 geborenen Harfenisten Liis Jürgens verstand sich mit seinen brutalen Schlägen und enormer Lautstärke im Orchester als eine Art Anklage an die Jahre Estlands unter sowjetischer Herrschaft. Und am Ende blies Mari Meentalo sogar noch auf einem Dudelsack estnischer Bauart gegen ein fast auf Rockkonzert-Lautstärke aufgedrehtes Orchester an, nachdem sie zuvor die großen Klassiker mit einer Maultrommel begleitet hatte.